Der republikanische Vizekandidat Mike Pence versuchte die Arbeit von US-Präsident Trump in der Corona-Krise zu loben.

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Tiefe Gräben allerdings diskutierten die zwei Vizekandidaten gesitteter als Trump und Biden.

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Für ein paar Minuten sieht es tatsächlich so aus, als sollten sich Kamala Harris und Mike Pence in Salt Lake City ein Duell für die Geschichtsbücher liefern. Eine Debatte, an die man noch lange zurückdenken wird. Die Senatorin aus Kalifornien, in der US-Chronik die erste Frau mit dunkler Haut, die für das zweithöchste Amt im Staat kandidiert, bläst sofort zur Offensive. Im Umgang mit dem Coronavirus, betont sie, habe das Kabinett des US-Präsidenten Donald Trump so gründlich versagt, wie noch nie eine Regierung des Landes versagt habe. Bereits Ende Jänner seien Trump und sein Stellvertreter über die Gefahr im Bilde gewesen. "Sie wussten, was geschah. Und sie haben es Ihnen nicht gesagt. Sie wussten es, und sie haben es verschleiert." Aus dem Grund, setzt sie ihren Punkt, hätten beide das Recht verwirkt, wiedergewählt zu werden.

Das gesamte TV-Duell hier zum Nachsehen.
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Pence versucht der Kritik die Spitze zu nehmen, indem er wiederholt, womit sich sein Vorgesetzter im Weißen Haus schon seit Monaten aus der Affäre zu ziehen versucht. Zum einen, sagt er, habe Trump sehr früh, noch im Jänner, das Richtige getan und ein Einreiseverbot aus China verfügt; ein Verbot, das von Oppositionellen wie Harris seinerzeit abgelehnt worden sei. Zum anderen habe er die "größte Mobilisierung seit dem Zweiten Weltkrieg" organisiert. Wer nicht zu schätzen wisse, was für ein Kraftakt das war, gibt er zu verstehen, der wisse die Leistung der Amerikaner insgesamt nicht zu würdigen. Darauf Harris unter Verweis auf 210.000 Corona-Tote zwischen Seattle und Miami: "Was immer die Regierung angeblich getan hat, es hat offensichtlich nicht funktioniert."

"ICH rede, Herr Vizepräsident"

Es folgt ein Disput, der deutlich macht, welche tiefen philosophischen Gräben zwischen Republikanern und Demokraten liegen. Pence spricht von der Freiheit, in deren Interesse man den Leuten schon zutrauen müsse, die richtigen Entscheidungen zu treffen, während die Demokraten sie mit ihren Verboten, ihrem Zwang nur gängeln wollten. "Sie respektieren das amerikanische Volk, indem Sie ihm die Wahrheit sagen", kontert Harris.

So hart es inhaltlich zur Sache geht, stilistisch halten sich beide an die Etikette der Höflichkeit. Unter normalen Umständen wäre es kaum der Rede wert, im derzeit so aufgeheizten politischen Klima aber wirkt es fast schon wie die Ausnahme. Trump und sein Kontrahent Joe Biden hatten sich vor gut einer Woche ein Duell geliefert, das in wüste Beschimpfungen ausartete. Pence und Harris lassen einander meist, wenn auch bei weitem nicht immer, ausreden. Der Amtsinhaber ist mit seiner sonoren Stimme und seiner behäbig wirkenden Art ohnehin nicht der Typ, der schnell die Fassung verliert. Seine Kontrahentin begleitet etliche ihrer Sätze mit einem Lächeln, auch dann, erst recht dann, wenn sie sich verbittet, unterbrochen zu werden: "I c h rede, Herr Vizepräsident."

Historischer Balanceakt

Viel mehr dürfte, abgesehen von dem fulminanten Start, allerdings nicht im Gedächtnis haften bleiben. Überraschungen gab es nicht. Dass die Republikaner das Duo Biden/Harris, beide moderate Reformer, in die Nähe der "radikalen Linken" zu rücken versuchen und vor Steuererhöhungsorgien im Falle eines Machtwechsels warnen, wie Pence es am Mittwochabend einmal mehr tat, ist längst so etwas wie ihr Mantra. Dass die Demokraten dem Gespann Trump/Pence vorwerfen, das Vertrauen der Verbündeten in aller Welt verspielt zu haben, ist auch nichts Neues. Allerdings spitzt es Harris noch einmal zu, indem sie aus einer Studie des Washingtoner Meinungsforschungsinstituts Pew zitiert: Demnach genießt der Chinese Xi Jinping bei manchen Alliierten inzwischen mehr Respekt als der Amerikaner Donald Trump.

Barbara Wolschek von der "ZiB"-Auslandsredaktion analysiert das erste Wahlduell zwischen Mike Pence und Kamala Harris.
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Gemessen an dem Hype, der das Streitgespräch begleitete, war es – weder enttäuschend noch herausragend – eher ein Stück Normalität. Wobei der Hype durchaus seine Berechtigung hatte. Noch nie seit 1976, dem Jahr, in dem Kandidaten fürs Amt des Vizepräsidenten zum ersten Mal im Fernsehen diskutierten, hat es eine Konstellation wie die heutige gegeben. Wer immer die Wahl gewinnt, wird im Jänner der älteste US-Präsident sein, der je seinen Amtseid leistete. Ob Trumps Corona-Infektion Nachwirkungen hinterlässt, bleibt abzuwarten, und solange die Pandemie nicht ausgestanden ist, bleibt das Risiko auch für Biden, der im November 78 wird, enorm hoch. So makaber es klingen mag, so realistisch scheint es, dass entweder Mike Pence oder Kamala Harris in nicht allzu ferner Zukunft ins höchste Staatsamt aufrücken. Also standen sie in Salt Lake City vor der Aufgabe, aus dem Schatten der jeweiligen Nummer eins herauszutreten – aber nicht so weit, dass man ihnen Profilsucht oder gar Illoyalität vorwerfen könnte: Ein Balanceakt von höchstem Schwierigkeitsgrad, und das unter immensem Druck. Herausgekommen ist eine Vorstellung, die schon bald in Vergessenheit geraten dürfte.


Trump zurück im Oval Office

Der an Covid-19 erkrankte US-Präsident Donald Trump kehrte am Mittwoch zeitweise an seinen Arbeitsplatz im Oval Office zurück. Er versprach seinen Landsleuten die gleiche Behandlung mit Antikörper-Mitteln, wie er sie bekommen hat. Er wolle bald eine außerordentliche Erlaubnis zum raschen Einsatz der Arzneien unterzeichnen, sagte Trump in einem am Mittwoch veröffentlichten Video. (Frank Herrmann aus Washington, 8.10.2020)