Wahlberechtigte stellen sich am 10. Oktober 1920 in Völkermarkt vor einer Turnhalle an, die als Wahllokal diente. Ein grüner Zettel stand für Österreich. Wer ihn in die Urne warf, musste den zweiten, weißen Zettel, zerreißen.

Foto: LMK / Mobile Landesausstellung CARINTHIAja 2020

Am 10. Oktober 1920 stimmte der Großteil der Kärntner Slowenen in einer Volksabstimmung dafür, in Österreich zu bleiben und nicht Teil des Staates der Serben, Kroaten und Slowenen, also des SHS-Staats, zu werden. Später wurde das Datum zum Tag für deutschnationale Aufmärsche, die dem Lokalkolorit des "Abwehrkampfs" huldigten, also den bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Verbänden der Kärntner Landesregierung und SHS-Truppen 1919. Heute will das offizielle Kärnten lieber das völkerverbindende Ja feiern. Etwa mit einer mobilen Ausstellung über die Volksabstimmung 2020. Sie ist Teil des Projekts CarinthiJa 2020, mit dem das Land Kärnten das hundertjährige Jubiläum mit 89 Projekten und 300 Veranstaltungen begeht. 2,9 Millionen Euro hat man sich das kosten lassen. Ein Drittel der Projekte stammt von slowenischen Initiativen.

STANDARD: Ist die von Ihnen kuratierte Ausstellung ein Versuch, diesen Teil der Geschichte bewusst neu zu interpretieren?

Konrad: Mir geht es darum, etwas aus dieser Trauma-Falle zu kommen. Ich bin selbst vor 55 Jahren weg aus Kärnten, weil ich es nicht ausgehalten habe, wie man mit der Minderheit umgegangen ist. Ich glaube, man kann heute endlich sagen, dass es die Stimmen der slowenisch sprechenden Bevölkerung waren, die entscheidend für den Ausgang waren. 70 Prozent der Bevölkerung in der Abstimmungszone waren Slowenen, und 60 Prozent in der Abstimmungszone waren dafür, bei Österreich zu bleiben, das heißt also, mindestens 40 Prozent der Slowenen. Vielleicht sogar mehr, weil einige deutsch sprechende Kärntner für das SHS-Königreich gestimmt haben, weil sie dort Besitzungen hatten.

STANDARD: Die Zugehörigkeit zur slowenischen Sprachgruppe oder nationalistische Gedanken waren also nicht ausschlaggebend. Das ist international ein Alleinstellungsmerkmal, oder?

Konrad: Ja, das war in Kärnten eine Vernunftentscheidung gegen eine nationale Sprachsituation. Solche Volksabstimmungen gab es nach dem Ersten Weltkrieg mehrere, etwa zwischen Dänemark und Deutschland oder Polen und Deutschland. Dort wurde abgestimmt wie nach einer Sprachenerhebung.

Slowenischsprachiges Plakat mit dem Abstimmungsergebnis: 22.025 stimmten für Österreich, 15.278 für den SHS-Staat.
Foto: LMK / Mobile Landesausstellung CARINTHIAja 2020

STANDARD: Warum war es in Kärnten anders?

Konrad: Weil der rabiate Nationalismus damals noch nicht wirklich angekommen war. Es gab keine slowenische Uni, nur slowenische Priester haben studiert. Das SHS-Königreich hatte die Wehrpflicht. Die slowenische Ratio sagte: Ich will nicht, dass meine Kinder noch einmal in den Krieg müssen. Österreich hatte dagegen die Sozialgesetzgebung von Ferdinand Hanusch (SPÖ-Sozialpolitiker und Gründer der Arbeiterkammer, Anm.). Die Bauern hatten ihre Absatzmärkte hier und mussten nicht Waren über hohe Pässe schaffen. Da hat eben ein Großteil mit dem Kopf, nicht mit dem Herzen entschieden. Für mich ist es ein Hoffnungsgedanke für die Zukunft, dass rationale Gedanken entscheidend sein können. Da hätte man einen Ansatzpunkt, das 100 Jahre später positiv zu konnotieren.

STANDARD: Österreich hatte den slowenischen Teil der Bevölkerung umworben?

Konrad: Man hatte ihnen versprochen, ihre Kultur zu fördern, man hat alles zweisprachig beworben, aber am 13. Oktober war das schon vergessen. Viele haben sich gleich marginalisiert gefühlt. 19 Jahre später ist dann aufbauend auf das deutschnationale Grundmuster die Schreckensmaschinerie der Nationalsozialisten über die slowenische Bevölkerung drübergefahren. In Sankt Kanzian waren zum Beispiel Ende des 19. Jahrhunderts fast 80 Prozent slowenisch und sind noch vor dem Ersten Weltkrieg, noch in der Monarchie, in die Minderheit abgerutscht. Da haben sie bei Volkszählungen aus ökonomischen Gründen den Wechsel vollzogen. Diesen Wechsel zum Deutschtum gab es also schon schleichend. In der NS-Zeit wurde er dann aber sehr massiv vollzogen. Was zuerst ein Druck zur Überassimilation war, wurde in der NS-Zeit zur Überlebensstrategie. In dieser Phase hat man die Minorität kulturell ganz zum Verschwinden gebracht. Physisch wurde sie in KZs vernichtet, die einzelnen Höfe wurden mit Südtirolern und anderen aus Umsiedlungsprogrammen gefüllt.

