Seit der umstrittenen Präsidentenwahl Anfang August protestieren die Menschen in Belarus regelmäßig gegen Präsident Alexander Lukaschenko.

Foto: AFP / Stringer

Minsk – Der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko hat sich mit mehreren inhaftierten Oppositionellen und Mitgliedern des Koordinationsrates getroffen. Das Gespräch im Untersuchungsgefängnis des Geheimdienstes KGB habe viereinhalb Stunden gedauert, meldete der dem weißrussischem Staatsfernsehen nahe stehende Telegram-Kanal "Pul Perwogo" am Samstag.

Prominentester oppositioneller Teilnehmer war der Bankmanager und Politiker Viktor Babariko. Der 56-Jährige wollte bei der Präsidentenwahl gegen Lukaschenko antreten, landete jedoch im Gefängnis, bevor der Wahlkampf richtig losgehen konnte.

Ein von "Pul Perwogo" veröffentlichtes Foto zeigt Lukaschenko im dunklen Pullover, wie er an einem mit Blumengesteck geschmückten ovalen Tisch mit den Oppositionellen diskutiert. Über den Inhalt sei Schweigen vereinbart worden, hieß es. Lukaschenko habe bei dem Treffen gesagt: "Die Verfassung schreibt man nicht auf der Straße". Nach Informationen des oppositionellen Portals "Nexta" soll er mit den Oppositionellen über Änderungen der Verfassung diskutiert haben.

Tichanowskaja telefonierte mit Ehemann

Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja durfte außerdem erstmals seit seiner Inhaftierung mit ihrem Ehemann, dem regierungskritischen Blogger Sergej Tichanowski, telefonieren. Es sei das erste Gespräch seit 134 Tagen gewesen, schrieb Tichanowskaja am Samstag im Nachrichtenkanal Telegram. Das Paar habe sich über die Haftbedingungen und über die gemeinsamen Kinder unterhalten, sagte ein Berater. Sergej Tichanowski habe seiner Frau geraten, sich weiterhin mit ausländischen Staats- und Regierungschefs zu treffen. Die Opposition müsse härter auftreten.

Tichanowski sitzt seit Ende Mai in Haft. Er wollte bei der Präsidentschaftswahl gegen Machthaber Alexander Lukaschenko antreten, das wurde ihm allerdings verwehrt. Tichanowskaja war an seiner Stelle bei der Wahl angetreten und hatte als einzige Oppositionelle eine Zulassung erhalten. Nach der Präsidentenwahl flüchtete sie nach Litauen.

Tichanowskaja Mitstreiter haben am Sonntag ab 13.00 Uhr zu einem sogenannten "Marsch des Stolzes" aufgerufen und hoffen auf 100.000 Teilnehmer. Damit sollten die Belarussen dem Machtapparat zeigen, dass sie auch zwei Monate nach der umstrittenen Präsidentenwahl keine Furcht hätten, heißt es in einem Aufruf der Demokratiebewegung. Es ist bereits das neunte Wochenende in Folge, an dem die Menschen in der Ex-Sowjetrepublik auf die Straße gehen. Die Proteste an Sonntagen haben traditionell den größten Zulauf.

Großbritannien rief Botschafterin zurück

Großbritannien hat indessen seine Botschafterin Jacqueline Perkins vorübergehend aus Belarus (Weißrussland) abgezogen. Außenminister Dominic Raab begründete den Schritt am Samstag mit Solidarität zu Polen und Litauen. Die beiden EU-Staaten haben Oppositionelle aus dem Nachbarland aufgenommen. Auf Druck der Führung in Minsk mussten sie daraufhin zahlreiche Diplomaten abziehen.

Aus Solidarität mit Polen und Litauen haben schon mehrere EU-Staaten ihre Botschafter zurückbeordert. Österreich behalte sich die Möglichkeit, seine Botschafterin zurückzurufen, "für einen späteren Zeitpunkt vor", hieß es zuletzt aus dem Außenministerium.

Seit der umstrittenen Präsidentenwahl Anfang August protestieren die Menschen in Belarus regelmäßig gegen Präsident Alexander Lukaschenko. Der seit mehr als einem Vierteljahrhundert regierende Machthaber reklamiert den Sieg mit einem Ergebnis von mehr als 80 Prozent für sich. Die EU erkennt das Wahlergebnis nicht an. Die Opposition in Belarus sieht Swetlana Tichanowskaja als wahre Siegerin. Lukaschenko beschuldigt Polen und Litauen, die Proteste anzufachen. (APA, red, 10.10.2020)