Unbekannte hatten der nackten "Trümmerfrau" zwischendurch Jäckchen und Kopftuch verpasst, Vögel einen Handkuss der erwartbaren Art.

Foto: Verena Krausneker

Schande, diesen Begriff der Entehrung, hatten Unbekannte im Juli nicht ein-, sondern siebenmal auf den Sockel des Denkmals gesprayt, das seit 1926 die Bronzefigur Karl Luegers auf dem nach ihm benannten Platz in der Nähe des Stubenrings ziert.

Die bunte Schmähung, die eine Künstlergruppe seit Anfang der Woche zur "Schandwache" veranlasste, ist eine Etappe in der seit Jahren immer wieder aufflammenden Debatte, die sich – Verdienste hin oder her – am Antisemitismus des einstigen Bürgermeisters von Wien und Gründers der Christlichsozialen Partei entzündet.

Denn seine hetzerischen Reden schufen ein Klima der Verrohung, prägten Adolf Hitlers Weltsicht und ebneten letztlich auch den Weg zum nationalsozialistischen Völkermord. "Früchte bringe das Leben dem Manne", war Josef Müllners Entwurf für das Standbild betitelt. Indirekt gehört der Holocaust wohl auch zu Luegers Früchten. Eine Sorte, die keine Huldigung verdient.

Überholte Mythen

Nun soll der Antisemit, wenn schon nicht physisch, so wenigstens symbolisch, endgültig vom Sockel geholt werden. Eine Initiative von 40 Persönlichkeiten aus Kultur und Wissenschaft fordert jetzt eine "unmissverständliche" Veränderung an Platz und Ehrenmal, die eine Ehrung künftig verunmöglicht. Ein Thema, das polarisiert.

Die zaudernde Haltung der zuständigen Stadtregierung ist nicht für alle nachvollziehbar. "Schämt sich denn niemand ein bissel?"– Ruth Klüger schon 2008 in ihren Memoiren Unterwegs verloren. Die aus Wien gebürtige Literaturwissenschafterin und Schriftstellerin, die ihre Deportation nach Theresienstadt und später nach Auschwitz überlebte, verstarb dieser Tage in Kalifornien.

Im Kapitel "Wiener Neurosen" ist ihre Sichtweise nachzulesen: Demnach sei "das Denkmal für Vertriebene und Ermordete am Judenplatz" ja "gut gemeint", aber wie vertrage sich "diese treuherzige Wiedergutmachung mit der Lueger-Verehrung"? Nachsatz: "Woran soll man da glauben?"

Erfundene Heldinnen

Unbekannte markierten das Lueger-Denkmal im Juli als das, was es ihrer Meinung nach ist: eine "Schande", da ein bekennender Antisemit keine Ehrung verdiene.
Foto: APA / Roland Schlager

Im Kern geht es um die Frage, ob Antisemiten und Nationalsozialisten in diesem Land eine Ehrung in Form von Denkmälern zugestanden wird. Die Beantwortung fällt weniger einhellig aus, als man annehmen würde: weder auf gesellschaftlicher Ebene noch in den politischen Reihen, wo – historischen Fakten trotzend – Heldenmythen gehätschelt und bisweilen sogar erfunden werden.

In letztere Kategorie fallen die "Trümmerfrauen", die freiwillig und teils mit bloßen Händen den Schutt des Zweiten Weltkriegs beseitigt hätten. Ihnen widmete die FPÖ ein Denkmal, dessen Enthüllung sich vor einigen Tagen zum zweiten Mal jährte. Die darob entfachte Diskussion war schnell verstummt, nun bekommt sie neue Nahrung.

Historiker hatten immer wieder die undifferenziert heroisierende Pauschalierung kritisiert, da es sich bei den "Trümmerfrauen" um einen rückwirkend konstruierten Mythos handelt, der in der österreichischen Opferthese wurzelt. Das belegen aktuelle Forschungsergebnisse. Der relevante Nachweis schlummerte Jahrzehnte unbearbeitet im Wiener Stadt- und Landesarchiv: Es sind Akten zu rund 6000 Nationalsozialisten, darunter knapp 2500 Frauen, die nach Kriegsende mangels Freiwilliger zu den Aufräumarbeiten zwangsverpflichtet worden waren.

Fallstrick "Trümmerfrau"

Der Großteil hatte die Stadt Wien nach einem OGH-Urteil von 1951 auf Entschädigung geklagt. Ihre Ansprüche machten sie nicht nur mit Arbeitsaufzeichnungen, sondern vor allem unter explizitem Verweis auf ehemalige NSDAP-Mitgliedschaften, sowohl eigene oder auch jene von Angehörigen, geltend. Die zwangsweise geleisteten "Notstandsarbeiten" wurden samt Zinsen, 100 Prozent Feiertagszuschlag und 50 bis 100 Prozent Sonntagszuschlag vergütet. Grob geschätzt wurden 2,5 Millionen bis 1947 geleistete Arbeitsstunden abgegolten.

