Für Wendler (rechts) sollte es die erste Staffel in der "DSDS"-Jury sein.

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Wenn es um die Jury bei der Talenteshow "Deutschland sucht den Superstar" ("DSDS") geht, hat RTL aktuell offenbar wenig Glück: Erst im Frühjahr trennte sich der Fernsehsender von dem Sänger Xavier Naidoo, als dieser rassistische Verschwörungserzählungen zu verbreiten begann, nun folgt der Neuzugang Michael Wendler. Der Sänger, der vor allem durch Schlagermusik Popularität erlangt hat, kündigte am Donnerstagabend auf Instagram an, sich mit sofortiger Wirkung von dem Sender zu trennen.

Distanzierung

Der Grund: Die Politik der deutschen Regierung in Bezug auf die, so Wendler, "angebliche" Corona-Pandemie gehe mit "schweren Verstößen gegen die Verfassung" und das Grundgesetz einher. Dabei seien aus seiner Sicht nahezu alle Fernsehsender "mitschuldig", "gleichgeschaltet" und "politisch gesteuert". "Die ganze Wahrheit" gebe es auf seinem neuen Telegram-Kanal. Alle anderen Plattformen seien von Zensur betroffen, während man sich dort informieren könne. Nach seiner Ankündigung distanzierte sich die Kaufhauskette Kaufland, die erst einen Werbeclip mit ihm ausgestrahlt hatte, von Wendler und entfernte die Inhalte, in denen er zu finden war.

Wendler folgt Naidoo

Mit seinem Wechsel auf Telegram reiht sich der Sänger unter die Verschwörungserzähler ein. Sein Vorgänger Naidoo verbreitet dort seit Monaten absurde Mythen zu einem tiefen Staat, Bill Gates als Corona-Gewinnler und anderen vermeintlichen Verschwörungen. Der Messenger hat sich in den vergangenen Jahren immer mehr zum Treffpunkt für Gruppierungen entwickelt, die auf anderen Plattformen nicht geduldet werden. Und das, obwohl er im Vergleich zu Konkurrenten wie Whatsapp viel weniger Nutzer zählt.

Messenger für problematische Inhalte

Der Grund dafür liegt darin, dass Telegram parallel zu seinem Dasein als Messenger auch als soziales Netzwerk fungiert: Denn Bis zu 200.000 Menschen können einer Gruppe beitreten, zusätzlich gibt es Channels, bei denen die Teilnehmerzahl unbegrenzt ist, allerdings nur der Ersteller Nachrichten verfassen kann. Genau solche Kanäle empfehlen Persönlichkeiten, die auf Facebook und Co nicht zu finden sind. Anders als Twitter, Facebook und andere (teil)öffentliche soziale Netzwerke verzichtet Telegram auf eine Moderation und löscht Inhalte nur vereinzelt. Erst nach massivem öffentlichem Druck etwa sperrte der Dienst 2015 und 2016 Konten, die dem "Islamischen Staat" zugeordnet werden konnten. Im Sommer wurden die Kanäle einzelner rechtsextremer Gruppen entfernt. Im Vergleich dazu beschäftigen Facebook und andere Social-Media-Giganten weltweit tausende Content-Moderatoren, die rechtswidrige Inhalte entfernen.

Keine Rechtsdurchsetzung

Sind Kanäle öffentlich, können sie von Behörden beobachtet werden, so etwa vom Bundeskriminalamt – eine Entfernung und Verfolgung der Betreiber von Telegram selbst ist allerdings schwierig. Zwar ist Telegram wie andere soziale Plattformen für seine Inhalte verantwortlich. Jedoch müssen Behörden das Unternehmen erst verfolgen können – der Dienst hat allerdings seinen Sitz mehrfach geändert, um einer Rechtsdurchsetzung zu entfliehen. Die Entwickler befinden sich mittlerweile nach Eigenangaben in Dubai. Hinter der Plattform steckt der russische Unternehmer Pawel Durow, der zuvor Russlands beliebtestes soziales Medium, vk.com, gegründet hatte. Nach Druck durch die russische Regierung, die eine stärkere Regulierung der Plattform forcierte, verließ er 2014 das Unternehmen, ging ins Exil und widmet sich seitdem Telegram.

Dreharbeiten begonnen

Für Wendler, bekannt für Hits wie "Sie liebt den DJ" und "Egal", sollte es die erste Staffel in der "DSDS"-Jury sein. Die Dreharbeiten hatten bereits begonnen, die neuen Folgen sollen ab Jänner ausgestrahlt werden. Auch Jury-Chef Dieter Bohlen äußerte sich via Instagram zu den Aussagen Wendlers: Alle seien schuld, nur ausnahmsweise er nicht, scherzte Bohlen.

Wendler selbst war erst am Donnerstagmorgen in die Schlagzeilen gelangt – wegen eines Werbespots für Kaufland. In dem Clip, der auf die sozialen Medien abzielte, singt der 48-Jährige eine umgedichtete Version seines Liedes "Egal" – "Regal". Die Supermarktkette reagierte am Abend prompt auf die Aussagen des Schlagersängers. "Bei unserem Video mit Michael Wendler ging es um Spaß & Ironie. Die Grenze ist jedoch erreicht, wenn mit der Sicherheit & Gesundheit von Menschen gespielt wird", hieß es auf dem Twitter-Account von Kaufland. "Daher haben wir den ganzen Wendler-Content gelöscht & distanzieren uns von seinen Aussagen." Dazu verwendete Kaufland den Hashtag: "#nichtegal".

Kritik

Oliver Pocher, der "den Wendler", wie ihn seine Fans nennen, in letzter Zeit immer wieder gern durch den Kakao zog, zeigte noch am Abend eine Sonderausgabe seiner RTL-Show "Pocher – gefährlich ehrlich!". "Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man fast drüber lachen", sagte Pocher. Es sei "wirklich der absolute Wahnsinn". Zu Gast in der Sendung war auch Wendlers Manager Markus Krampe. "Auch für mich ist das ein Schock", sagte Krampe, der sichtlich mitgenommen war. Er mache sich Sorgen um Wendler, diese Einstellungen hätten sich aber über einen längeren Zeitraum angedeutet.

Wie es nun weitergeht, war unklar: Bisher waren Wendler und seine 30 Jahre jüngere Frau Laura dem TV-Publikum vor allem aus der eigenen Doku-Soap bekannt. Auch bei "DSDS" ist nun wieder ein Jury-Platz frei – neben Bohlen, Popsänger Mike Singer und Maite Kelly. Schon im Frühjahr war einer der Plätze unerwartet frei geworden: Naidoo sah sich damals nach politischen Textzeilen in einem Video heftigen Rassismusvorwürfen ausgesetzt – und verlor seinen Job bei RTL. (muz, APA, 9.10.2020)