Zwei Generationen heimische Popmusik: Voodoo Jürgens und Boris Bukowski.

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Als der Begriff im Gespräch zum ersten Mal fällt, verzieht Boris Bukowski den Mund. "Das war ja sicher lieb gemeint", sagt er, "aber schon bald galt Austropop als Schimpfwort."

Bukowski weiß, wovon er spricht. Der 74-jährige Musiker wurde oft in diese Schublade gesteckt. Die Wortschöpfung wird der 1994 gestorbenen ORF-Moderatorin Evamaria Kaiser zugeschrieben, die sich nach Entdeckung der Jugend seitens des ORF der Unterhaltung derselben zuwandte und mit Formaten wie Show-Chance oder Talente 70 die heimische Szene förderte. Bukowski stammt aus jener, aus der die EAV, Opus und STS hervorgingen.

Als Geburtsjahr des Austropop gilt 1970. Das ist aber nur teilrichtig, denn die Wurzeln des Fachs lassen sich bis in satirische Theater des 19. Jahrhunderts zurückverfolgen. Und zu den Vorreitern zählen der Nuschelgesang des Hans Moser, die Renitenz-Lieder von Gerhard Bronner und Helmut Qualtinger oder die Worried Men Skiffle Group. Letztgenannte gründeten sich 1960 und förderten in ihrer Kunst Erstaunliches zutage: Da Mensch is a Sau – zum Beispiel.

Wir haben es immer gewusst: Der Mensch is a Sau: Worried Men Skiffle Group.
drgonzoXXX

Dennoch gilt 1970 als Geburtsstunde. Bis dahin mühten sich heimische Bands meist als Kopisten angloamerikanischer Vorbilder ab. Marianne Mendts Hit Wia a Glock’n ... aber zeigte, dass Pop im eigenen Dialekt beim Publikum keinen Fluchtreflex auslöst. Im Gegenteil – er löste einen Boom aus.

1971 veröffentlichte Wolfgang Ambros den Hofa: eine typisch österreichische Opfer-Täter-Umkehr-Ballade. Bald folgten Georg Danzer mit morbiden Liebeserklärungen (Mitzi), Peter Cornelius, André Heller oder Wilfried mit Liedern über Fleckerlteppiche, Zigeuner und Zechenkas. Allesamt im Dialekt, was einem Befreiungsschlag gleichkam.

Viel verletzlicher

Bukowski spricht davon, dass es nach der Beschämung und Mitschuld an einem entsetzlichen Krieg ein Mittel war, wieder etwas Selbstwertgefühl zu bekommen. "In der Musik hat sich das so niedergeschlagen, dass man in seiner Goschen singen durfte."

Ziwui, Ziwui – Wilfried bringt den Zechenkas in die Popkultur.
Peter J. Gnad

In der singt heute auch David Öllerer alias Voodoo Jürgens. Er zählt zu einer neuen Generation heimischer Musiker, die mehr oder weniger stark Bezug zum klassischen Austropop haben. Voodoo Jürgens ist wie Bukowski auf den beiden Doppel-CDs vertreten, die Sony und Universal zum 50-Jahr-Austropop-Jubiläum veröffentlichen.

Früher, sagt der Mittdreißiger, habe er mit Austropop wenig anfangen können. Erst als er begonnen hat, selbst im Dialekt zu singen, tauchte er tiefer in die Materie ein und entdeckte diverse Perlen. "Dialekt ist einfacher und schwieriger zugleich. Einfacher, weil man sich besser ausdrücken kann, schwieriger, weil man sich mehr öffnet: Es hat sich plötzlich viel verletzlicher angefühlt."

Der Mann mit dem Koks ist da: Boris Bukowski – Kokain.
Daniel Lindner

Voodoo Jürgens spielt mit Klischees, die an die Zeit des klassischen Austropop erinnern: schwierige Frisuren, Halbseidenes, Vorstadtmilieu – Settings, von denen viele Austropop-Lieder handeln und wo sie bis heute hochgehalten werden. Er veredelt, was andere Grind nennen. "Die Mendt hat mir erzählt, dass ihre Glock’n damals als prollig abgestempelt wurde. Im Dialekt singen hat immer noch diesen Touch."

