Selten ging der Einlass einer Chanel-Modenschau so seelenruhig vonstatten. Kein Hupkonzert, kein Verkehrschaos und keine Menschenmassen vor den Eingängen des Grand Palais. Das Modehaus Chanel hatte trotz noch strengerer Corona-Regeln, die an diesem Morgen in Paris in Kraft getreten waren, seine Show zwar vor echtem Publikum gezeigt, aber mit deutlich reduzierter Gästeliste. Nur rund 500 Personen statt der üblichen 3000 waren geladen. Der Unterschied war deutlich zu spüren. Viele bekannte Gesichter, vor allem aus dem amerikanischen und asiatischen Markt, fehlten. Bei einigen Teilnehmern hinterließ sie einen schalen Nachgeschmack: wozu Modenschauen, wenn die Welt gerade aus den Fugen gerät?

Reduzierte Gästeliste bei Chanel.
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Saint Laurent hatte bereits während des Lockdowns angekündigt, in diesem Jahr nicht an der Fashion Week teilzunehmen, sondern seine Kollektionen nach eigenem Rhythmus zu präsentieren, und er hielt sein Versprechen. Auch Celine und Stella McCartney blieben in dieser Saison dem offiziellen Kalender der Fédération de la Haute Couture et de la Mode fern und zeigten weder Shows noch digitale Präsentationen. Die meisten Modehäuser hielten aber an ihren gewohnten Slots fest. Rund die Hälfte organisierten neben den Videos noch physische Präsentationen. 18 der 84 teilnehmenden Modelabels veranstalteten sogar echte Shows.

Den Anfang machte die Marke Coperni mit einer Modenschau auf dem Dach des Tour Montparnasse. Das französische Designerduo versuchte mit seinen Entwürfen konkrete Antworten auf die Probleme unserer Zeit zu finden und präsentierte neben rüstungsartigen Schnitten auch einen neuartigen Jerseystoff, der nicht nur vor UV-Strahlen schützt, sondern auch noch antibakteriell ist.

Mit Schleier auf Distanz

Auch Kenzo-Kreativdirektor Felipe Olivera Baptista verarbeitete das aktuelle Zeitgeschehen, indem er sich von der schützenden Arbeitskleidung der Imker inspirieren ließ. Die großen Hüte der Models, deren transparente Schleier nicht nur die Gesichter, sondern teilweise den ganzen Körper umhüllten, sahen aus wie der perfekte Look, um in Zukunft auf nötige Distanz gehen zu können.

Bei Kenzo ließ man sich von Imkerhüten inspirieren.
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Wie sich Mode an veränderte Gegebenheiten anpasst, zeigte auch Marine Serre. Sie ging davon aus, dass heutzutage immer mehr Menschen Fahrrad fahren, und präsentierte eine ganze Reihe radfahrertaugliche Looks, von hautengen Leggings, Catsuits über echte Radlerhosen. Schutzmasken präsentiert die Designerin schon von jeher in ihren Kollektionen, diese Saison erweiterte sie Serre aber noch durch aktuelle Gesichtsvisiere.


Chanel-Kreativdirektorin Virginie Viard schien auf die Krise dagegen eher mit Eskapismus zu reagieren. Sie ließ sich von Hollywood inspirieren und träumte sich mit ihrer Kollektion in eine andere Welt. Wie ein Hoffnungsschimmer leuchtete der riesige Chanel-Schriftzug unter der Kuppel des Grand Palais strahlend weiß und erinnerte an das berühmte Zeichen auf den Hollywood Hills. Paillettenbesetzte Hosenanzüge, in der Taille geschnürte Tweedkostüme und feminine Röcke in verschiedenen Längen sahen aus wie für große Filmdiven gemacht und wirkten dennoch modern. Knallige Neonfarben, Kleider mit leuchtenden Chanel-Prints und kurze Bermuda- oder Dreiviertelhosen gaben der Kollektion ein junges, frisches Aussehen.

Chanel zeigte seine Modenschau im Grand Palais vor reduzierter Gästezahl.
Foto: afp/de sakutin

The show must go on

Auch Modehäuser versuchten mit ihren Entwürfen für ein gutes Gefühl zu sorgen. Nadège Vanhee-Cybulski, Kreativdirektorin von Hermès, schaffte dies durch schmeichelnde und, wie sie es nannte, "taktile" Kleider, die sich an die Haut anschmiegen. Dior-Kreativdirektorin Maria Grazia Chiuri dagegen brachte Komfort, indem sie die ikonische Bar-Jacke als bequemen Kimono-Blazer neu interpretierte. Beide Häuser zeigten echte Shows, die sich abgesehen von den strengen Hygienevorschriften und der Anzahl der Gäste kaum von normalen Modenschauen unterschieden.

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Bauchfreie Eleganz bei Hermès.
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"The show must go on", sagte sich wohl auch das Pariser Modemuseum Palais Galliera, das eigentlich schon vor sechs Monaten mit der Ausstellung Gabrielle Chanel. Manifeste de Mode seine Wiedereröffnung feiern sollte. Fünf Jahre lang war es wegen Umbauarbeiten geschlossen, dann kam der Lockdown. Trotz widriger Umstände wurde die Ausstellung nun aber am 1. Oktober eröffnet, in der es ausschließlich um Coco Chanels Stil geht. "Natürlich ist es nicht der beste Moment, da in Paris gerade nicht viele Menschen sind," sagte Chanel-Präsident Bruno Pavlovsky, "aber ich bin mir sicher, dass die Ausstellung später noch ins Ausland reisen wird."

Bequeme Kimonos bei Dior.
Foto: Dior/Ludwig BONNET-JAVA

Balmain-Kreativdirektor Olivier Rousteing hatte da eine originellere Idee, um bei seiner Show im Jardin des Plantes für mehr Gäste zu sorgen. Wenn die Stars schon nicht physisch zu ihm kommen konnten, dann sollten sie zumindest virtuell anwesend sein. Die Sitzplätze in den ersten Reihen waren daher mit kleinen Bildschirmen ausgestattet, auf denen Videos von Anna Wintour, Claudia Schiffer oder Jennifer Lopez zu sehen waren, die so taten, als säßen sie gerade tatsächlich bei einer Modenschau. Ein herrliches Bild.

Filmsequenzen

Das wohl ausgefeilteste Konzept aber präsentierte Nicolas Ghesquière von Louis Vuitton. Seine Show fand im Pariser Kaufhaus La Samaritaine statt und war von Greenscreens umgeben, auf denen Szenen aus Wim Wenders Film Der Himmel über Berlin projiziert wurden. Die Filmsequenzen waren jedoch nur für Gäste zu sehen, die an diesem Tag vor dem Bildschirm sitzen mussten. Einigen von ihnen wurden virtuelle Sitzplätze mit eigenen Kameras zugewiesen, sodass sie die vorbeilaufenden Models aus der 360-Grad-Perspektive verfolgen konnten.

Louis Vuitton rief zur Wahl auf.
Foto: Louis Vuitton

Mit seinen androgynen Looks, weiten Schnitten und lässigen Slogan-Shirts verwischte Ghesquière gekonnt die Geschlechtergrenzen, vor allem aber zeigte er, dass Virtual Reality die Zukunft sein könnte. Denn ein solcher "Sitz" war in diesem Fall kein schlechter Ersatz, er bot gegenüber den physischen Plätzen sogar einen echten Mehrwert. Und das macht Hoffnung: Vielleicht wird es eine Zeit geben, in der echte Anwesenheit nicht mehr unbedingt notwendig ist. (Estelle Marandon, 7.10.2020)