Der Prozess zum Tiergarten-Mord in Berlin zieht großes Interesse auf sich. Zum Prozessauftakt in einem Hochsicherheitssaal schwieg der russische Angeklagte in einer Panzerglasbox zu den Vorwürfen.

Die deutsche Bundesanwaltschaft wirft dem Mann vor, im Auftrag staatlicher russischer Stellen am 23. August 2019 einen Georgier tschetschenischer Abstammung mit einer Schalldämpferpistole am helllichten Tag in der Berliner Parkanlage Kleiner Tiergarten liquidiert zu haben.

Foto: AFP/Odd Anderson

Die Polizei sicherte den Verhandlungsraum.

Foto: Foto: AFP/Odd Anderson

Der mutmaßliche Mörder soll drei Schüsse abgefeuert haben, zwei davon in den Kopf des bereits am Boden liegenden 40-Jährigen, der am Tatort starb. Im Bild: der abgeschirmte Tatort im Sommer 2019.

Foto: EPA/CLEMENS BILAN

Das Restaurant Alverdes muss man im Berliner Strafgericht eigentlich nicht beschreiben. Fast jeder, der am Gericht arbeitet, kennt es. Es liegt nur ein paar Schritte entfernt, im sogenannten "Kleinen Tiergarten" im Stadtteil Moabit, unweit des Berliner Regierungsviertels. Gerne essen dort auch Mitarbeiter des Landesrechnungshofs. Andreas H. ist einer von ihnen. Beamter, 57 Jahre alt, und an diesem Donnerstag ein wenig angespannt, als er berichtet: "Ich war an jenem Tag dort mit Kollegen zum Mittagessen."

H. ist der erste Zeuge, der im Prozess um den Tiergarten-Mord aufgerufen wird. Dieser hat tags zuvor unter großen Sicherheitsvorkehrungen in Berlin begonnen. Angeklagt ist ein Russe (Wadim Krasikow oder Wadim Sokolow), der am 23. August 2019 den Georgier Zelimkhan Khangoschwili (40) getötet haben soll. Dieser hatte im zweiten Tschetschenienkrieg gegen Russland gekämpft. Der Russe, davon ist die Generalbundesanwaltschaft überzeugt, habe dabei im Auftrag des Kremls gehandelt und einen russischen "Staatsfeind" liquidiert.

Zahlreiche Zeugen

Von all dem weiß der Zeuge H. natürlich noch nichts, als er am 23. August 2019 sein Mittagessen bestellen will. Es sei plötzlich "ein lauter Knall" zu hören gewesen, erinnert er sich. Und die Bedienung habe gerufen: "Da schießt doch einer!" Geistesgegenwärtig habe sie alle Gäste im Garten ins Innere des Restaurants getrieben.

Dieses hat große Scheiben, es war also gut zu sehen, was sich draußen im Park abspielte. "Da war ein Mann mit einem Fahrrad, der seine Waffe in einen Beutel packte", berichtet H. dem Gericht. "Was für eine Gurke", habe er beim Anblick des Fahrrads gedacht, erinnert sich H. Es sei recht "einfach und billig" gewesen. Als der Schütze mit dem Rad flüchten wollte, traf H. eine Entscheidung, die er 14 Monate später vor Gericht so erzählt: "Ich entschloss mich, dem Mann nachzueilen." Kurz habe er natürlich überlegt, ob nicht dem am Boden liegenden Opfer Erste Hilfe zu leisten sei. Aber es sei sofort klar gewesen: "Der Mann war schon tot, der Kopf lag in einer Blutlache."

Gefährliche Verfolgungsjagd

Hingerichtet aus nächster Nähe durch drei Schüsse, einen in den Oberkörper, zwei in den Kopf – so beschreibt es die Anklage. H. ist dann dem Schützen nachgelaufen, hat gleichzeitig die Polizei alarmiert und einen Streifenwagen, der gerade die Turmstraße entlangfuhr, angehalten. Sie habe keine Zeit, habe die Beamtin laut H. gesagt. Darauf er: "Gute Frau, da ist gerade einer erschossen worden."

"Mutig bis tollkühn" sei diese Verfolgung gewesen, sagt der Vorsitzende Richter Olaf Arnoldi vom Berliner Staatsschutzsenat zu H. Der erwidert: "Ich hatte das Gefühl, wenn er den Park verlässt, ist er weg."

H. beschreibt den Schützen als "mittelgroß und auffällig blond". Die Haare seien "schulterlang und gewellt" gewesen, er habe eine dunkle Jogginghose und ein dunkelgrünes oder dunkelblaues T-Shirt getragen.

Schwierige Befragung

"Haben Sie die Waffe gesehen?", will Richter Arnoldi wissen. H. bejaht. Die habe der Täter dann "seelenruhig" in einen Beutel getan. Doch ein Blick in die Akte zeigt, dass die Erinnerung nach 14 Monaten schwierig ist. H. wird vorgehalten, er habe bei der Vernehmung durch die Polizei einen Tag nach der Tat erklärt, keine Waffe gesehen zu haben, zudem einen Rucksack, keinen Beutel. Und er habe damals von zwei Schüssen gesprochen. Jetzt, im Gericht, meint er sich nur an einen zu erinnern. Dann sei es wohl alles so gewesen wie bei der Polizei angegeben, meint H., bevor er entlassen wird.

Nach ihm wird der 38-jährige Zeuge Thorsten F., ein Mitarbeiter des Bezirksamts Berlin-Mitte, befragt. Auch er war im Restaurant Alverdes, als die Schüsse fielen. "Ich habe einen Knall gehört", berichtet er. Und dass er zunächst an einen geplatzten Fahrradreifen gedacht habe sowie an einen Unfall mit zwei Fahrradfahrern. Dann aber sei das Opfer nicht mehr aufgestanden.

Angeklagter schweigt

F. stockt ein wenig und ringt nach Worten, als er weiterspricht. Der andere Mann "stellte sich vor den Kopf" des am Boden Liegenden und "richtete einen Gegenstand" auf diesen, sagt er. Danach sei ein zweiter Knall zu hören gewesen. Er habe den Täter "mit Bedacht" weggehen sehen, fügt er hinzu. Und dann seien alle ins Restaurant gerannt, um sich in Sicherheit zu bringen. "Ich habe auch vermieden, rauszusehen", erinnert er sich.

Und er spricht von einem zweiten Fahrrad, das am Boden lag. Ein solches hatte der erste Zeuge nicht erwähnt. Auch F. ist sich dann nicht mehr ganz sicher, ob da tatsächlich ein zweites Fahrrad lag. Er spricht noch über eine Frau, die – mit einem kleinen Kind auf dem Arm – ins Restaurant gestürmt sei und "aufgelöst" geschrien habe: "Er hat ihm in den Kopf geschossen."

Der Angeklagte äußert sich auch am zweiten Prozesstag nicht. Im "Käfig" aus Holz und Panzerglas ist er kaum zu sehen, nur sein dunkler Haarschopf lugt hervor. Aufgrund der bevorstehenden Berliner Herbstferien findet die nächste Verhandlung erst am 27. Oktober statt. Es werden dann weitere Zeugen aus dem Kleinen Tiergarten gehört. (Birgit Baumann, 8.10.2020)