Am Wake Forest Institute in den USA ist es bereits gelungen, künstliche Ohren zu drucken, die mit lebenden Zellen ausgestattet sind.

Foto: Wake Forest Institute for Regenerative Medicine

Maria Rosenberger hat gelernt zu warten. Elf Monate, ein Jahr, vielleicht auch drei oder vier Jahre, wenn es sein muss. Sie braucht eine neue Niere – und das schon zum zweiten Mal. Rosenberger leidet an Typ-1-Diabetes, einem Insulinmangel, durch den es zu einem erhöhten Zuckergehalt im Blut kommt. Der hohe Blutzucker und Blutdruck haben ihre Nieren geschädigt, seit zwei Jahren wartet sie auf eine Spenderniere. "Es ist wie bei einem Lotteriespiel, man weiß nicht, wann man zum Zug kommt", sagt die 59-Jährige. Lebensgefährlich ist das für sie nicht, sie kann auch durch eine Dialyse leben. "Trotzdem sind die Einschränkungen im Alltag groß", sagt die Oberösterreicherin.

Sie ist längst nicht die Einzige, die in Österreich auf ein Spenderorgan wartet. Laut Eurotransplant, jener Organisation, die Spenderorgane in acht europäischen Ländern – darunter Österreich – vermittelt, befinden sich in hierzulande derzeit rund 800 Menschen auf der Warteliste. Je nach Organ ist die Wartezeit verschieden: Circa 40 Monate sind es im Durchschnitt bei einer Niere, 19 Monate bei einer Leber und drei Monate bei einem Herz. Noch immer würden jedes Jahr Menschen sterben, die nicht rechtzeitig eine Organtransplantation bekommen konnten.

Medizinische Revolution?

Es ist einer der Gründe, weshalb Forscher und Mediziner daran arbeiten, menschliche Organe und Gewebe in Zukunft durch künstliche Materialien und mittels 3D-Druck herzustellen. Ob Silikonherzen, künstliche Hautmodelle oder Miniatur-Lungen: Was noch vor Jahren wie Zukunftsmusik klang, nimmt langsam konkrete Formen an. Die Innovationen machen nicht nur Hoffnung auf eine Revolution medizinischer Versorgung, sondern beflügeln in einigen Ländern auch einen milliardenschweren Absatzmarkt. Aber noch sind viele Fragen offen.

Gewebe aus dem 3D-Drucker

Die Welt der Bio-Printer ist eine Mischung steriler Labore und Technik. Wie etwa im Unternehmen Arthro Kinetics in Krems in Niederösterreich. Wer die Labore betreten will, darf das nur mit einem Ganzkörperanzug, Handschuhen, Maske und nach einer einstündigen Hygieneprozedur. "Hier stellen wir die Rohmaterialien her", erklärt Sylvia Kessel, Leiterin des Unternehmens, "sogenannte Kollagene". Kollagene sind bei Tieren und Menschen vorkommende Proteine, die schon seit Jahren bei der Herstellung von Medikamenten oder Hautcremen zum Einsatz kommen. Aber die Proteine bieten weit mehr Möglichkeiten: Mithilfe eines speziellen 3D-Druckers lassen sich damit Schicht für Schicht lebende Hautmodelle erstellen, die eigene Gefäßzellen ausbilden.

In den Labors der Arthro Kinetics werden Bestandteile für lebende Hautmodelle hergestellt.
Foto: Fotografie Herfert

Der Vorgang ist so kompliziert, dass sich Wissenschafter darüber schon seit Jahren den Kopf zerbrechen. Denn die Gewebe und künstlichen Organe müssen durchblutet sein, weshalb sie mit winzigen künstlichen Kanälen durchzogen werden, sie müssen ausreichend stabil sein und neue Zellen nachbilden können. "Besonders bei der Durchblutung hat es bisher gehapert", sagt Kessel.

Organe noch Jahre entfernt

Nicht zuletzt deshalb ist der Einsatz von künstlichen und funktionsfähigen Organen beim Menschen noch einige Jahre entfernt. Forscher wie Kessel schätzen aber, dass es in den nächsten zehn Jahren schon so weit sein könnte. Die Hautmodelle, die Arthro Kinetics zusammen mit der Universität Innsbruck entwickelt hat, eröffnen schon jetzt einige Möglichkeiten. Denn sie können beispielsweise für die Testung von Medikamenten oder bei der Erforschung von Infektionen eingesetzt werden. Damit sollen in Zukunft Tierversuche vermieden werden, so die Forscher.

Wie weit die Forschung auf diesem Gebiet bereits ist, zeigt sich vor allem in den USA. Am Wake Forest Institute for Regenerative Medicine in North Carolina haben Forscher mithilfe von 3D-Druckern winzige Kopien menschlicher Organe, wie etwa Lungen, erstellt. An diesen sollen Medikamente – unter anderem jene gegen das Coronavirus – getestet werden. Bereits in der Vergangenheit konnten die Forscher Ohren drucken, die anschließend Mäusen und Ratten eingepflanzt wurden. Die Organe konnten nicht nur mehrere Monate lang überleben, sondern sind an den Tieren auch weiter gewachsen.

