Kernberg hält Trump für "eine unmoralische, kleinkarierte, arrogante Person, einen Mann, der kenntnislos, ungebildet und impulsiv agiert (...), außerdem lügt er wie gedruckt".

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Als ich vor zehn Jahren das Buch Irre! Wir behandeln die Falschen, unser Problem sind die Normalen. Eine heitere Seelenkunde schrieb, waren die Beispiele für nichtkranke Verrückte Leute aus der Vergangenheit: Hitler, Stalin, Mao Tse-tung. Doch heute kann man in unser aller Gegenwart geradezu aus dem Vollen schöpfen: Donald Trump in den USA, Jair Bolsonaro, der "Tropen-Trump" aus Brasilien, Kim Jong-un, der Brudermörder aus Nordkorea, und auch ansonsten hat man den Eindruck, dass die Regierungen der Welt mehr und mehr in die Hände von Verrückten geraten.

Woran liegt das? Nehmen sie zu, die Verrückten? Und was kann man dagegen machen? Am besten wäre es eigentlich, es gäbe eine Anti-Verrücktheit-Pille, die man heimlich Donald Trump in den Trump-Familien-Traditions-Kartoffelbrei mixen, Jair Bolsonaro verschwörerisch in die Bloody Mary bröseln und Kim Jong-un in seine Gummibärchen schmuggeln würde, die er sicher im Übermaß verzehrt.

Doch diese Pille gibt es nicht. Und schlimmer noch: Es wird sie nie geben! Denn bei all diesen abgedrehten Typen, die gewählt oder erwählt sind, um ihre Länder zu regieren, muss aus psychiatrischer Sicht nüchtern festgestellt werden: Sie sind gar nicht krank, sie sind normal, schrecklich normal.

Diagnostische Schubladen

Dennoch wird immer wieder versucht, diese Leute ein bisschen mehr in den Griff zu bekommen, indem man sie in diagnostische Schubladen verpackt. Donald Trump sei geradezu ein klassischer Narzisst, erklärten zu Beginn seiner Amtszeit ein paar Psychotherapeuten öffentlich. Doch das war in Wirklichkeit eine gefährliche Verharmlosung.

Unter einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung leidet ein Mensch, der im Kern seines Ichs verunsichert ist, dauernd Beifall braucht, ohne davon jemals befriedigt zu sein. Irgendwann halten die Freunde es nicht mehr aus und wenden sich ab. Die Vorstellungen von der eigenen Grandiosität scheitern an der Realität. Sein soziales Leben bricht zusammen. Er vereinsamt und geht dann in Therapie. All das trifft für Donald Trump nicht zu. Donald Trump leidet nicht. Er hat unzählige Freunde, auch wenn man selber nicht gerne dazugehören möchte, er verfügt über Millionen Wähler, sein soziales Leben funktioniert perfekt.

Donald Trump hat keine narzisstische Persönlichkeitsstörung, sondern er ist ein zutiefst unmoralischer Mensch, und das ist viel gefährlicher. Hätte er eine narzisstische Persönlichkeitsstörung, könnte man ihn vielleicht behandeln. So aber gibt es keine Aussicht auf Besserung. Donald Trump hat von seinem Vater gelernt, das Wichtigste im Leben sei Geld, Erfolg und Der-Größte-Sein, und dafür dürfe man alles, wirklich alles tun.

Zwar hat jeder Mensch ein Gewissen und deswegen kann auch jeder Mensch schuldig werden, aber man kann Menschen das Gewissen und die Moral sehr weitgehend abgewöhnen, man kann sie einschläfern, all die Mitläufer der verbrecherischen Regime des 20. Jahrhunderts beweisen das. Donald Trump ist ein gewissenloser Egozentriker.

Unmoralisch und kleinkariert

Otto Kernberg ist der berühmteste Psychiater und Psychoanalytiker der Welt und zugleich "der" Narzissmus-Experte. Er hat seine Praxis 500 Meter vom Trump Tower in New York entfernt und hat sich bisher öffentlich noch nie zu Donald Trump geäußert. Gerade jetzt habe ich mit ihm ein Buch über sein Leben gemacht, über seine schrecklichen Erfahrungen als jüdisches Kind unter den Nazis in Wien, seine abenteuerliche Flucht, seine über 65-jährige Erfahrung als Psychotherapeut.

Mit seinen 91 Jahren absolviert er immer noch eine 50-Stunden-Woche. Erstmals hat er in diesem Buch öffentlich über skandalösen sexuellen Missbrauch in der internationalen Psychoanalyse berichtet, aber er kam auch auf die Frage nach Gott, nach dem Glück, nach Liebe und Kunst und am Ende natürlich auch auf Donald Trump.