STANDARD: Warum hat es auch nach der NS-Zeit so lange gedauert, bis man sich als Kärntner Slowene traute, zu Sprache und Kultur zu stehen?

Konrad: Da denke ich an Peter Handkes Text Immer noch Sturm. Nach 1945 ist keine Windstille eingetreten. Die Integration der Opfer wurde nicht vollzogen. Wie bei der Marginalisierung der Widerstandskämpfer – das trifft verstärkt auf Kärnten zu. Dazu kamen die Partisanen, sie galten als Tito-Kommunisten und somit als Bedrohung.

Die interalliierte Plebiszitkommission 1920 im Burghof in Klagenfurt. Sie wachte unter dem Vorsitz des Briten Sir Capel Peck (Mitte) über die Abwicklung der Abstimmung.
Foto: LMK / Mobile Landesausstellung CARINTHIAja 2020

STANDARD: Wie erinnern Sie sich an antislowenische Ressentiments in Ihrer Jugend?

Konrad: Ich bin in Klagenfurt ins Gymnasium gegangen, da haben am Nachmittag die Schüler des slowenischen Gymnasiums die Klassenzimmer genutzt, weil sie am Anfang kein eigenes Gebäude hatten. Selbst in unserem eher liberalen Gymnasium gab es eine antislowenische Grundstimmung. Wenn irgendwas verdreckt oder kaputt war, hat man schnell gesagt: Heute ist das slowenische Gymnasium übrigens hoch im Kurs.

Die Tochter meines Bruders unterrichtet heute an einer slowenischen Schule in Sankt Jakob. Sie hat in Graz studiert und ist verheiratet mit einem Iren, und die Kinder wachsen dreisprachig auf: deutsch, slowenisch und englisch. Für mich sind das Modellkinder einer nächsten Genration Kärntens. Diese Haltung zu sagen, meine Familie hat keine slowenischen Wurzeln, aber ich bin trotzdem bereit, die Sprache nicht nur zu lernen, sondern auch zu unterrichten – das ist schon eine Hoffnung. Mehrsprachigkeit ist einfach eine kulturelle Bereicherung.

STANDARD: Und wie war das als politisch denkender Jugendlicher im Kärnten der 1960er?

Konrad: Ich war bei den sozialistischen Mittelschülern. Da haben wir einmal ein Erinnerungsplakat zur Volksabstimmung, auf dem stand "Bleib Kärnten treu", mit "Entenhausen den Entenhausnern" überklebt. Das war ein riesiger Wirbel, und zwar innerhalb der Sozialdemokratie. Da hieß es: Das könnt ihr nicht machen! Die SPÖ hat ja auch nach 1945 versucht, das deutschnationale bis nationalsozialistische Milieu zu integrieren. Jörg Haider hat dann zwar schon gemerkt, dass wir eine grenzüberschreitende Region sind, er war ja ein Politiker, der populistisch reagiert hat. Sogar er hat schon gesehen, dass dieser nationalistische Ton nicht mehr zur Bevölkerung passt, das hatte auch mit der EU zu tun. Aber die Ortstafelkarte hat er auch voll ausgespielt.

STANDARD: 1972 kam es im Zuge von Volksabstimmungsfeiern im Oktober auch zum sogenannten Ortstafelsturm. Wie haben sich diese Feiern verändert?

Konrad: In meiner Jugend war die Feier von der Zeitung Ruf der Heimat geprägt, es gab das zentrale Bild einer Tito-kommunistischen Bedrohung, die über die Karawanken hereingreift – man hat gesagt, wir sind noch immer in einem permanenten Abwehrkampf. Früher war es halt der Zar Peter, jetzt Tito. Der 10. Oktober war in der Wahrnehmung sehr braun. Ich habe ehrlich gesagt immer versucht, um den 10. Oktober Kärnten fernzubleiben. Es tat weh, dass da keiner eine alternative Kraft angeboten hat. Heute kann man das anders sehen: Trotz der verschiedenen Sprachen hat man damals den grünen Zettel, der für Österreich stand, in die Urne gesteckt. Das hat man früher als Sieg in deutscher Nacht interpretiert, als deutsches Erfolgserlebnis, wo man in Gedanken schon den braunen Kärntneranzug anhat. Nach Ende der Haider-Zeit zog man nicht mehr unbedingt den braunen Anzug an. "Kärnten" zu sagen war, wie das verbotene "Deutschland" statt "Österreich" zu sagen. Der Rückgang des deutschnationalen Grundtons kam dann langsam im 21. Jahrhundert zu einem Ende, langsam schon vor Peter Kaiser.

STANDARD: Wie werden Sie heuer feiern?

Konrad: Ehrliche Antwort: Ich bin in den letzten Tagen so oft von Graz über die Pack und zurück gefahren, dass ich am Samstag zu Hause bleiben werde und meinen Platz bei der Feier mit Alexander Van der Bellen und dem slowenischen Präsidenten Borut Pahor in Völkermarkt, der Corona-bedingt begehrt ist, jemand anderem überlasse. Aber ich werde im Fernsehen zusehen, und wenn es so geworden ist, wie ich mir das vorstelle, werde ich hinterher ein Schluckerl Wein trinken. (Colette M. Schmidt, 9.10.2020)