Vom Einsatz ganzer gedruckter Organe beim Menschen ist man in der Forschung noch einige Jahre entfernt. Aber künstliche Organteile, wie hier eine Herzklappe, könnten schon bald für Medikamententests zum Einsatz kommen.
Foto: APA/AFP/Carnegie Mellon University

Ein Herz aus Silikon

Gleichzeitig arbeiten die Forscher daran, Hautgewebe zu erzeugen, das möglichst nahe an die individuellen Eigenschaften des Patienten herankommt. Indem Gewebezellen von Patienten entnommen werden, könne beispielsweise Hautfarbe, Haare und Anzahl der Schweißdrüsen an die natürliche Haut angepasst werden. Einsatzgebiete für die künstliche Haut gebe es einige: etwa, um Brandverletzungen auszubessern, oder auch bei Tumorpatienten, um geschädigtes Gewebe zu ersetzen.

An der ETH in Zürich haben es Forscher sogar geschafft, ein ganzes Herz aus Silikon zu drucken, das zumindest für eine halbe Stunde wie ein echtes Herz schlägt und eines Tages in menschlichen Körpern zum Einsatz kommen könnte. Und ein Team der Newcastle University konnte kürzlich eine künstliche Hornhaut drucken, die jene von Spendern ablösen könnte.

Großer Absatzmarkt

Hinter den Entwicklungen stecken laut Kessel nicht nur gesundheitliche, sondern auch kommerzielle Interessen, was besonders auf die USA zutreffe. Dort ist der Gewebemarkt Berechnungen zufolge schon jetzt mehrere Milliarden Dollar schwer – mit hohen Wachstumsraten und den höchsten Erlösen innerhalb der Transplantationsindustrie. Denn während aus einem Leichnam lediglich eine Handvoll Organe für die Spende verwendet werden können, können Gewebe wie Haut, Knochen oder Herzklappen gleich an dutzende Patienten gespendet werden.

Ein Grund, weshalb neben staatlichen Forschungseinrichtungen auch immer mehr Start-ups in das Rennen um die gedruckten Gewebe und Organe einsteigen. Wie zum Beispiel das Unternehmen Organovo in den USA, das künstliche 3D-Hautmodelle erstellt, und für die Forschung bereits mehr als 40 Millionen US-Dollar lukrieren konnte. Dabei verspricht jedes Start-up, die "richtige" Rezeptur für die Biotinte, die im 3D-Drucker verwendet wird, entwickelt zu haben.

Viele ethische Bedenken

Das Thema wirft laut Experten aber noch viele ethische und regulatorische Fragen auf. Denn Gewebe und Organe sind keine herkömmlichen Produkte – ein Grund, weshalb Gewebebanken in Österreich und Deutschland überwiegend gemeinnützig organisiert und dem Gewinnstreben Grenzen gesetzt sind. Trotzdem werde es bei der Frage künstlicher Organe und Gewebe ums Geld gehen, sagt Kessel. Die Entwicklung und Herstellung sei oftmals teuer. Wird eine Behandlung vom Gesundheitssystem nicht erstattet, könnte sie vor allem Privatpatienten zugutekommen, die sich die künstlichen Organe leisten können. Alle anderen müssten weiterhin auf Spenderorgane warten.

"Wir müssen uns fragen, wem die Organe am Ende helfen werden. Das ist eine Frage der Verteilungsgerechtigkeit", sagt Markus Christen, Forscher am Institut für Biomedizinische Ethik an der Universität Zürich. Aber es seien auch viele weitere Fragen zu diskutieren: Woher kommen die Stammzellen, die für die Züchtung benötigt werden? Wem gehören die gedruckten Organe? Anders ausgedrückt: Wird es bei den gedruckten Organen ein Recht auf Patent geben? Wer haftet, wenn ein gedrucktes Organ plötzlich versagt?

"Bioprinting könnte dereinst als Instrument im Kunstbetrieb und in der Unterhaltung eingesetzt werden", sagt Christen. Etwa in der Bio-Kunst, in der Skulpturen oder sonstige Kunstobjekte aus lebenden Geweben hergestellt werden. Oder in der Bio-Unterhaltung, die dann Sex-Toys aus lebendem Gewebe anbietet. Wäre eine solche Nutzung als Entwürdigung des Lebens anzusehen? Wie könnte man solche Nutzungsformen reglementieren oder gar verbieten?

Augen als Datenquelle

Schließlich fragen sich einige Forscher, wie damit umzugehen ist, wenn künstliche Organe eines Tages mit erweiterten Funktionen ausgestattet sind. Einen konkreten Fall haben bereits die futuristisch anmutenden Pläne des italienischen Start-ups Mhox geliefert. Dort bastelt man an Konzepten zu gedruckten Augen, die nicht nur die Sehschwäche ausgleichen, sondern diese technisch noch erweitern sollen. Das Auge soll demnach das Gesehene filtern (die Forscher denken etwa an Vintage oder Schwarz-Weiß Filter), und wie eine Kamera aufzeichnen und mit anderen Augen beziehungsweise Menschen teilen können.

Für Menschen wie Rosenberger, die auf der Organwarteliste stehen, werden die Entwicklungen wohl kaum mehr eine Rolle spielen. Statt künstlicher Organe hofft sie auf den geeigneten Spender. "Aber ich habe auch gelernt, mich auf die Dialyse einzustellen", sagt sie. Ihre Erfahrungen als bereits Transplantierte teilt sie seit einiger Zeit in Selbsthilfegruppen und bei Stammtischen. Dort will sie anderen Patienten die Angst vor der Dialyse und der Transplantation nehmen. "Wer sich an die Medikamente und die Dialysemaschinen gewöhnt und diese akzeptiert, kann auch danach noch ein gutes Leben führen." (Jakob Pallinger, 23.10.2020)