Die Operationsräume des Welternährungsprogramms sind in einem afrikanischen Krisengebiet die sympathischsten Anlaufstellen. Ein Großraumbüro in einer Baracke oder einem maroden Verwaltungsgebäude, ein halbes Dutzend unter Starkstrom stehender Gestalten in kurzärmeligen blauen Westen, die in irgendeiner Sprache der Welt in ihre Telefone bellen: Flugnummern, Wetterprognose, Ladekapazitäten. An den Wänden hängen Fotos von im Schlamm steckenden Lastern oder von Flugzeugen, aus denen Säcke purzeln. Auf den Schreibtischen liegen erkaltete Hamburger und leere Zigarettenschachteln: "Fünf Minuten", sagt der Chef und dreht seinen Bürostuhl um, "legen Sie los".

Die Fragen des Reporters werden kurz und mit Unmengen an Zahlen beantwortet: Dem Journalisten brummt alsbald der Schädel. Nach fünf Minuten ist zumindest klar, was die Person mit der blauen Weste mit dem Reporter verbindet: die Abneigung gegen die rasende Zeit, das Wetter und die Welt der Bürokraten. UN-Mitarbeiter können zu den kaltblütigsten Amtsschimmeln der Welt gerechnet werden: Die Sektion des Welternährungsprogramms (WFP) gehört nicht dazu. Wer weiß schon, dass der derzeitige Exekutivdirektor des WFP David Beasley heißt? Er hat anderes zu tun, als seinen Namen bekannt zu machen.

Vier afrikanische Staaten "overheating"

Nirgendwo sind die globalen Hilfslieferanten stärker beschäftigt als in Afrika – auch wenn sich ihre Hotspots derzeit in Syrien oder im Jemen befinden. Auf der Operationskarte der Blauwesten steht Afrika im Mittelpunkt der Welt: Vier Staaten sind dort dunkelrot als "overheating" markiert, vier als "boiling" (kochend) und fünf als "simmering" (köchelnd). Im ganzen Rest der Welt sind lediglich vier weitere Farbflecken zu sehen.

In welchen Ländern Unterernährung wie stark verbreitet ist.

Schon vor der Corona-Pandemie gingen täglich fast 700 Millionen Menschen hungrig zu Bett, die große Mehrheit von ihnen Afrikanerinnen und Afrikaner. Eines von sechs Kindern des Kontinents ist untergewichtig, eines von vier wird wegen mangelnder Ernährung in seiner psychischen oder physischen Entwicklung beeinträchtigt. Auch Aggressivität kann eine Folge schlechter Ernährung sein.

Bewaffnete Konflikte und Klimakatastrophen als Ursache

Die Hauptursachen der Ernährungskrisen in Afrika sind bewaffnete Konflikte: wovon Staaten wie Libyen, die Sahelregion (mit Mali, dem Niger und Burkina Faso) sowie die Zentralafrikanische Republik, Nigeria, Kamerun und der Kongo betroffen sind. Viele dieser Konflikte sind mit weltweiten Spannungen verbunden, wie zwischen fundamentalistischen Islamisten und den Vertretern der "westlichen Welt". Hinzu kommen Staaten, die schon heute unter den Folgen der Klimaerwärmung leiden: Auch dazu zählt die abwechselnd von Fluten und Dürren heimgesuchte Sahelzone sowie der überflutete Sudan und mehrere ostafrikanische Staaten, die unter einer beispiellosen Heuschreckenplage leiden. 80 Prozent aller Hungernden in Afrika leben in Regionen, die von Klimakatastrophen betroffen sind.

Eines von sechs Kindern in Afrika ist untergewichtig, eines von vier wird wegen mangelnder Ernährung in seiner psychischen oder physischen Entwicklung beeinträchtigt.
Foto: ASHRAF SHAZLY / AFP / APA

Seit einem halben Jahr kommen noch die Folgen der Corona-Pandemie dazu. Weniger die direkten: Mit 1,5 von weltweit 37 Millionen Infizierten und knapp 40.000 von mehr als einer Million Toten kam der Kontinent bislang glimpflich davon. Aber nicht, was die wirtschaftlichen Folgen angeht: Lockdowns, die Unterbrechung des weltweiten Warenverkehrs sowie Einbrüche bei den Überweisungen der Diaspora-Afrikaner in die Heimat haben Afrikas Ökonomien schwere Schäden angerichtet. Die Zahl der in diesem Jahr zusätzlich in bittere Armut geratenden Afrikanerinnen und Afrikaner wird auf 80 Millionen geschätzt. Die Arbeit der Blauwesten wird sich mehr als verdoppeln müssen.

Und dabei geht ihnen jetzt schon das Geld aus. In der Demokratischen Republik Kongo, wo mit 21 Millionen Menschen die meisten Afrikaner auf Hilfe angewiesen sind, mussten die Lieferanten ihre Rationen jüngst um fast ein Viertel reduzieren: Statt der sonst üblichen 13 Dollar pro Mund und Monat stehen den Blauwesten derzeit weniger als zehn Dollar zur Verfügung. Für das zweite Halbjahr 2020 hat das Ernährungsprogramm die Staatengemeinschaft um fast sechs Milliarden Dollar gebeten: Zugesagt wurde bislang noch nicht einmal die Hälfte. (Johannes Dieterich, 9.10.2020)