Die schwimmenden Gärten am Donaukanal

Foto: APA / Herbert Pfarrhofer

Wasser, H2O, Ursprung und Elixier des Lebens, Chamäleon unter den Molekülen. Elementarstes unter den vier Elementen. Wasser, abwechselnd leise vor sich hin plätschernd, vazierend, oder rasend schnell fließend in der Enge der Stadt. Wasser, gleißend im Licht des Tages, glänzend im Spiegel des Mondes.

Unaufhaltsam fließend, vorbei an Träumen, mit sich reißend Erwartungen und Emotionen. Mit sich reißend die Schatten des Seins. Taumelnd, im Strudel. Die Gischt, sie brandet ans Ufer, brandet rauschend an Steinen der Begrenzung. Die Wogen, sie schlagen an, als wären es zerschellende Träume im zuckenden, flirrenden Licht …

Wasser, machtvolles Elixier des Lebens. Fluch und Segen spendend in Flut und Ebbe. Flaniert man sehenden Auges, aufrechten Ganges durch Wien, begegnen einem – der anämischen und seelenlosen Ära des Oberflächlichen, des Vergänglichen, des In-Vergessenheit-Geratenden, des in der Schnelllebigkeit puren Konsums Vernachlässigten zum Trotz – zahllose Heilige, Gottheiten, Schutzpatrone und Engelswesen.

Sie führen und verführen zu Quellen, Ufern, Mündungen, zu Tiefen und Untiefen, unterirdisch und überirdisch. Entlang der Gestade präsentieren sie ein reiches Bouquet an Natur und Kultur, an Fauna und Flora, an Architektur, an Geschichte und Zukunft.

Hymnus an den Himmel über Wien

Flussgott Danubius mit seiner Angetrauten Vindobona thront – unbemerkt von Tausenden an ihm achtlos Vorbeiziehenden – im Zentrum. Nur unweit wacht Orpheus über die Unterwelt. Nein, nicht der sprichwörtliche Tod ist gemeint, sondern Kanäle und eingefriedete Bäche.

Gesegnet die schwebenden Gärten der Semiramis, gesegnet die schwimmenden Gärten am Donaukanal. Gesegnet die Najaden, Elfen, Putti, die zu Tausenden und Abertausenden in und über der Stadt, am Firmament, schweben. Gesegnet die von Sagen, Mythen und Geheimnissen beseelten Flussgeister, Nymphen, die über alle Quellen, Bäche, Flüsse, Sümpfe, Tümpel, Teiche und Seen wachen.

Unglaubliche 200 Stück zählt man im Stadtgebiet, 85 fließende, 115 stehende. Unfassbar. Die Töchter des Zeus wachen über die Wiener Gewässer, sagt man. Die Tritonen- und Najadenbrunnen am Maria-Theresien-Platz sind Zeugen.

Gregor Auenhammer & Gerhard Trumler, "Die Flüsse Wiens. Eine feuilletonistisch-fotografische Expedition". 48,– Euro / 256 Seiten. Verlag Bibliothek der Provinz, Weitra 2020
Cover: Verlag Bibliothek der Provinz

Die wahren Götter des Alltags aber scheinen hierzulande teils immer noch die Kleingeister zu sein, die Dämonen der Vergangenheit, die kleinkarierten Mir-san-mir-Opportunisten, deren Gedankenwelt sich in rot-weiß-rot-karierten Pölstern und Vorhängen spiegelt, die Verdrängungweltmeister, deren Säulenheilige der Herr von und zu Schreber ist.

Kabelbinder sind in zu Pilgerstätten erhobenen Baumärkten oft ausverkauft, werden aber lieber zum Fixieren von Sträuchern verwendet als zum Liebesspiel mit Mister Grey. Lieblingsbeschäftigung dieser Spezies ist neben dem Schanigarten-Sitzen das Garteln und Granteln, quasi "fifty shades of green". So weit zum Erotikon von Göttlichem und Abgründigem.

Na ja. Erst vor kurzem hat die traurige Realität bewiesen, dass die unselige Maria Denunziata heutzutage mehr Verehrung genießt als Santa Corona, die Schutzheilige gegen Seuchen. Poseidon, Gott des Meeres, des Wassers, sei uns gnädig. Danubius, erhöre uns. Seid wachsam und empöret Euch! (Gregor Auenhammer, 10.10.2020)