Es braut sich etwas zusammen. Ein zweifelhafter Rekord jagt den anderen. Österreich verzeichnet einen Höchststand an Neuinfektionen mit dem Coronavirus. In Deutschland sind Regierungspolitiker höchst besorgt über die zunehmende Dynamik des Infektionsgeschehens. Tschechien meldet den schnellsten Anstieg in Europa. In Frankreich ist die Metropole Paris beim maximalen Alarmzustand angelangt und sperrt Bars und Cafés.

Das Virus breitet sich immer weiter aus. Es wird verbreitet. Von Mensch zu Mensch.
Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Was ist da los? Hat die Erfahrung im Frühjahr während des Lockdowns nicht gereicht? Wir reden seit fast einem Dreivierteljahr über das Coronavirus. Politikerinnen und Politiker geben Pressekonferenzen quasi in Dauerschleife. Virologen, Epidemiologinnen, Umweltmediziner und Infektiologinnen reden sich den Mund fusselig. Und was passiert? Das Virus breitet sich immer weiter aus.

Stopp! Es wird verbreitet. Von Mensch zu Mensch. Durch Menschen. Durch Unachtsamkeit, Ignoranz, vielleicht ein trügerisches Ich-bin-jung-und-unverwundbar-Gefühl oder bloß den alltäglichen Schlendrian.

Das ist der entscheidende Punkt: Der Einzelne, die Einzelne ist der Gravitationspunkt der Pandemieentwicklung – in beide Richtungen: als Treiber und Superspreader oder als Bremser und Stopper. Das muss in viele Köpfe erst hinein. Denn wie sonst ist erklärbar, dass nicht nur Österreich in einer Art Regression wieder in den Zustand der gefürchteten Lockdown-Zeit zu taumeln droht? Je länger die Pandemie dauert, desto weniger Bewusstsein für die anhaltende Gefahr scheint es vielerorts zu geben.

Managen der Pandemie

Da ist es zu einfach zu sagen: Die Regierungen sind schuld, die verbocken die Corona-Tests, die Kontaktverfolgung dauert zu lang etc. Ja, natürlich gibt es Fehler. Aber das Managen einer Pandemie ist auch kein so ganz simpler Job. Da ändert sich die Lage von Tag zu Tag.

Also müssen wir woanders ansetzen und für mehr Verlässlichkeit und Stabilität sorgen. Bei uns selbst. Im Alltag. Indem wir das epidemiologische AHA-Programm – Abstand halten, Hände waschen, Alltagsmaske (und jetzt auch Lüften) – automatisieren und im Unterbewusstsein verankern. Also in das Repertoire selbstverständlicher Alltagshandlungen integrieren. So wie wir in der Früh aufstehen und uns die Zähne putzen. Automatisch. Die allermeisten jedenfalls. Niemand geht im Normalfall aus dem Haus und schreckt auf: Ooops, ich habe aufs Zähneputzen vergessen! Dahin müssen wir auch mit den Basisregeln der Corona-Prävention kommen – mit dem schönen Nebeneffekt, dass das auch andere Infektionskrankheiten abwehrt. Sie müssen beiläufig werden.

Das muss man lernen. Warum nicht im Kindergarten und in der Schule Gesundheitsunterricht etablieren? Gesundheitstagebücher in den Studienalltag einbauen? Bewusstsein schaffen für die eigene Gesundheit und die der anderen. Nicht nur in Krisenzeiten. Denn die Corona-Pandemie ist – wie die Klimakrise! Ja, die gibt es auch noch ... – ein exemplarischer Fall dafür, wie machtlos Politik ohne Bürgerinnen und Bürger ist.

Wie gut wir da durchkommen, hängt von uns allen ab. Nicht irgendwer – die Politik, das Ausland, die anderen – ist schuld, wenn die Infektionszahlen steigen. Wir selbst sind es. Die Regierung kann zwar einen neuerlichen Lockdown verhängen, wenn alle Dämme brechen, dann muss sie vielleicht sogar. Aber verhindern kann sie ihn nicht. Das können nur wir. Es liegt an uns, was geschieht. (Lisa Nimmervoll, 9.10.2020)