Die Gräben innerhalb der demokratischen Partei sind nicht weniger tief als bei den Republikanern, so Politikwissenschafter Ralph G. Schöllhammer im Gastkommentar.

Erst am 14. April war es so weit: Barack Obama erklärte offiziell seine Unterstützung für Joe Bidens Präsidentschaftskandidatur – nachdem alle anderen Bewerber der Demokraten aufgegeben hatten. Der Ex-Präsident ist immer noch der populärste demokratische Politiker, knapp gefolgt von seiner noch amtslosen Gattin Michelle. Während der gesamten Vorwahlen unterließen die beiden die Möglichkeit, das Rennen mit einer klaren Stellungnahme für Biden vorzeitig zu beenden. Warum?

Neben ihrem Charisma sind die Obamas auch eiskalt in der politischen Berechnung und haben einen klareren Blick auf die politischen Verhältnisse als viele Parteikollegen. Präsident Obama war einer der Ersten, die die Schwäche des demokratischen Präsidentschaftstickets erkannten. Biden ist seit 1972 Mitglied des US-Kongresses und bewarb sich 1988 das erste Mal um die Präsidentschaftskandidatur. Der 77-jährige Politiker ist ein Systeminsider der alten Schule, der nach eigener Aussage mit Befürwortern der Rassentrennung im Senat zusammenarbeitete und einst meinte, man würde in einem Dunkin' Donuts nicht verstanden, wenn man nicht selbst mit einem indischen Akzent sprechen würde.

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Ein demokratischer Kompromiss: Joe Biden und Kamala Harris.
Foto: Reuters / Kevin Lamarque

Ablehnung schweißt zusammen

Biden ist kein Wunschkandidat, sondern der Verlegenheitskandidat einer Partei, die intern mit einer zunehmenden Radikalisierung zu kämpfen hat und versucht, mit "slow old Joe" einen ungefährlichen und moderaten Kandidaten gegen den erratischen Amtsinhaber Donald Trump zu positionieren.

Der nach außen demonstrierten Einigkeit zum Trotz sind die Gräben innerhalb der demokratischen Partei aber nicht weniger tief als bei den Republikanern. Das Einzige, was die Partei zusammenhält, ist die erbitterte Ablehnung von Trump. Wie das Pew Research Center festgestellt hat, unterstützen 56 Prozent der Wählerinnen Biden, weil dieser "nicht Donald Trump" sei. Nur neun Prozent unterstützen ihn aufgrund von Sachthemen.

Deckel-drauf-Strategie

Das zeigt sich auch in einer wenig beachteten Umfrage über die jeweiligen Vizepräsidentschaftskandidaten. Kamala Harris hat 46 Prozent Zustimmung, Trumps Vize Mike Pence 45 Prozent bei registrierten Wählern – und das, obwohl Biden in Umfragen bis zu 16 Prozentpunkte vor Trump liegt.

Daraus leitet sich auch die aktuelle Strategie der Demokraten ab: selbst möglichst wenige Medienauftritte zu absolvieren und Trump das Rampenlicht zu überlassen, in der Hoffnung, dass sich dieser selbst weiter sabotiert. Biden hat das politische Vokabular um einen Begriff reicher gemacht: "calling a lid", was übersetzt in etwa "den Deckel zu machen" bedeutet. In diesen "zugedeckelten" Phasen gibt es keine Medienauftritte, und der mediale Fokus bleibt auf Trump. Die gleiche Strategie wird von Bidens Vize, Harris, verfolgt, die mittlerweile selbst unter ihren Fans Verstimmung durch ihre Stille hervorgerufen hat.

Spagat zwischen Basis und Wählerschaft

Auch die Entscheidung für Harris war mehr ein Signal an die eigene Parteibasis als an den Wähler. Die unabhängige Plattform Gov Track, die die ideologische Ausrichtung von US-Politikern bewertet, beschreibt Harris als die am weitesten links stehende Senatorin im Kongress. Das ist wichtig, denn selbst die Bevölkerungsgruppen, die Harris ansprechen soll – Frauen und nichtweiße Minderheiten –, sind nicht voll von der Senatorin aus Kalifornien überzeugt. Harris war gezwungen, ihr Rennen um die demokratische Präsidentschaftskandidatur noch vor den ersten Primaries zu beenden. Sie wusste, dass abseits der "woken" Twitter-Blase ihre Unterstützerzahl selbst in Kalifornien weit hinter jener der beiden alten, weißen Männer Biden und Bernie Sanders lag.

Harris ist eine "Beruhigungspille" für den progressiv-radikalen Flügel rund um die junge Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio Cortez, die der Biden-Kandidatur noch immer misstrauisch gegenübersteht. Hier wird der Spagat versucht zwischen einer aufgeheizten Basis, die sich eine Systemrevolution wünscht, und der durchschnittlichen Wählerschaft, die sich nach dem Trump-Chaos der letzten Jahre wieder nach Normalität sehnt.

Beispiel Green New Deal

Doch dieser Spagat wird zunehmend schwieriger, und das zeigte sich auch in Debatten zum Präsidentschaftswahlkampf. Der von Ocasio Cortez entworfene Green New Deal beispielsweise ist ein Herzstück für progressive Demokraten, gleichzeitig aber eine Bedrohung für Wähler in Swing States wie Pennsylvania, deren Wirtschaft stark von fossilen Brennstoffen abhängt. Dies führt dann zu absurden Situationen, wo Biden dem Green New Deal eine Absage erteilt, dieser aber gleichzeitig auf der Biden-Harris-Webpage angepriesen wird. Im Vorwahlkampf sprach Biden noch davon, das Ende fossiler Brennstoffe einzuleiten, und Harris befürwortete ein Frackingverbot. Jetzt versucht man bei diesen Positionen zurückzurudern. Übrigens ist sich die Partei der Unpopularität des Green New Deal bewusst: Als dieser im März letzten Jahres als Gesetz vorgelegt wurde, stimmten exakt null demokratische Senatoren dem Plan zu.

Aber auch anderweitig vertritt die Basis Positionen, die nicht mehrheitsfähig sind. Von der Abschaffung des Wahlmännersystems, dem Ausweiten der Anzahl an Verfassungsrichtern bis hin zu Aufrufen, der Polizei finanzielle Mittel zu streichen. Sowohl Biden als auch Harris haben bis jetzt vermieden, sich zu diesen Positionen klar zu äußern, weil man weder gemäßigte noch progressive Wähler verlieren will.

Komplexes Bild

Bei einer Mehrheit der Wähler sind viele dieser Ideen zutiefst unpopulär, und nur eine Minderheit wünscht sich eine veränderte Zusammensetzung des Verfassungsgerichtshofes. Auch in der Frage von Polizeigewalt ist das Bild komplexer, als es so mancher Medienbericht erscheinen lässt. Nicht weniger als 81 Prozent der schwarzen Bevölkerung wünschen sich eine gleichbleibende oder erhöhte Polizeipräsenz in ihren Wohngegenden.

Die Demokraten werden die Wahl gewinnen, solange die eigenen Probleme von der Medienobsession mit Trump übertüncht werden. Sollte dem Präsidenten jedoch jemand seinen Twitter-Account wegnehmen, wäre das Rennen wahrscheinlich wieder weit offen. (Ralph G. Schöllhammer, 10.10.2020)