Otto Kernberg fühlt sich der sogenannten Goldwater-Regel verpflichtet, die angesichts einer öffentlichen Diskreditierung des republikanischen Präsidentschaftskandidaten Barry Goldwater durch eine psychiatrische Ferndiagnose von der amerikanischen psychiatrischen Gesellschaft aufgestellt wurde. Sie besagt, dass es unethisch ist, Personen des öffentlichen Lebens, die man nicht persönlich untersucht hat, mit Diagnosen zu belegen.

Und Kernberg begründete diese Regel einleuchtend, denn, so sagte er mir, es könnte doch sein, dass die öffentliche Person, die sich da präsentiert, diese Rolle bloß spielt, weil sie mit dieser – gespielten – Rolle öffentlichen Erfolg hat. Wie dieser Mensch aber wirklich ist, das könne man nur im Einzelgespräch erkennen, dazu müsse man auch die Angehörigen befragen, um herauszufinden, wie er in persönlichen privaten Kontakten reagiert.

Der Politiker Trump

Unter diesem Gesichtspunkt stellt die neuste Trump-Abhandlung durch seine Nichte natürlich einen wichtigen Baustein dar – der aber dennoch nicht ausreicht, um eine Diagnose zu stellen. Wenn er als Psychotherapeut aber keine Diagnose bei Donald Trump stellen kann, dann müsste er doch umso offener über den Politiker Trump urteilen können, habe ich Otto Kernberg gefragt.

Und das hat er dann auch getan: Er halte, sagte mir Kernberg, Trump für "eine unmoralische, kleinkarierte, arrogante Person, einen Mann, der kenntnislos, ungebildet und impulsiv agiert. Er zeigt eine exzessive Aggressivität im Politischen, außerdem lügt er wie gedruckt, und wenn er geht, hat er dieses verachtend Großartige. Ich halte diesen Mann politisch für gefährlich."

Man muss sie also politisch beurteilen, diese Leute, und, wenn man will, bekämpfen, das Hantieren mit diagnostischen Begriffen, um das Unheimliche und Gefährliche dieser Typen irgendwie zu begreifen, ist nicht nur unangemessen, sondern es schwächt auch das politische Argument. Im Übrigen ist es eine Diskriminierung meiner netten psychisch Kranken, wenn stets bei extremen menschlichen Untaten psychische Krankheit vermutet wird.

Die großen Verbrecher der Menschheitsgeschichte waren nicht psychisch gestört, sie waren zutiefst böse. Um einen jahrelangen Krieg zu führen, muss man psychisch stabil sein. Psychisch kranke Menschen sind statistisch weniger häufig straffällig als "Normale", also: Hüten Sie sich vor "Normalen"!

Neue Irre!

Das Buch Neue Irre! von 2020 ist aber vor allem auf unter 200 Seiten eine Einführung in Psychiatrie und Psychotherapie: alle Diagnosen, alle Therapien allgemeinverständlich und unterhaltsam auf dem neuesten Stand der Forschung.

Angesichts der Tatsache, dass ein Drittel der Deutschen irgendwann im Leben einmal psychisch krank wird und die zwei anderen Drittel irgendwelche Angehörigen haben, die psychisch krank sind, ist es eine Schande, dass nach wie vor mittelalterliche Vorstellungen über psychische Krankheiten herrschen.

Manfred Lütz, Otto Kernberg, "Was hilft Psychotherapie, Herr Kernberg?". 19,90 Euro / 192 Seiten. Herder-Verlag, 2020
Cover: Herder

Und es ist nicht zuletzt eine Frage der Allgemeinbildung, zu wissen, was Demenz wirklich ist und was man da tun kann, dass man Menschen mit einer noch so chaotischen Erziehung nicht schizophren machen kann, warum es lebensgefährlich ist, nicht zu wissen, dass man Depressionen heilen kann, wie Heidi Klum junge Frauen zu Patientinnen macht und dass es Burnout gar nicht gibt.

Manfred Lütz, "Neu Irre – Wir behandeln die Falschen". € 20,60 / 208 Seiten. Kösel Verlag, München 2020.
Foto: Kösel

Vor allem aber darf man nicht alle außergewöhnlichen Menschen für gestört erklären, exzentrische Künstler, religiöse Genies, liebenswürdige Eigenbrötler. Erst wenn Menschen unter ihrer Außergewöhnlichkeit leiden, dann ist Therapie gefragt, und die, das muss man auch wissen, hat es in neuerer Zeit zu spektakulären Erfolgen gebracht. Doch Therapie kann nicht alles. Vor den Trumps, Bolsonaros und den anderen "Irren" kann sie uns nicht bewahren.

Die kann man nicht therapieren, die darf man einfach nicht mehr wählen! (Manfred Lütz, ALBUM, 10.10.2020)