Die Zerstörungen in Stepanakert sind massiv.

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Die Nervosität ist groß: Das armenische Außenministerium hat die Akkreditierung des russischen Korrespondenten Ilja Asar eingezogen. Asar, einer der bekanntesten unabhängigen Journalisten in Russland, hatte für die "Nowaja Gaseta" eine Reportage aus dem Kriegsgebiet geschrieben, aus der unter anderem die schwierige Lage und die hohen Verluste aufseiten der Verteidiger in der vornehmlich von Armeniern bewohnten Region ersichtlich wird.

Von solchen "panikmacherischen" Berichten hält Armeniens Verteidigungsministerium gar nichts. Das Militär versicherte, die "Lage souverän zu kontrollieren und die Aktivität des Gegners zu unterbinden", auch wenn es zugleich mitteilte, dass die Kampfhandlungen am Donnerstagmorgen sowohl im nördlichen als auch im südlichen Frontabschnitt wieder eingesetzt haben.

Medien berichten zudem, dass auch die Hauptstadt der Region, Stepanakert, wieder Ziel von Bombardements geworden sei. Stepanakert mit seinen rund 50.000 Einwohnern wurde bereits in den vergangenen Tagen durch Raketeneinschläge schwer zerstört.

Höhe der Verluste unklar

Die seit dem 27. September laufenden Gefechte sind die schwersten Auseinandersetzungen zwischen den beiden Ex-Sowjetrepubliken Armenien und Aserbaidschan seit dem Waffenstillstand im Bergkarabach-Konflikt 1994. Wie hoch die Verluste auf beiden Seiten sind, ist unklar, da Baku und Eriwan dazu höchst unterschiedliche Angaben machen und es praktisch keine objektiven Möglichkeiten gibt, diese bestätigen zu lassen.

So teilte die Regierung der mit Armenien verbündeten Region Berg-Karabach mit, dass seit Ausbruch der Kämpfe 339 eigene Soldaten und über 4.000 aserbaidschanische Soldaten gefallen seien, wobei auf aserbaidschanischer Seite auch türkisches Militär und syrische Söldner kämpfen sollen.

Baku schweigt über seine militärischen Verluste, beklagt lediglich den Tod von 31 Zivilisten, rühmt sich aber gleichzeitig ebenfalls der Vernichtung mehrerer Tausend armenischer Soldaten und des Abschusses von über 150 Panzern. Die Lageberichte beider Seiten erinnern an sozialistische Planerfüllung, meint der russische Militärexperte Viktor Baranetz. So viele Panzer, wie vernichtet worden seien, habe die Gegenseite gar nicht, resümierte er.

Gespräche unter Führung der Minsker Gruppe

Ihr Ziel, die schnelle Einnahme Bergkarabachs, haben die aserbaidschanischen Truppen nicht erreicht. Allerdings sind wohl mehrere Orte inzwischen in ihrer Hand. Den Vorteil wollte sich Baku möglichst noch vor den Vermittlungsgesprächen in Genf sichern.

Die Gespräche haben am Donnerstag unter Führung der Minsker Gruppe der OSZE im Beisein von Vertretern der USA, Frankreichs und Russlands begonnen. Die Außenminister Armeniens und Aserbaidschans sind angereist, wollten aber zunächst nicht persönlich miteinander sprechen. Aserbaidschans Außenminister Jeyhun Bayramov erklärte diesbezüglich, er werde nur die Position Bakus darlegen.

Es gab zwar im Tagesverlauf Berichte, dass sich beide Seiten informell auf einen Waffenstillstand schon am Abend geeinigt hätten. Das Informationszentrum der armenischen Streitkräfte dementierte diese Berichte jedoch anschließend schnell wieder.

So bleibt einzig die Hoffnung auf den Druck der internationalen Vermittler bei den Gesprächen in Genf. Sowohl die USA als auch Frankreich und Russland haben die Konfliktparteien zur Beendigung der Kampfhandlungen aufgefordert. Moskau versucht, dank seiner relativ engen Kontakte zu beiden Seiten sich als Vermittler einzubringen. Armeniens Premier Nikol Paschinjan erklärte zuletzt, dass Eriwan zu Zugeständnissen in der Bergkarabach-Frage bereit sei.

Auch Österreich will vermitteln

Kremlsprecher Dmitri Peskow versicherte, dass Russland alle diplomatischen Hebel in Gang setzen werde, um das Blutvergießen zu beenden. So ist am 12. Oktober Armeniens Außenminister Sograb Mnazakonjan bei seinem russischem Amtskollegen Sergej Lawrow zu Gast. Ein Durchbruch ist jedoch noch nicht in Sicht. So dementierte Peskow, dass ein trilaterales Treffen zwischen Wladimir Putin, Paschinjan und Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew auf der Tagesordnung stehe.

Auch Bundeskanzler Sebastian Kurz hat beiden Seiten angeboten, in Österreich Gespräche zur Beilegung des Konflikts zu führen. Zudem habe er in einem Telefonat mit Armeniens Regierungschef Nikol Paschinian seine Hoffnung auf eine friedliche Lösung zum Ausdruck gebracht, twitterte Kurz am Donnerstag. (André Ballin, 8.10.2020)