(Iberische) Maulwürfe benötigen für ihre Grabungen extrem muskulöse Arme. Dank einer Überdosis Testosteron und eines einzigartigen Organs verfügen auch die weiblichen Artvertreter*innen über enorme Kräfte.

David Carmona

Sie wurden Ende des Vorjahres zu den Wildtieren des Jahres 2020 gewählt – als ob die Jury geahnt hätte, dass dieses Jahr unterirdisch werden und man sich manchmal am liebsten vergraben würde. Aufgrund ihres Lebens in rund einem halben Meter Tiefe bekommt man Maulwürfe nur sehr selten zu Gesicht, umso vertrauter sind uns ihre Haufen im Garten oder auf der Wiese.

Das sind erstaunliche, voluminöse Aufschüttungen angesichts der Tatsache, dass die walzenförmigen Säugetiere gerade einmal 13 Zentimeter lang und etwas mehr als 50 Gramm schwer werden. Um diese Grabeleistungen vollbringen zu können, besitzen die blinden Tiere statt der Vorderbeine massive Grabschaufeln mit sechs Fingern. Zudem verfügen sie über eine extrem starke Muskulatur.

"Doping" mit Testosteron

Das trifft auch auf die Weibchen zu, die bei Dopingtests Schwierigkeiten bekommen würden. Weibliche Maulwürfe weisen nämlich ähnlich hohe Werte des Geschlechtshormons Testosteron auf wie männliche Tiere. Das liegt an der besonderen anatomischen Ausstattung der Tiere: Wie es für Säugetiere typisch ist, sind weibliche Maulwürfe mit zwei X-Chromosomen ausgestattet, besitzen aber sowohl funktionierendes Eierstock- als auch Hodengewebe. Beide Gewebetypen sind bei Maulwürfen in einem Organ, den Ovotestes, vereint. Und das ist einzigartig unter Säugetieren.

Das Hodengewebe der Weibchen produziert zwar keine Spermien, wohl aber große Mengen des Geschlechtshormons Testosteron. Vermutlich macht dieses natürliche "Doping" die Maulwurfweibchen aggressiv und muskulös, was für ein Leben unter der Erde von Vorteil ist, wo sie Höhlen graben und um Ressourcen kämpfen müssen.

Genetische Spurensuche

Bleibt die Frage, was genetisch zur charakteristischen sexuellen Entwicklung bei Maulwürfen führte. Diesem Rätsel ging ein deutsches Forscherteam angeführt von Erstautorin Francisca Martinez Real (Max-Planck-Institut für molekulare Genetik und Charité Berlin) nach, indem es zunächst das Genom des Iberischen Maulwurfs komplett sequenzierte. Eine besondere Herausforderung bestand dabei übrigens darin, dass sich die sehr territorialen Maulwürfe nicht im Labor halten lassen. Die Forscher mussten also sämtliche Untersuchungen an wildlebenden Maulwürfen vornehmen, und Martinez Real war deshalb monatelang in Südspanien unterwegs.

Beim Vergleich mit dem Genom anderer Tiere und des Menschen entdeckten die Forscher eine sogenannte Inversion – also einen umgedrehten Erbgutabschnitt – in einem Bereich, der an der Bildung der Hoden beteiligt ist. "Diese Veränderung führt dazu, dass sich in weiblichen Maulwürfen neben Eierstock- auch Hodengewebe entwickeln kann", erklärt Martinez Real. Es sind also mithin Veränderungen in der Struktur des Genoms, die zu einer veränderten Steuerung der Genaktivität führen, die in den Weibchen neben dem genetischen Programm für die Hodenentwicklung auch die Enzyme für die Produktion männlicher Hormone ankurbelt.

Eindeutig intersexuell

Bei Maulwürfen sind die Geschlechter also nicht klar voneinander abgegrenzt, vielmehr bewegen sich die Weibchen auf einem Spektrum zwischen typisch weiblicher und typisch männlicher Ausprägung. Die weiblichen Tiere sind also intersexuell – ein Begriff, der in jüngster Zeit für etliche theoretische, aber auch praktische Debatten gesorgt hat, vom Umgang mit intersexuellen Sportlerinnen bis zur Frage, ob es ein drittes Geschlecht in Reisepässen oder WCs nicht nur für Frauen und Männer geben sollte.

Wie die im Fachblatt "Science" erschienene Studie zeigt, ist Intersexualität bei Maulwürfen alles andere als ein krankhafter Zustand, sondern die Normalität. Zudem führt sie vor Augen, dass die sexuelle Entwicklung ein höchst komplexes Phänomen ist und es auch in der Natur ein großes Spektrum an Zwischentypen zwischen männlich und weiblich gibt.

So bestätigt letztlich auch diese Erkenntnis, dass es eine gute Idee war, den Maulwurf zum Wildtier des Jahres 2020 zu erklären. (Klaus Taschwer, 9.10.2020)