Auch ANC-Generalsekretär Ace Magashule könnte vor Gericht gestellt werden.

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Darauf haben Südafrikaner jahrelang gewartet: In mehreren Städten am Kap der Guten Hoffnung waren vergangene Woche Fahrzeuge mit dem Emblem der "Habichte" genannten Spezialeinheit der Polizei unterwegs, um mehr als zehn Personen zu verhaften: Ihnen allen wird neben Betrug und Geldwäscherei vor allem Korruption vorgeworfen.

Seit vor zweieinhalb Jahren Jacob Zumas Regierungszeit zu einem abrupten Ende gekommen war, hofften die um Milliarden an Steuergeld betrogenen Kapbewohner, dass vor den Gerichten irgendwann die Rechnung aufgemacht werde: Doch bislang scheiterte die Hoffnung an der von Zuma funktionsunfähig gemachten Staatsanwaltschaft, die erst einmal ihr eigenes Haus wieder in Ordnung bringen musste. Jetzt scheint die Zeit der Abrechnung jedoch gekommen zu sein: Nach der ersten Verhaftungswelle kündigte die National Prosecuting Authority (NPA) weitere Streifzüge an, die selbst höchstrangige Politiker wie ANC-Generalsekretär Ace Magashule hinter Gitter bringen könnten.

Asbest-Skandal

Ins Visier der Habichte sind bislang eher kleine Fische geraten: Immerhin befindet sich ein ehemaliger ANC-Abgeordneter unter den Verhafteten sowie ein Geschäftsmann, der dem regierenden ANC im Gegenzug zu irregulär erteilten öffentlichen Aufträgen Millionenbeträge zukommen ließ.

Im Zentrum der Vorwürfe steht ein Projekt in der Freistaat-Provinz, wo vor fünf Jahren Tausende von Häusern mit asbesthaltigen Dächern auf Staatskosten von dem giftigen Material befreit werden sollten. Der umgerechnet rund 20 Millionen Euro umfassende Auftrag wurde Geschäftsmann Edwin Sodi zugeschustert, der einen Teil der Summe an mehrere ANC-Politiker weitergab, von denen noch heute drei im Kabinett und einer in der sechsköpfigen Führungsspitze der Regierungspartei sitzen. Vom Rest des Geldes kaufte sich Sodi drei Luxuslimousinen: einen Porsche Cayenne, einen Rolls-Royce und einen Bentley. Dagegen wurde bis heute kein einziges Asbestdach ausgetauscht.

Millionen für Gupta-Familie

Vieles weist darauf hin, dass auch der damalige Ministerpräsident des Freistaats, Ace Magashule, von den Machenschaften wusste: Er blieb bislang allerdings noch ungeschoren. Zuma-Freund Magashule wird auch mit einem weiteren Korruptionsskandal in Verbindung gebracht, in dessen Rahmen vor sieben Jahren rund 35 Millionen Euro Steuergelder in die Taschen der berüchtigten Gupta-Familie und ihrer Freunde flossen. Das eigentlich für schwarze angehende Farmer bestimmte Geld gaben die Guptas unter anderem für eine gigantische Hochzeitsfeier ihres Neffen im Vergnügungspark "Sun City" aus. Auch Gupta-Freund Magashule soll bei der Verteilung der Beute nicht leer ausgegangen sein.

Die Mehrheit der in der vergangenen Woche Verhafteten wird mit dem Asbestskandal in Verbindung gebracht: außer Geschäftsmann Sodi auch mehrere Regierungsbeamte. Gemessen am tatsächlichen Umfang der Korruptionslawine während der neunjährigen Zuma-Herrschaft eine eher harmlose Episode: Insgesamt wurden nach Angaben des heutigen Staatspräsidenten und ANC-Chefs Cyril Ramaphosa damals Staatsgelder in Höhe von mehr als 70 Milliarden Euro veruntreut.

Abhängig von der Korruption

Außer der Staatsanwaltschaft und der Polizei kümmert sich derzeit auch eine Untersuchungskommission um die Aufklärung des "state capture": Sie tagt fast werktäglich schon seit über zwei Jahren – und trug dabei Tonnen an inkriminierendem Material zusammen. Das durfte die Kommission bislang nur selbst verwenden, bis Ramaphosa im vergangenen Monat die Kompetenz der Untersuchungskommission ausweitete. Seitdem darf sie ihre Erkenntnisse auch an die Staatsanwaltschaft weiterleiten.

Der Schritt brachte die lauter werdenden Stimmen zumindest vorerst zum Verstummen, die Ramaphosa den Willen zum Ausmisten der eigenen Partei absprachen. Der Präsident könne sich ein entschiedenes Vorgehen gegen den ANC gar nicht leisten, hieß es: Die ehemalige Befreiungsbewegung habe sich längst vom Zufluss illegaler Gelder und der Vergabe öffentlicher Ämter an korrupte "Comrades" abhängig gemacht. Tatsächlich ist der Kampf um die Zukunft des ANC noch längst nicht entschieden: Die jetzt begonnene Prozesslawine hat jedoch ein neues Zeichen gesetzt. (Johannes Dieterich aus Johannesburg, 10.10.2020)