Fahnenträger während des Festumzugs anlässlich des 90. Jahrestages der Kärntner Volksabstimmung vor zehn Jahren.

Foto: GERT EGGENBERGER / APA / picturedesk.com

Sozialwissenschafter Hermann Kuschej schreibt in seinem Gastkommentar über den "zwiespältigen Stand der Erinnerungskultur des Landes".

"Carinthija 2020" nennt sich die Standortbestimmung des Landes Kärnten 100 Jahre nach der Kärntner Volksabstimmung und 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Den zwiespältigen Stand der Erinnerungskultur des Landes vermag exemplarisch ein Gedenkprojekt in Bleiburg/Pliberk widerzuspiegeln. Dort wurde von einem Künstlerduo unter dem Arbeitstitel "Universelles Gedenkfeld" aus dem örtlichen Fundus an Kriegerdenkmälern jüngst ein "Platz des Gedenkens" geschaffen.

Man rühmt sich, die Kriegsopfer der jüngeren Geschichte auf eine Ebene gestellt zu haben: Gefallene des Ersten Weltkriegs, des "Kärntner Abwehrkampfes" gegen territoriale Ansprüche des Königreichs Jugoslawiens nach dem Ende der österreich-ungarischen Monarchie und – nahtlos – Gefallene des Zweiten Weltkriegs, also Wehrmachtssoldaten, SS- und SA-Mitglieder.

Bisher waren das die einzigen Opfer, derer man gedachte, für die Opfer des Nationalsozialismus gab es bis 75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges kein Denkmal. Nun wurde eine Gedenktafel geschaffen, die ab jetzt auch daran erinnern soll, speziell an die "Ausgesiedelten". Das sind slowenische Familien, die ab 1941 von ihren Höfen vertrieben und in die Lager der Nazis verbracht wurden.

Historische Gerechtigkeit

Es galt in der Kontinuität der deutschnationalen Bestrebungen vor allem ab 1918, Kärnten "wieder Deutsch zu machen". Dazu gab es neben einem Führerbefehl auch willfährige und tatkräftige Erfüllungsgehilfen aus dem Kreis Deutsch-Kärntner Bürgerinnen und Bürger. Vielfach dienten die Söhne der "Ausgesiedelten" in der Wehrmacht, wo sie an der Ostfront jenen Lebensraum erobern sollten, in welchem ihre Familien laut Plänen des Führers wieder anzusiedeln gewesen wären. Einige dieser Söhne und auch Töchter schlossen sich in der Folge dem Widerstand der jugoslawischen Partisanen in Kärnten an.

Die "Ausgesiedelten" und andere Opfer des Nationalsozialismus nun symbolisch kurzerhand und kommentarlos neben die "Helden"-Denkmäler des "Kärntner Abwehrkampfes" und des Zweiten Weltkriegs zu stelle, heißt, Ersteren historische Gerechtigkeit vorzuenthalten. Die Mitverantwortung des Deutschnationalismus in Kärnten sowie die Beteiligung von SS und Wehrmacht an den Vertreibungen und Erschießungen der Zivilbevölkerung wären klar zu benennen, statt sich unter Bezug auf das allgemein Böse von "Krieg und Gewaltherrschaft" einer ernsthaften Auseinandersetzung mit der Kärntner Vergangenheit seit 1918 weiter zu entziehen. Denn bei nüchterner Betrachtung ist zu konstatieren, dass die Volksabstimmung von 1920 von deutschnationaler Politik in Kärnten vereinnahmt und gegen alles Slowenische in Kärnten instrumentalisiert wurde, was schließlich dem Treiben der Nazis in die Karten spielte. Und nach 1945 lebte dieser Geist weiter fort, etwa in der Ortstafelfrage – also im parteiübergreifenden Widerstand gegen die im Staatsvertrag von 1955 verbrieften Minderheitenrechte auf zweisprachige Ortsbezeichnungen.

Nicht repräsentiert

Der Umstand, dass im universellen Gedenken auch jeglicher Hinweis auf die in der Regel slowenischen Opfer des bewaffneten Widerstands gegen den NS-Terror fehlt, ist ein weiteres Indiz für nach wie vor bestehende politische Tabus in Kärnten. Zwar hat dieser Widerstand wesentlich dazu beigetragen, dass Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg als souveräner unabhängiger Staat entstehen konnte, allerdings sind seine Opfer im universellen Kärntner Gedenken nach wie vor nicht repräsentiert.

Insofern ist es stimmig, dass der "Platz des Gedenkens" als Teilprojekt der historischen Standortbestimmung "Carinthija 2020" weiterhin unvollkommen ist – es sind noch unbesetzte Fundamente für weitere Opfer- und "Helden"-Denkmäler vorgesehen. Es darf aber bezweifelt werden, ob für diesen Kunstgriff Bert Brechts Epilog in Arturo Ui Pate gestanden hat. (Hermann Kuschej, 9.10.2020)