Dabei hat das Spiel mit Dialekten viele erfolgreiche Songs und Stars hervorgebracht. Hans Hölzel verschmolz in der größenwahnsinnigen Kunstfigur Falco den Proleten mit dem Schnösel – und wurde international berühmt.

Mattschwarz & immergrün

Anfang der 1980er boomte das Genre auf viele Arten. Da gab es die mattschwarzen und immergrünen Subtilitäten des Ludwig Hirsch. STS machten Fürstenfeld über den Umweg des Münchner Oktoberfests in Deutschland berühmt; Opus wurde mit Live Is Life bis in die USA bekannt; Fendrichs Macho bis runter an die Strada del Sole.

Mit nahe am Schlager gebauten Gassenhauern wie Du entschuldige – I kenn’ di und Reif für die Insel eroberte Peter Cornelius Deutschland, der EAV gelang dasselbe mit höherem Unfug wie Ba-Ba-Banküberfall. Anderes blieb "weltberühmt in Österreich" – wie Kurt Gobers Novelty-Song Motorboot. Bukowski grinst und sagt herkunftsloyal: "Vielleicht ist es das oststeirische Ob-La-Di Ob-La-Da."

Das stierische Ob-La-Di-Ob-La-Da? Die Kurt Gober Band mag nicht rudern: Motorboot.
whaanimations

Die Neue Deutsche Welle beflügelte den Austropop, machte ihn vielfältiger, wenngleich sich seine Veteranen selbst wenig wandlungsfähig zeigten. Erfolg macht träge. Andererseits: Warum hätten Ambros, Fendrich und Co sich verändern und ihr Publikum riskieren sollen?

Formatradio und Privatradio

Mitte der 1990er baute der jetzige Staatsoperndirektor Bogdan Roščić Ö3 zum Formatradio um und verdrängte das Fach in die Privat- und Regionalradios, ins Provinzielle. Dorthin, wo der Austropop für viele ohnehin hingehörte. Schon die patriotische Aura des Begriffs empfanden viele als Lustkiller, der erzwungene Abgang beschleunigte bei manchen Stars die Transformation zum Nostalgie-Act: Ambros, Danzer und Fendrich taten sich als Austria 3 zusammen und spielten, höchst erfolgreich, die Hits von früher – wiewohl ein Fendrich bis heute neue Alben veröffentlicht.

Geburtstunde: Marianne Mendt mit der Glock'n
Charivari

Es dauerte gut 15 Jahre, bis das Fach wieder auferstand. Der kontaminierte Begriff Austropop wird von einer neuen Generation meist gelassen betrachtet. Es ist kein Erbe, dass sie wirklich mit sich rumschleppen.

Lebensgefühl

Bands wie Wanda und Bilderbuch, Acts wie Voodoo Jürgens oder Der Nino aus Wien singen erneut in ihrer Goschen. Manche stehen mehr, andere weniger in der Tradition des Austropop. Was sie dem Alten voraushaben, ist, dass sie mit ihrer Musik wieder ein Lebensgefühl treffen. Ein Talent, das dem Vorreiter abhandengekommen war.

Voodoo Jürgens – Angst Haums.
Voodoo Jürgens

Dazu gibt es Frauen wie Sigi Horn, Ina Regen oder Sibylle Kefer, die in einer Mischung aus Tradition und Progression mitmischen, oder Josh, dem mit Cordula Grün ein Riesen- und Wiesen-Hit gelungen ist. Acts wie Pizzera & Jaus pflegen die Wurzeln im Kabarett. Austropop ist das alles – oder halt nicht.

Der Begriff ist und bleibt Wischiwaschi, sagt Voodoo Jürgens, übt sich aber in Toleranz. "Wenn man sich zu vehement dagegen wehrt, beleidigt man wieder manche Leute, das möchte ich nicht."

Bukowski ist mit der aktuellen heimische Popmusik sehr zufrieden. Er findet Bilderbuch toll und erinnert an Falco: "Der war ja nicht so beliebt, weil er so lieb war, sondern weil er sich traute, auf alles zu scheißen. So geht was weiter." (Karl Fluch, 10.10.2020)