Auf diese Dokumente war man 2018 gestoßen, als die Stadt Wien ihre ablehnende Haltung zu der im Umfeld der FPÖ geforderten öffentlichen Würdigung für "Trümmerfrauen" mit einem Gutachten untermauerte.

FPÖ-Kranzniederlegung am 8. Mai, 75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges: Vizebürgermeister Dominik Nepp, NAbg. Dagmar Belakowitsch, FPÖ-Bundesparteiobmann Norbert Hofer, NAbg. Rosa Ecker, NAbg. a.D. Heidemarie Unterreiner
Foto: FPÖ / Ruttinger

Die Realisierung erfolgte deshalb auf privatem Wege: Der FPÖ-affine Immobilienentwickler Siegmund Kahlbacher spendierte sowohl das Grundstück als auch 60.000 Euro für die Figur: Seit 1. Oktober 2018 hockt die als "Badende" gestaltete Bronze auf dem Grünstreifen der Mölker Bastei. Zum 75. Jahrestag des Kriegsendes legten ihr FPÖ-Parteichef Norbert Hofer und Landesparteiobmann Dominik Nepp zum "Zeichen des Gedenkens und der Dankbarkeit" am 8. Mai einen Kranz zu Füßen.

Vordergründig repräsentiert das Denkmal eine Generation, der man den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg verdankt. Damit pflegt man eine Form von Erinnerungskultur, die bei Nachgeborenen und auch abseits von Gedenkjahren und in politischen Lagern anderer Couleur durchaus Anerkennung findet. Ein Fallstrick, orientiert man sich an der historischen Realität.

Prämie für Nationalsozialistinnen

Schon 2005, als die Bundesregierung (ÖVP-BZÖ) unter Kanzler Wolfgang Schüssel eine Prämie für "Trümmerfrauen" verabschiedete, hatte man Bedenken der Opposition vom Tisch gewischt. Der damalige Grüne Sozialsprecher Karl Öllinger warnte mehrfach, dass davon womöglich Opfer profitieren, die eigentlich Täter gewesen wären.

Die SPÖ-Familiensprecherin Andrea Kuntzl forderte, dass ehemalige Nationalsozialistinnen keinen Anspruch haben sollten. Vergeblich. Rund 47.500 Frauen, die vor 1951 ein Kind in Österreich zur Welt gebracht oder erzogen hatten, bekamen die Zuwendung. 14,2 Millionen Euro wurden damals ausgezahlt.

Wie viele ehemalige Nationalsozialistinnen davon profitierten, ist unbekannt. Dass auch jüdische Zwangsarbeiterinnen aus Ungarn zu den Nutznießerinnen gehörten, die einst unter Lebensgefahr Leichen bargen und Trümmer beseitigten, darf bezweifelt werden.

Denn während des Zweiten Weltkriegs waren nach Bombentreffern in Wien keine Freiwilligen, sondern jüdische Zwangsarbeiter im Einsatz, wie Martin Tschiggerl, Historiker an der Universität Wien, bestätigt. Gemeinsam mit seinem Kollegen Thomas Walach hat er die erwähnten Akten aus dem Wiener Stadt- und Landesarchiv in den vergangenen Monaten näher untersucht. Sie planen eine detaillierte Studie samt Erfassung dieser und weiterer Quellen, die noch einer Finanzierung harrt.

Keine Freiwilligen

Das erste Zwischenergebnis ist eindeutig: In den Wochen nach Kriegsende wurden die Aufräumarbeiten von alliierten Besatzungstruppen durchgeführt, die dazu teilweise die Wiener Bevölkerung in die Pflicht nahmen. Zeitgleich war es der Behörde nicht gelungen, ausreichend Arbeitskräfte zur Trümmerbeseitigung zu rekrutieren.

Das "Verfassungsgesetz über die Durchführung von Notstandsarbeiten im Gebiet der Stadt Wien" vom 24. August 1945, über das Nationalsozialisten und deren Angehörige verpflichtet wurden, bescherte die Lösung. Die Auswertung der Dokumente belege laut Tschiggerl zweifelsfrei, dass, von beauftragten Professionisten abgesehen, "an der Schutträumung nahezu ausschließlich zwangsverpflichtete NationalsozialistInnen beteiligt waren".

Der freiwillige Beitrag der Bevölkerung hatte sich tatsächlich nur auf das Melden von Schäden oder die Beaufsichtigung von Arbeitskommandos beschränkt. Die Mär der tapferen "Trümmerfrau" hat sich durch historische Fakten erledigt. Der Mythos negiert nicht nur die wahren Opfer, sondern auch entlastet ehemalige Nationalsozialistinnen. Folglich taugt die "Badende" auf der Mölker Bastei allenfalls noch als Mahnmal für Geschichtsklitterung. (Olga Kronsteiner, 10.10.2020)