E-Commerce soll dem Handelsverband zufolge bis Jahresende mehr als elf Prozent der Umsätze in Österreichs Einzelhandel ausmachen.

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Wien – "Der Flächenwahnsinn, den der Handel in den vergangenen Jahren betrieben hat, rächt sich jetzt." Harald Gutschi hielt mit harter Kritik an stationären Geschäften noch nie hinterm Berg. Der Chef der Unito-Gruppe mit Marken wie Otto und Quelle ist der größte österreichische Onlineanbieter und sieht klassische Händler seit Jahren gegen die Wand fahren. Seit Corona die Branche in Atem hält, ist sich Gutschi seiner Sache noch sicherer.

Er ist davon überzeugt, dass in den kommenden fünf Jahren hierzulande ein Drittel aller stationären Händler aufgibt und bis 2030 gut die Hälfte der Verkaufsfläche verloren geht. "Österreich hat ja bereits jetzt im EU-Vergleich den geringsten Umsatz pro Quadratmeter."

Einst füllten kleine Dienstleister wie Fußpfleger und Fingernagelstudios Lücken auf den Einkaufsstraßen. Gutschi sieht künftig stattdessen Logistikzusteller einziehen. Vieles werde wohl auch zu Wohnraum rückgebaut. Mit Gastronomie allein ließen sich die Löcher im Stadtbild jedenfalls nicht mehr stopfen.

"Anders, weniger, grüner"

Dass die Krise die Globalisierung bremst, glaubt er nicht. Dass sich die Konsumgewohnheiten ändern, sehr wohl. "Wir werden anders arbeiten, weniger fliegen, grüner denken und mehr online einkaufen." Corona beschleunige so manch gesellschaftliche Entwicklung, die sich ohne Pandemie über Jahre hingezogen hätte.

Unito hat in Österreich von März bis August seine Umsätze um knapp 13 Prozent auf mehr als 200 Millionen erhöht. Mode ließ aus, dafür zog das Geschäft mit übers Internet gehandelten Möbeln, Haushaltswaren und Baumarktsortimenten an.

Harte Preiskämpfe

Extremer Preiskampf drückt die Margen, erzählt Gutschi. Finanziell Luft verschaffe jedoch der Rückgang kostspieliger Retouren um gut zehn Prozent. Sind die Einkäufe der Österreicher seit dem Shutdown treffsicherer? Gutschi ortet wohlüberlegteres Shoppen. Wobei Fehlgriffe bei der in Zeiten des Homeoffice beliebten Jogginghose naturgemäß seltener sind als bei Abendmode, für die derzeit schlicht die Anlässe fehlen.

In Summe lässt Corona die Ausgaben der privaten Haushalte heuer um mehr als 16 Milliarden Euro einbrechen, rechnet Rainer Will, Chef des Handelsverbands, vor. Es sei um mindestens eine Milliarde mehr als bisher angenommen. Der Marktforscher Andreas Kreutzer macht beim Textilhandel Umsatzeinbrüche von 14 Prozent aus. Den Geschäften mit Schuhen ergehe es nicht viel besser.

Verpuffte Einmaleffekte

Verpufft sei auch der vielzitierte Cocooning-Effekt. Ob Sportausrüstung, Geschirr oder Gartengeräte: Einmal angeschafft, rissen sie den Handel nicht nachhaltig aus der Krise. "Corona wirft lange Schatten auf das Konsumklima", sagt Will. Zwölf Prozent der Österreicher beschränkten sich immer noch auf lebensnotwendige Einkäufe. Jeder Fünfte verschiebe größere Anschaffungen auf ruhigere Zeiten oder streiche sie zur Gänze von der Einkaufsliste.

Angesichts der gestiegenen Infektionszahlen fordert Will kostenfreie, rasche und staatlich finanzierte Covid-19-Tests für Handelsangestellte im Verdachtsfall. (Verena Kainrath, 8.10.2020)