Die Amazonas-Brände haben für viel Kritik an Mercosur gesorgt. Durch den Deal würden Agrarexporte aus Südamerika steigen – und mehr Regenwald gerodet werden.

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Wenn es um das Mercosur-Abkommen geht, herrscht in Österreich ungewöhnlich breiter Konsens. Mit Ausnahme der Neos haben sich Politiker sämtlicher Parteien ablehnend zum geplanten Handelsdeal zwischen Brasilien, Argentinien, Uruguay, Paraguay und der EU geäußert. Zuletzt geriet das Abkommen in die Schusslinie, nachdem in Brasiliens Regenwald riesige Brände gewütet hatten. Nichtsdestoweniger wurde weiterverhandelt. Ein Teil des Pakets, das Assoziierungsabkommen, liegt dem STANDARD und einigen deutschen Medien nun vor.

Bei dem Assoziierungsabkommen, das mit Juni 2020 datiert wurde, handelt es sich um das "Dach" von Mercosur, das die Rechte und Pflichten der Vertragspartner regelt. Das vorliegende rund 60-seitige Papier ist allerdings nicht komplett, Anhänge und Protokolle fehlen.

Vor allem im Bereich des Umwelt- und Klimaschutzes habe das Paket "einige Schwächen", fasst Thomas Fritz im Gespräch mit dem STANDARD zusammen. Der deutsche Handelsexperte hat das Dokument, das er für authentisch einschätzt, für Greenpeace analysiert. Bei der Umwelt-NGO landete es über einen Leak. Fritz kritisiert vor allem, dass Umweltauflagen in dem Abkommen nicht zum "essential element" gekürt wurden. Das heißt, dass die Vertragsparteien bei einem Verstoß keine Sanktionsmöglichkeiten haben. Nur zwei Bereichen wurde dieser Rang eingeräumt: Menschenrechtsverletzungen und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen können geahndet werden, müssen aber nicht.

Kaum Umweltambitionen

Für die Umwelt gilt das allerdings nicht. Zwar wird die Umsetzung der nachhaltigen Entwicklungsziele und des Pariser Klimaabkommens in dem Text "begrüßt" und zu deren "rascher Umsetzung" aufgerufen, viel weiter gehen die Ambitionen aber nicht. Erwähnt wird auch, dass die Länder nachhaltige Produktionsmuster fördern und Bewusstsein für die Kosten der Umweltzerstörung schaffen sollen. Entscheidet Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro, der mit dem Ausstieg aus dem Pariser Abkommen liebäugelt, Brandrodungen nicht vehementer einzuschränken, drohen ihm dennoch keine Strafen.

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Auch der Handelspart des Abkommens, von dem einige Kapitel im Vorjahr veröffentlicht wurden, sieht keine Sanktionen bei Verstößen im Umweltsektor vor. Dabei hätte die EU aus Sicht des Handelsexperten Fritz noch einen Schritt weiter gehen und die Einhaltung der nationalen Klimaschutzbeiträge im Vertrag einfordern müssen.

Trotzdem sorgt zumindest ein Unterpunkt im Klimakapitel für eine Überraschung, sagt Fritz. So wurde darin ein Ausstieg aus fossilen Subventionen festgehalten. Zwar wurde die Maßnahme mit keinen Verpflichtungen oder Zeitplänen unterfüttert, aber allein das Nennen sei "bemerkenswert".

Neben mangelnden Umweltrichtlinien ortet der Handelsexperte auch einige andere Hindernisse: In dem Abkommen wurde etwa beschlossen, dass ein Assoziierungsrat und ein Assoziierungsausschuss eingerichtet werden sollen. Diese setzen sich aus Ministern und aus höheren Beamten auf EU- und Mercosur-Ebene zusammen – und haben "durchaus große Macht", wie Fritz erklärt. Sie können bestimmte Elemente im Abkommen verändern. Ob und wie EU-Parlament und Rat dabei mitreden können, wurde nicht definiert, kritisiert Fritz. Zudem würden Beschwerdemöglichkeiten für die Zivilgesellschaft fehlen wie auch eine unabhängige Monitoring-Instanz, die die Auswirkungen des Deals untersucht.

