Wir Menschen, so Precht, seien nicht das "Andere der Natur", sondern "das Andere der künstlichen Intelligenz".

Foto: APA / Amanda Berens

Richard David Precht ist ein Bestsellerautor und Vielschreiber, hat seine eigene Sendereihe im ZDF unter dem schlichten Titel "Precht" und äußert sich regelmäßig zu aktuellen gesellschaftlichen und politischen Themen. Genau das macht Precht auch in Künstliche Intelligenz und der Sinn des Lebens. Er möchte untersuchen, was künstliche Intelligenz (KI) "mit unserem Selbst- und Menschenbild macht und wie sie unsere künftige Selbstverwirklichung beeinflusst".

Wir Menschen, so Precht, seien nicht das "Andere der Natur", sondern "das Andere der künstlichen Intelligenz". Indem wir über Maschinen nachdenken, erführen wir indirekt, was uns Menschen zu Menschen mache, nämlich unsere "Humanität". Von den "IT-Aposteln", den Trans- und Posthumanisten, würden wir ganz falsch "vermessen". Precht weiß es besser. In einer kleinen Einführung in die philosophische Anthropologie werden wir als Wesen mit Ich-Bewusstsein, Moral, Zeitlichkeit, Freiheit, Emotionalität und Willen bezeichnet.

Naturalistisch und reduktionistisch

Präzises, systematisches Philosophieren lässt Precht allerdings vermissen. Das beginnt damit, dass grundlegende und umstrittene Begriffe wie Logos, Sapientia (Weisheit), Verstand, Vernunft, Aufklärung, Autonomie, Sinn, Menschenwürde oder Geist nicht oder nur unzureichend definiert werden. Weiters häufen sich Widersprüche. Ich nenne ein gravierendes Beispiel:

Ganz im Sinne des gesellschaftlichen Mainstreams bekennt sich Precht zur Menschenwürde und zu den Menschenrechten. Diese müsste er begründen und nachweisen, warum seine "Werte" aus prinzipiellen Gründen denen der IT-Apostel oder der Posthumanisten vorzuziehen sind.

Stattdessen bietet Precht eine naturalistisch und reduktionistisch anmutende Ethik, die von David Hume inspiriert ist, sich auf den Psychologen Jonathan Haidt beruft und Menschen als Gefühlswesen sieht, die Interessen und Überzeugungen haben, die nachträglich mit angeblich "vernünftigen Argumenten" pseudolegitimiert werden. "Die menschliche Moral ist irrational", heißt es plakativ. Mit dieser Ethik lassen sich weder unveräußerliche und universelle Menschenrechte begründen – noch Prechts eigene moralische Ausführungen.

Phrasen und Banalitäten

Beruhigend ist immerhin, dass sich Precht trotz aller Vernunftkritik implizit oder explizit fortwährend auf einen Maßstab des Vernünftigen beruft, besonders dann, wenn es darum geht, die Unvernunft der IT-Apostel und KI-Enthusiasten anzuprangern. Am Ende meiner Lektüre hatte ich den Eindruck, dass Precht genau das macht, was er Jeremy Bentham gleichzeitig vorwirft: Er hat "vor sich hin gemogelt".

Dazwischen streut Precht das ein, was ich als seine metaphysischen Lebensweisheiten bezeichnen möchte, etwa: "Der Sinn des Lebens ist das Leben selbst" oder "Nothing is written" (aus dem Filmklassiker Lawrence of Arabia). Ich habe auch Sätze gefunden, die phrasenhaft und banal klingen. Zum Beispiel: "Wer nur einen Nutzen kennt, dem bleibt jede größere Sinndimension verborgen."

Insgesamt bewundere ich Prechts Strategie: Auf dem Niveau des gehobenen deutschen Feuilletons stellt er allgemeinverständliche und durchaus immer wieder vernünftige Überlegungen an, versieht diese mit dem Etikett "Philosophie" und löst – so meine Vermutung – bei der Leserschaft ein erhebendes Gefühl aus: "Precht ist der einzige Philosoph, den ich verstehe! Endlich begreife ich Philosophie! Nur Precht kann schreiben! Kant, Hegel, Nietzsche: ein unverständliches Geschwafel!"

Eine Ironie besteht wohl darin, dass Precht eine gewinnbringende Nische im digitalen "Überwachungskapitalismus" gefunden hat, der im Text als herzlos und unmoralisch abserviert wird.

Goethe hat wohl wieder einmal recht: "Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen; / Und jeder geht zufrieden aus dem Haus." (Georg Cavallar, 11.10.2020)