Vergiftetes Land: Mark Ruffalo als Anwalt und Bill Camp als bauer in "Dark Waters".

Foto: Tobis

Wie gelangt man aus einem Zimmer voller bis zur Decke gestapelter Pappkartons zur Wahrheit? Mit diesem Bild im Kopf lässt sich ganz gut ermessen, welcher Weg vor dem Anwalt Robert Bilott lag, als er sich daran machte, einen Umweltskandal vor Gericht zu bringen, der ihn zwanzig Jahre beschäftigt hielt: Jahre voller Teilerfolge und Rückschläge im Kampf gegen die Machenschaften des US-Chemiekonzerns DuPont.

Am Ende setzte er sich durch, DuPont musste bisher Schadensersatz in der Höhe von 670 Millionen Dollar bezahlen, Bilott selbst wurde als männliche Erin Brockovich gefeiert und erhielt für seine Sisyphus-Anstrengungen den Right Livelihood Award, auch bekannt als Alternativer Nobelpreis. Doch selbst wenn die Gerechtigkeit hier ein Stück weit triumphiert hat, bleibt der immer noch offene Fall das Sinnbild eines korrupten Systems: DuPonts Einsatz von Perfluctoroctansäure (auf Englisch kurz PFOA), etwa bei der Herstellung von Teflon, hat Menschen das Leben gekostet. Es wirkt krebserregend und kann zu Missbildungen bei Kindern führen.

Focus Features

Das Zimmer mit den Kartons findet sich nun auch in Todd Haynes’ Film Dark Waters, der auf Nathaniel Richs Artikel im New York Times Magazine von 2016 basiert. Mark Ruffalo, der sich schon länger erfolgreich als Umweltaktivist engagiert und den Film auch produziert hat, spielt Bilott als einen Pragmatiker, der zunächst für die Gegenseite arbeitet, dann jedoch seine Berufung findet. Wobei seine innere Überzeugung durch eine defensive Körpersprache konterkariert wird.

Viel Understatement

Heroismus ist diesem Film fremd: Dark Waters gehört zwar zum Genre des Sozialthrillers wie Norma Rae oder Silkwood, das um das Ende der 1970er populär war und meist vom einer David-gegen-Goliath-ähnlichen Konfrontation erzählt. Hier liegt der Akzent jedoch auf realistischem Understatement, nicht auf dem Pathos des Triumphs vom Underdog. Es ist ein fast trübsinniger, grüblerischer Film über den Verschleiß an Idealismus innerhalb eines Systems, dessen Handlanger sich nach jedem Treffer immer wieder neu aufbäumen. Ziemlich spät im Film, Bilott hat schon einen Zusammenbruch hinter sich, wird er einsehen, dass man sich keine Hilfe erwarten darf. Das wusste der Bauer aus West Virginia (ein grimmiger Bill Camp), der den Fall mit seinen erkrankten Kühen ins Laufen gebracht hat, von Beginn an.

Die vergessene Mitte

Für Haynes, den man als kunstvollen "auteur" von Filmen wie Carol oder I’m Not There kennt, ist Dark Waters die geradlinigste Arbeit seiner Laufbahn – er ist hier als präziser Handwerker gefragt, nicht als Stilist. Doch seinem Sinn für ein detailgenau gezeichnetes Amerika der heruntergewirtschafteten Mitte, dessen Bewohner und für den zeithistorischen Look – der Film beginnt Ende der 90er-Jahre – verdankt der Film viel von seiner Wirkung. Die Farbpalette der Bilder von Kameramann Ed Lachman erscheint schon fast interpretativ: giftig grün- und braunstichig wirken Himmel und Land, fahl das Licht im Inneren.

Der eher bedächtige, sich konzentriert in die Materie schraubende Gestus des Films entspricht dem Mühlwerk der Justiz. Die Wirkkraft mindert das Tempo nicht, so langsam entfaltet schließlich auch Gift in Menschen seine toxischen Reaktionen, und latente Paranoia-Momente sorgen für untergründige Spannung wie in einem Verschwörungsthriller. Dark Waters ist aber perfide real. Kein Sieg wird gefeiert, sondern eine Zermürbungspolitik greifbar, welcher die allerwenigsten standhalten können. (Dominik Kamalzadeh, 8.10.2020)