Vorläufige Anwendung möglich

Wie auch das Handelsabkommen Ceta kann Mercosur vor einer Ratifizierung der Mitgliedsstaaten vorläufig angewendet werden, ein Beschluss im Rat ist dennoch notwendig. Im Gegensatz zum EU-Kanada-Pakt wurden Unternehmen aber keine Klagerechte eingeräumt. Die Mercosur-Gemeinschaft kann aber "zerschlagen" werden: Die EU hat sich herausgenommen, den Deal vorläufig auch nur mit einem Teil der vier südamerikanischen Staaten einzugehen. Umgekehrt ist das nicht möglich.

Die Verhandlungen über das Abkommen dauerten rund 20 Jahre und sind nun – zumindest offiziell – abgeschlossen. Jetzt beginnt das sogenannte "legal scrubbing", erklärt der Agrarexperte Sebastian Theissing-Matei von Greenpeace. Dabei werden die einzelnen Kapitel von Juristen durchforstet. Dieser Teil werde inoffiziell durchaus für weitere Verhandlungen genützt, sagt Theissing-Matei und zieht Ceta als Beispiel heran. Bei dem Handelsabkommen wurde der finale Text vor der Fertigstellung nach Angaben von Greenpeace bis zu 20 Prozent verändert. Das könnte nun bei Mercosur erneut geschehen.

Abstimmung steht aus

Zu offiziellen Abstimmungen auf EU-Ebene kommt es jedenfalls erst, wenn das Dokument in alle Amtssprachen der Union übersetzt wurde. Wann genau es zu einer finalen Abstimmung komme, lasse sich derzeit noch nicht abschätzen, so Theissig-Matei. Er rechnet erst im ersten Halbjahr 2021 damit. Am 9. November steht das Mercosur-Abkommen auf jeden Fall auf der Tagesordnung im Rat der EU-Außenminister.

Da könnte auch das sogenannte "Splitting" Thema werden. Offenbar gibt es Pläne, das Abkommen zweizuteilen – was ein politisches Novum wäre. Denn bisher galt, dass auf EU-Ebene Einstimmigkeit für das Abkommen notwendig ist. Durch eine Zweiteilung würde über das Handels- und das Assoziierungsabkommen allerdings gesondert abgestimmt werden, erklärt Theissing-Matei. Während Letzteres Einstimmigkeit im Rat benötigt, könnte der Handelspart mit einer qualifizierten Mehrheit durchgesetzt werden. Fix ist das allerdings noch nicht.

Umwelt-NGOs laufen seit Jahren gegen das Mercosur-Abkommen Sturm – auch Greenpeace ist dagegen.
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Eine weitere "Hintertür" könnte aus Sicht von Greenpeace eine Zusatzvereinbarung sein, die neben dem eigentlichen Handelsdeal geschlossen wird. Darin könnten sich die Staaten beispielsweise darauf einigen, dass der Amazonas geschützt werden soll. "Reine Augenauswischerei" nennt der Theissing-Matei die Idee. Immerhin wären Verstöße weiterhin nicht sanktionierbar.

Insgesamt zeigt sich die NGO von dem Papier enttäuscht und ortet "eklatante Mängel" in Bezug auf Klima- und Umweltschutz, Demokratie und Transparenz. Nun steht die Abstimmung auf EU-Ebene an. Auch dort gibt es allerdings kräftigen Gegenwind (siehe Wissen).

Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) reagierte am Donnerstagabend auf den Bericht. Das Dokument würde Befürchtungen bestätigen, "dass Klima- und Umweltschutz bei Mercosur ins Hintertreffen gerät, Umweltschutzbestimmungen unverbindlich bleiben und mögliche Schlupflöcher im Abkommen demokratiepolitisch mehr als bedenklich sind", so der grüne Politiker. "Eine allfällige Hintertür, mit der die ablehnende Haltung Österreichs und anderer Parlamente umgangen wird, muss geschlossen werden."

Kogler hat unlängst einen Brief an die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel geschickt, in dem er die ablehnende Haltung der Regierung zu Mercosur bestätigte. Darüber hinaus hat er Widerstand angekündigt, falls es durch "rechtliche Tricks" und einer Teilung des Abkommens zu einer Umgehung der demokratischen Mitspracherechte der Mitgliedsstaaten komme. (Nora Laufer, 8.10.2020)