Der Zentrumsbereich der Milchstraße im Infrarotlicht.
Foto: NASA/JPL-Caltech/S. Solovy (Spitzer Science Center/Caltech)

Der Blick ins Zentrum unserer Galaxie ist heuer mit dem Physiknobelpreis belohnt worden. Kurz davor hatte das Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA) von einer interessanten Entdeckung in ebenjener Region berichtet, die zu den sternreichsten Gebieten des bekannten Universums zählt: Offenbar ziehen dort auch die Überreste eines Kugelsternhaufens ihre Bahn, der vor langer Zeit ins Herz der Milchstraße geraten ist.

Ballungen von Sternen

Kugelsternhaufen sind normalerweise sehr viel weiter draußen anzutreffen. Sie befinden sich zehntausende Lichtjahre von uns entfernt im riesigen Halo der Milchstraße und sind dort die mit Abstand auffälligsten Erscheinungen. Für einen Haufen ballen sich hunderttausende Sterne – meistens alte Exemplare – zu annähernder Kugelform zusammen. Bislang hat man im Vorhof der Milchstraße etwa 150 solcher Sternhaufen entdeckt.

Den Kern der Milchstraße bildet das 4,1 Millionen Sonnenmassen schwere Schwarze Loch Sagittarius A*. Es ist seinerseits umgeben von einer extrem dichten Sternansammlung – einem sogenannten "Nuclear Star Cluster" (NSC). Astronomen gehen heute davon aus, dass sich in den innersten 26 Lichtjahren der Galaxis um die 20 Millionen Sterne befinden.

Mittels Computersimulationen versuchten Forscher den Einfall eines Kugelsternhaufens in den Kernsternhaufen der Milchstraße nachzuvollziehen.
Foto: Manuel Arca Sedda et al. (ARI/ZAH)/MPIA

Ein Astronomenteam unter Leitung von Anja Feldmeier-Krause von der Europäischen Südsternwarte (ESO) und Nadine Neumayer vom MPIA untersuchte diese Region mit speziellen Instrumenten am Very Large Telescope (VLT) in Chile. Die Forscher analysierten die Helligkeit und Farbe von etwa 700 dortigen Sternen und konnten Rückschlüsse über deren Bewegungen und Geschwindigkeiten sowie über deren chemischen Aufbau ziehen.

Die chemische Zusammensetzung eines Sterns ist nicht zuletzt deshalb interessant, weil sie einiges über sein Alter verrät. Dabei ist die Metallizität – die Angabe über die Häufigkeit von Elementen schwerer als Wasserstoff und Helium – eine wichtige Größe. Denn schwere Elemente können nur in Sternen selbst entstehen. Enthält ein Stern also eine große Anzahl an schweren Elementen wie Sauerstoff, Kohlenstoff oder Eisen, bedeutet dies, dass er aus den Überresten eines Vorgängersterns entstanden sein muss und daher relativ jung ist. Ein Stern mit geringer Metallizität muss hingegen schon in den Frühzeit des Universums entstanden sein, als noch kaum schwere Elemente als Baumaterial zur Verfügung standen.

Der Fund

Aufbauend auf diesen Ergebnissen, konnten nun ein internationales Team unter Leitung von Tuan Do von der University of California eine bislang unbekannte Population von Sternen innerhalb des "Kernsternhaufens" entdecken. Während ein Großteil der Sterne im zentralen Bereich der Milchstraße höhere Metallizitäten aufweist als die Sonne, identifizierten die Wissenschafter auch eine Gruppe von Sternen, die deutlich weniger schwere Elemente enthielten.

Außerdem haben diese Sterne eine höhere Geschwindigkeit als die sie umgebenden Nachbarn, zudem dürfte ihre Bewegungsrichtung im Verhältnis zur galaktischen Ebene leicht gekippt sein. Die Eigenschaften dieser Sterne, die etwa sieben Prozent der Gesamtpopulation im zentralen Kernsternhaufen ausmachen, sind dabei einander überraschend ähnlich. Es liegt also nahe, dass diese Sterne einen gemeinsamen Ursprung haben.

Suche nach dem Ursprung

Die Forscher verweisen auf eine astronomische Theorie, der zufolge das Sternengewimmel im Zentrum einer Galaxie zumindest teilweise durch Kollisionen mehrerer Sternhaufen entstanden sein soll. Durch das Phänomen der dynamischen Reibung, ein Gravitationseffekt der umgebenden Materie, verlieren Sternhaufen auf ihren Bahnen an Geschwindigkeit und driften so auf das galaktische Zentrum zu. Verschmelzen sie dann mit anderen Sternhaufen, könnten sie die deutlich größeren Kernsternhaufen bilden, wie wir heute einen im Zentrum der Milchstraße sehen.

Um diese Theorie zu testen, führten die Wissenschafter Computersimulationen durch. Dazu berechneten sie ein virtuelles System aus vielen Einzelobjekten, das die innersten gut 300 Lichtjahre der Milchstraße abbildet. Es beinhaltet den Kernsternhaufen und das zentrale Schwarze Loch, sowie einen massereichen Sternhaufen mit etwa einer Million Sonnenmassen, der zu Beginn der Simulation etwa 160 Lichtjahre vom Zentrum der Galaxie entfernt war. "Unser Ziel war es unter anderem herauszufinden, vor wie langer Zeit ein solcher Sternhaufen in die Region um das galaktische Zentrum herum gelangt sein könnte und woher er ursprünglich kam", sagt Manuel Arca Sedda von der Uni Heidelberg.

Ankunft vor einigen Milliarden Jahren

Wenn ein Sternhaufen in Richtung des galaktischen Zentrums stürzt, werden durch die gravitativen Wechselwirkungen mit seiner Umgebung Sterne aus dem Haufen herausgelöst. Ist er erst einmal im innersten Bereich der Galaxie angekommen, löst er sich innerhalb relativ kurzer Zeit auf, und seine Sterne sind von den restlichen Sternen in seiner neuen Umgebung kaum mehr zu unterscheiden.

Da die Mitglieder der neuentdeckten Sternpopulation trotz ihrer räumlichen Verteilung noch einige sehr charakteristische Gemeinsamkeiten aufweisen, vermuten die Astronomen einen gemeinsamen Ursprung dieser Sterne außerhalb des Kernsternhaufens. Die Simulationen deuten nun auf einen Einfall in den Bereich des Kernsternhaufens innerhalb der vergangenen drei bis maximal fünf Milliarden Jahre hin.

Vergleich mit anderen Sternenballungen

Aber was ist da nun ins Innerste der Milchstraße gerutscht – ein Sternhaufen oder gar eine fremde Zwerggalaxie? Um das zu klären, verglichen die Astronomen die beobachteten Eigenschaften der neu entdeckten Sternpopulation mit denen von alten Kugelsternhaufen in der Milchstraße und solchen, die bereits von Zwerggalaxien in unsere Milchstraße aufgenommen wurden. Dabei stellen sie fest, dass die Eigenschaften dieser Sterne deutlich besser zu solchen aus Kugelsternhaufen im Halo der Milchstraße selbst passten.

"Ein extragalaktischer Ursprung der Sterne kann zwar nicht komplett ausgeschlossen werden, ist aber eher unwahrscheinlich", schließt Arca Sedda. "Dies ist ein weiterer Hinweis darauf, dass der zentrale Kernsternhaufen in der Galaxis zumindest teilweise durch den Einfall kleinerer Sternhaufen entstanden ist." (red, 10. 10. 2020)