Der britische Historiker Robert Knight schreibt in seinem Gastbeitrag eine Einschätzung über die historische Dimension der Kärntner Volksabstimmung.

Am 10. Oktober 1920 jährt sich die Kärntner Volksabstimmung. Welche Lehren lassen sich 100 Jahre später ziehen? Fünf Thesen zu Kärnten:

1. Volksabstimmungen bringen keine Lösungen, sondern bestenfalls eine Neuformulierung der Probleme. In einer ethnischen Konfliktsituation, wie sie in Südkärnten vor 100 Jahren bestand, stellte das Volksabstimmungsergebnis 1920 Fragen wie: Wie geht man mit der "Verliererseite", deren Sprache und Kultur um, betrachtet man sie überhaupt als "Verlierer", Besiegte, Unterlegene? Verbunden damit die konkrete Frage, inwieweit das Versprechen der Kärntner Landesversammlung am Vorabend der Volksabstimmung, für das "geistige und wirtschaftliche Aufblühen" der Minderheit zu sorgen, erfüllt wurde. Jedenfalls war die Bilanz, die der slowenische Geistliche Valentin Podgorc 1947 zog, keine positive: "Man hat damals viel versprochen, aber nichts gehalten."

Wer hat den "echten Kärntner Klang"? Eine historische Ansichtskarte zum "Kärntnerland".
Foto: Foto: Sammlung Plankenauer

2. Die Grundannahmen des Liberalismus muss man skeptisch betrachten, gerade in einem Kontext der strukturellen Ungleichheit. Vor allem scheint hier die prinzipielle Annahme des Individuums, das eine freie Wahl treffen muss, mehr als zweifelhaft. Im Kärntner Kontext förderte die "Wahl" jedenfalls die Polarisierung. Entweder-oder-Alternativen wurden gestellt: Slowenisch oder Deutsch, Slowenisch oder Windisch, Landesverräter oder Heimattreuer. 1956 kam man im Minderheitenausschuss des Kärntner Landtags auf die Idee, die Frage so zu formulieren: "Sind Sie Slowene, ja oder nein?" In einem Kontext der Ungleichheit, wo auch der Staat (zum Beispiel die Polizei) sich keineswegs "blind" verhielt, konnte die Beantwortung einer solchen Frage nicht frei erfolgen.

3. Es gab keine "Kärntner Urangst", wohl aber die durchaus politische Angst der Kärntner Großparteien, in der "nationalen Frage" von ihren parteipolitischen Gegnern überflügelt zu werden. Daraus entstand eine Politik der Angstmacherei. Zwar wurden extensive jugoslawische Grenzforderungen im Rahmen der österreichischen Staatsvertragsverhandlungen erhoben. Aber schon im April 1947 bereiteten Politiker in Belgrad und Ljubljana ihre Rückzugsposition vor, die auch ein Minderheitenstatut beinhaltete. Daraus wurde nichts. Stattdessen rückten Politiker in allen Lagern aus taktischen Erwägungen die Grenzfrage in den Mittelpunkt der Diskussion. Die Grenze hing keineswegs "an Messers Schneide", sie wurde aufgebauscht, dramatisiert und instrumentalisiert. Als es dann 1950 darum ging, die Beziehungen zu Jugoslawien zu verbessern und die Grenzfrage zu entdramatisieren, sträubten sich Kärntner Politiker wie Ferdinand Graf (ÖVP) gegen eine "Bagatellisierung Kärntens".

4. Das zweisprachige Schulsystem, das im Oktober 1945 an Südkärntner Volksschulen einen Unterricht in beiden Sprachen obligatorisch einführte, brachte die Möglichkeit, aus der verfahrenen ethnischen Konfrontation herauszukommen. Statt zu fragen, ob Kinder slowenisch oder deutsch waren, ging man davon aus, dass in einer tief verletzten Gesellschaft das obligatorische Erlernen beider Sprachen dem Gemeinwohl diene. Die Initiative wurde aber nicht zum erhofften Neuanfang, sondern diente in den folgenden Jahren als Zielscheibe einer immer intensiver werdenden antislowenischen Agitation. Auch der Erfinder des zweisprachigen Schulsystems, Joško Tischler, wurde marginalisiert und denunziert. Im Ministerrat meinte Innenminister Oskar Helmer (SPÖ) im Juli 1949: "Dr. Tischler ist ein Verräter und gehört eingesperrt."

5. Der Deutschnationalismus lebte in der Kampagne gegen die Zweisprachigkeit wieder auf. Er hatte das Ende des Dritten Reichs am 6. Mai 1945 (weit entfernt von einer Selbstbefreiung!) überlebt und sah die slowenische Sprache und Kultur weiterhin als Bedrohung der Heimat an. Die Kampagne gegen die Schule basiert zum Teil auf effektiven, aber durchaus dubiosen Schlagwörtern: "Das Elternrecht" sei durch das "Zwangsschulsystem" verletzt worden (von Elternrecht in Bezug auf den Mathematikunterricht sprach man weniger).

Slowenenfeindlichkeit

Die Positionen beider Großparteien verschoben sich. In der Kärntner ÖVP spielte der NSler Hans Steinacher eine Schlüsselrolle, sodass die Partei sich in ihre Slowenenfeindlichkeit vom Verband der Unabhängigen (VdU) um kein Haar unterschied. Auch in der Kärntner SPÖ verschoben sich die Positionen nach und nach gegen das Slowenische, trotz der relativ toleranten Haltung des Landeshauptmanns Ferdinand Wedenig. Im September 1958 gab er in einem Erlass bekannt, dass Eltern ihre Kinder vom zweisprachigen Unterricht abmelden durften. Der Erlass löste eine "Abmeldungskampagne" aus, die auf slowenische Eltern wirkte: Eine Mischung aus Einschüchterung, Überredung, aber auch ängstlicher Überanpassung führte zu einem dramatischen Rückgang der Schülerzahl im zweisprachigen Unterricht von rund elf- auf rund zweitausend Kinder. Polizei und Gendarmerie sahen zu ("Schläft die Kärntner Sicherheitsdirektion?", fragte sogar der Landeshauptmann), und der Nationalrat legimitierte nachträglich den Ausgang durch das Minderheitenschulgesetz vom März 1959. Viele Kämpfer gegen die Zweisprachigkeit sahen sich in den Fußstapfen der Abwehrkämpfer.

Seit Oktober 1960 hat sich einiges geändert, die öffentliche Sprache ist weitgehend "entmilitarisiert", und Slowenisch ist bei den Feierlichkeiten sichtbarer als früher. Wie weit oder tief das geht, wird sich noch zeigen. (Robert Knight, 8.10.2020)