Die Corona-Krise dürfte die Zahl der Nettoempfänger in Österreich noch erhöhen.

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Milliardenbeträge fließen an staatlichen Corona-Hilfen in die Wirtschaft. Gleichzeitig jagt eine Kündigungsmeldung die andere. Selbstständige wie Konzerne kämpfen immer noch mit den Folgen der Pandemie für ihr Geschäft. Eines ist klar: Die Stunde des Sozialstaats hat geschlagen.

Wie gerecht die Republik die Bürger einerseits besteuert und andererseits unterstützt, ist immer wieder ein umstrittenes Thema. Eine neue Studie der Ökonomen Michael Christl, Monika Köppl-Turyna, Hanno Lorenz und Dénes Kucsera – alle aktuell oder ehemals bei der wirtschaftsliberalen Denkfabrik Agenda Austria tätig – liefert Einblicke, wie gut die Umverteilung in Österreich funktioniert. Ihr Fazit: Rund 60 Prozent der Bevölkerung erhält unterm Strich mehr vom Staat, als sie in das System einzahlen.

Blick auf das Ganze

Den Autoren war dabei wichtig, alle Lebensbereiche als Ganzes zu betrachten. Manche Analysen hätten darunter gelitten, dass der Sozialstaat zu eng ausgelegt worden sei. "Nur Geldtransfers zu betrachten liefert kein vollständiges Bild", sagt Hanno Lorenz im Gespräch mit dem STANDARD. Auch reiche es nicht, das Steuersystem nach seiner Verteilungswirkung abzuklopfen. Letztlich sei relevant, wie der Staat die eingenommenen Mittel wieder verteile. Dabei gibt es grob gesagt drei Bereiche, die bestimmen, wie ein Haushalt vom System profitiert und dazu beiträgt.

Direkte Steuern und Abgaben wie die Einkommensteuer bringen dem Fiskus nicht nur in absoluten Beträgen mehr von Besserverdienern als von Personen mit geringeren Einkommen. Wegen der steigenden Steuersätze zahlen Menschen mit höheren Einkommen auch anteilsmäßig mehr in den gemeinsamen Topf. Die direkten Steuern auf Haushaltsebene wirken somit progressiv, sie verteilen im Sinne der sozialen Gerechtigkeit um. Über 30 Milliarden Euro nimmt der Staat dank Lohn- und Einkommenssteuer ein.

Ein noch größerer Brocken sind die Sozialabgaben. Sie machen rund 60 Milliarden Euro im Jahr aus. Allerdings sind die Pensionsbeiträge gedeckelt. Wer das Maximum an die Pensionskasse abliefert, muss nicht mehr beisteuern, auch wenn sich sein Einkommen verdoppelt. Damit schmälern die wichtigsten Sozialabgaben die progressive Wirkung, die über Einkommensteuern erzielt wird.

Indirekte Steuern zahlt jeder, der einkaufen geht, raucht oder tankt. Über die Mehrwertsteuer beziehungsweise die Tabak- und Mineralölsteuern nascht der Staat beim Konsum indirekt mit. Dabei gilt für jeden Verbraucher derselbe Steuersatz. Das wirkt auf den ersten Blick neutral, was die soziale Umverteilung betrifft. Tatsächlich ist der Effekt jedoch negativ.

Denn ärmere Haushalte müssen einen höheren Anteil ihres Einkommens für Lebensmittel und Co ausgeben. Essen muss schließlich jeder, Fondssparen nicht. Ärmere Haushalte zahlen daher auch anteilsmäßig mehr Umsatzsteuer. Die indirekten Steuern wirken somit gegen eine soziale Umverteilung. Wenn die Studienautoren alle Verteilungseffekte aus dem Steuersystem kombinieren, verschwindet die progressive Wirkung zum Großteil. Wichtig ist daher, den dritten Bereich der Umverteilung im Blick zu haben:

Transfers und Sachleistungen umfassen alles, was Bürger vom Staat erhalten. Dazu gehören klassische Sozialleistungen wie die Mindestsicherung und Notstandshilfe. Die Autoren zählen auch Pensionszahlungen dazu, andere Ökonomen sehen darin eher Einkommen.

Bildung als sozialer Hebel

Darüber hinaus bietet der Staat wertvolle Sachleistungen wie Gesundheitsversorgung und Bildung. Sachleistungen tragen wesentlich zur Umverteilung bei, schließen die Ökonomen. Das Bildungssystem ist dabei besonders effektiv. Ärmere Haushalte im untersten Drittel der Einkommensverteilung erhalten fast doppelt so viel aus dem Bildungstopf wie Haushalte der obersten zehn Prozent.

Das spiegelt sich in den Staatsausgaben nach Schultypen wider: Pro Schüler gab die öffentliche Hand im Vorjahr mit 13.249 Euro in Neuen Mittelschulen mehr aus als an Hochschulen.

Ohne den positiven Effekt durch Sachleistungen wären statt 60 Prozent weniger als 40 Prozent der Österreicher Nettoempfänger.

"Die Umverteilung in Österreich ist im internationalen Vergleich stark ausgeprägt", resümiert Koautor Lorenz. Die Studienergebnisse legen nahe, dass der Staat noch zielgerichteter vorgehen könnte, um die Verteilung sozialer zu gestalten, ohne neue Steuern einzuheben. Bei der Bildung, insbesondere im frühkindlichen Bereich, gebe es noch Aufholbedarf. Die Zeit drängt: "Die Corona-Krise dürfte mittelfristig die Einkommensverteilung etwas ungleicher machen", vermutet Lorenz. (Leopold Stefan, 9.10.2020)