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Experten sind weiter auf der Suche nach der Ursache der Umweltkatastrophe.
Foto: Reuters/Investigative Committee of Russia

Moskau – Die Ursache der Umweltkatastrophe vor der Halbinsel Kamtschatka im fernen Osten Russlands bleibt weiterhin rätselhaft. Vergangene Woche hatte die Umweltorganisation Greenpeace auf Berichte in sozialen Netzwerken über eine große Zahl angespülter toter Robben, Kraken, Seesterne und Fische vor Kamtschatka hingewiesen. Taucher berichteten, dass bis zu 95 Prozent der Tiere am Meeresboden verendet seien. Menschen hatten an den bei Surfern beliebten Stränden zudem über Vergiftungsbeschwerden geklagt.

Überlebt hätten lediglich einige wenige große Fische, Garnelen und Krabben, erklärten die Wissenschafter des Kronozki-Naturreservats. Es handle sich um eine "Umweltkatastrophe" mit "Langzeitfolgen". Das Wasser habe seine Farbe verändert und rieche schlecht. Betroffen ist vor allem das Gebiet des Chalatyr-Strandes, der besonders bei Touristen und Surfern beliebt ist, sowie die Avacha-Bucht.

Die Avacha-Bucht an der Südostküste Kamtschatkas.

Behörden: Keine Giftstoffe gefunden

Erste Untersuchungen haben bisher keine Erklärung für das massenhafte Tiersterben geliefert. Auch hätte es laut den örtlichen Behörden in der jüngsten Vergangenheit keine Arbeitsunfälle oder ungewöhnlichen Ereignisse gegeben. Das Notfallministerium erklärte, dass es zur Überwachung der Küstenlinie bereits Boote und Drohnen eingesetzt habe; dort seien bisher "keine Verschmutzung sichtbar" gewesen.

"Die entnommenen Proben hätten keine Substanzen, die Leben und Gesundheit von Menschen gefährden könnten, ergeben", teilte der Vize-Regierungschef der Region, Roman Wassilewski, am Mittwoch in der Hauptstadt Petropawlowsk-Kamtschatski mit. Man habe allenfalls leicht erhöhte Eisen- und Phosphatwerte gemessen. Außerdem seien laut Greenpeace "viermal mehr Erdölprodukte und 2,5-mal mehr Phenol" im Wasser festgestellt worden. Mögliche andere Giftstoffe könnten allerdings im Meerwasser verdünnt worden sein. In der Großstadt Wladiwostok und in der Hauptstadt Moskau sollen nun weitere Analysen Klarheit bringen.

Satellitenaufnahmen der betroffenen Regionen.
Foto: AFP/Russian Space Agency Roscosmos

Umweltschützer vermuten, dass Giftstoffe von zwei Mülldeponien unweit von Petropawlowsk-Kamtschatski in den Fluss Nalytschewa und dann ins Meer gelangt sein könnten. Belege gab es zunächst freilich nicht. Auf den Deponien lagern unter anderem landwirtschaftliche Pestizide und Arsenverbindungen. Die russische Ermittlungsbehörde leitete zwar ein Verfahren wegen Umweltverschmutzung ein. Mutmaßliche Verdächtige gibt es bisher aber nicht. Auch der WWF Russland vermutet, dass die Verschmutzung des Meerwassers nicht auf ausgelaufenes Öl zurückzuführen ist. Beobachtungen hätten vielmehr gezeigt, dass eine gut lösliche und "hochgiftige transparente Substanz" im Wasser treibe, erklärten Vertreter der Umweltschutzorganisation.

Bedrohliches Erbe aus der Sowjetzeit

Die Experten hatten am Dienstag auch Wasserproben an den beiden militärischen Testgeländen Radygino und Kozelsky entnommen. In Kozelsky waren zu Sowjetzeiten giftige Chemikalien im Untergrund der Halbinsel vergraben worden. Der 1979 eröffnete Standort hat heute keinen rechtmäßigen Eigentümer mehr. Radygino liegt etwa zehn Kilometer vom Meer entfernt und wurde im August für Bohrungen genutzt. Der Biologe Wladimir Burkanow vermutete laut der unabhängigen russischen Zeitung "Nowaja Gaseta", dass ein altes Raketentreibstofflager ursächlich für die Verschmutzung sein könnte. "Die nächstliegende Antwort, woher die Verschmutzung kommt, ist der Standort Kozelsky mit den giftigen Chemikalien", sagte auch der Regionalgouverneur Wladimir Solodow.

Laut Greenpeace Russland gibt es auf dem unbewachten Gelände "allein nach offiziellen Angaben etwa 108 Tonnen Pestizide und giftige Chemikalien". Laut der Regionalbehörde entdeckten die Ermittler vor Ort abgeschnittene Stacheldrähte und Schäden an einer Schutzhülle.

Tausende tote Tiere wurden in den letzten Tagen an die Strände gespült.
Foto: imago images/Anna Strelchenko/TASS

Augenbrennen und Rachenschmerzen

Auf Anweisung von Staatschef Wladimir Putin wurden Untersuchungen eingeleitet. Die Verschmutzungen waren entdeckt worden, nachdem Surfer sich über Augenbrennen und Rachenschmerzen beklagt hatten. Auch der Dokumentarfilmer und Internetstar Juri Dud berichtete von seltsamen Symptomen, die Surfer in den vergangenen Wochen bemerkt hätten. "Viele haben den Ozean eilig verlassen. Die Symptome treten auch ohne Kontakt mit dem Wasser auf", sagte er.

Kamtschatka ist eine der abgelegensten und unzugänglichsten Regionen Russlands. Die unberührte Halbinsel mit ihren zahlreichen Wildtieren und aktiven Vulkanen ist ein beliebtes Ziel für Abenteuertouristen. (red, 9. 10. 2020)