Letztlich hat es dann doch acht Jahre gedauert, bis die bahnbrechende Entdeckung der Gen-Schere CRISPR/Cas9 durch die US-Strukturbiologin Jennifer Doudna und die französische Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier mit dem Nobelpreis gewürdigt wurde. Sie hatten als Erste anhand von Einzellern beschrieben, wie man mit der aus Bakterien bekannten Gen-Schere die DNA von Organismen präzise verändern kann, was Anwendungen in medizinischen Therapien oder in der Pflanzenzucht theoretisch möglich macht. Ein angeblich bis heute nicht bis ins kleinste Detail ausgefochtener Patentstreit mit dem US-Neurobiologen Feng Zhang, der CRISPR erstmals an Mehrzellern anwendete, stand angeblich im Weg. Aber vielleicht war es auch die alte Nobelpreis-Tradition, lange Jahre zuzuwarten, bis eine preiswürdige Entdeckung wirklich zu den verdienten Lorbeeren kommt.

Was auch immer das Komitee gerade im heurigen Jahr zu der Entscheidung bewog, den beiden Frauen – und nur ihnen – den Preis zu verleihen, ist eigentlich irrelevant. Es ist ein Signal für die Bedeutung durch Neugier angetriebener Grundlagenforschung. Sie kann nur von klugen Köpfen betrieben werden, die man gewähren lässt – gerade dann, wenn sie Ideen verwirklichen wollen, die gegen die gängige Forschungspraxis sind.

Französische Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier (l.) und US-Strukturbiologin Jennifer Doudna (r.)
Foto: EPA

Als Charpentier an den Wiener Max F. Perutz Labs mit ihrem bevorzugten Modellorganismus, Bakterien, zu arbeiten begann, war die Überraschung unter ihren damaligen Kollegen recht groß – und die Unterstützung für sie nicht in dem Maße vorhanden, dass man sie an Wien hätte binden können. In der Erinnerung sind Wissenschafter, die sie damals kannten, gespalten: Viele meinen, dass man nicht sehen konnte, welches Potenzial in ihrer Forschung steckte, andere widersprechen: Das sei zu erkennen gewesen. Der Standort habe jedenfalls eine einmalige Chance ausgelassen, eine künftige Nobelpreisträgerin an einem österreichischen Forschungsinstitut arbeiten zu lassen – mit dem nötigen Vertrauen in ihre Expertise und der Weitsicht, dass sich eine wissenschaftliche Sensation anbahnte.

Aus heutiger Sicht lässt sich leicht klug reden. Man könnte aber versuchen, den Aufenthalt der Französin in der österreichischen Bundeshauptstadt als Lehrstück zu sehen – und in Hinkunft mehr Mut für neue Ideen zu haben statt hauptsächlich auf Altbewährtes zu setzen. Strukturelle Probleme wie das alte Thema der Laufbahnstellen müssen dafür natürlich vorher behoben werden.

Bezüglich Mut und CRISPR haben sich noch nicht viele Menschen außer den Laureatinnen mit Ruhm bekleckert: Was der chinesische Forscher He Jiankui an zwei Babys praktizierte, sie nämlich mit der Gen-Schere immun gegen das HI-Virus zu machen, war verantwortungslos und daher auch mit seriöser Wissenschaft nicht vereinbar. Doudna und Charpentier haben selbst immer Eingriffen in die Keimbahn abgelehnt.

Und letztlich war auch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs, jede landwirtschaftliche Anwendung von CRISPR unter strenge, mit großen Ausgaben verbundene Auflagen zu stellen, alles andere als mutig. Pflanzen, die durch einen Eingriff resistent gegen Schädlinge und den Klimawandel wären, könnten eine risikoarme Möglichkeit sein, Ernährungsprobleme langfristig zu lösen. Auch hier wäre ein Umdenken der bisherigen Strategie eine Chance für die Zukunft. (Peter Illetschko, 7.10.2020)