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Eine Frau sitzt auf den Trümmern eines Hauses in der Stadt Ganja.
Foto: Reuters / Umit Bektas

Russland habe Armenien gerettet, sagt Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew. "Als (Armeniens Premier Nikol, Anm.) Paschinjan uns sein Ultimatum gestellt hat, mussten wir ihn dafür bestrafen, und wir haben es getan. Möge er nun Putin dafür danken, dass Russland Armenien ein weiteres Mal gerettet hat", sagte Alijew. Seinen Angaben nach hatten aserbaidschanische Truppen die Frontlinie bereits durchbrochen, als auf Moskaus Drängen die Waffenruhe geschlossen wurde.

Eine unabhängige Bestätigung der Behauptungen Alijews gibt es nicht. Aber die Indizien sprechen zumindest dafür, dass die Lage für Eriwan extrem kompliziert ist. Selbst durch die in jedem Krieg auf allen Seiten propagandistisch eingefärbten Verlautbarungen des Militärs klingt auf armenischer Seite durch, dass die Gefechte schwer und die Verluste hoch sind.

Insofern kam Moskaus Aufruf an Eriwan und Baku, die Kämpfe um die Region Bergkarabach einzustellen, Armenien zupass. Aus geschichtlichen Gründen sei der Einfluss des seit dem 19. Jahrhunderts im Kaukasus aktiven Russlands auf beide GUS-Republiken immer noch groß, sagt der Historiker und Kaukasus-Experte Philipp Ammon (Autor von Georgien zwischen Eigenstaatlichkeit und russischer Okkupation). Allerdings spielte Moskau in der Geschichte des Bergkarabach-Konflikts eine ambivalente Rolle. "Um die zum Ende der Sowjetzeit ausbrechenden Unabhängigkeitsbewegungen speziell im für strategisch wichtig erachteten Kaukasus zu schwächen, stärkte der sowjetische Geheimdienst die Gegenethnie", sagte Ammon dem STANDARD.

Die Verschachtelung der Republiken und das Gegeneinanderausspielen der Ethnien verhinderten am Ende den Zerfall der Sowjetunion nicht. Dafür sind wie in Bergkarabach eine Reihe blutiger Konflikte entstanden, die sich seit Jahrzehnten kaum lösen lassen.

Keine Dauerlösung

Auch der neue mühsam ausgehandelte Waffenstillstand bringt keinen dauerhaften Frieden. Die schweren Kämpfe sind zwar vorläufig beendet, doch geschossen wird weiterhin. So teilte der Präsident der von Aserbaidschan abtrünnigen Bergkarabach-Republik Araik Arutjunjan mit, dass die Feuerpause "nicht vollständig eingehalten wird".

In der Nacht auf Sonntag gab es mehrere Einschläge sowohl in der Hauptstadt Stepanakert als auch in der Stadt Schuscha. Am Tag setzten sich dann die gegenseitigen Beschüsse fort. Beide Seiten machen sich gegenseitig für den Bruch des Abkommens verantwortlich.

Da die aus humanitären Gründen erklärte Feuerpause vor allem dem Austausch von Gefangenen und Gefallenen dient, ist eine neue Eskalation nach relativ kurzer Zeit wahrscheinlich.

Kein Ende in Sicht

Die Kriegsziele haben sich nämlich kaum verändert: Armenien erklärte sich zwar zu Verhandlungen und Zugeständnissen bereit, doch wird Eriwan kaum so weit gehen, die immer noch ultimativ von Baku gestellte Forderung nach einer vollständigen Räumung des mehrheitlich von Armeniern bewohnten Bergkarabach-Gebiets zu erfüllen.

Aserbaidschan versucht nun, für weitere Gespräche seinen Verbündeten, die Türkei, als "Vermittler" an den Verhandlungstisch zu bekommen. Die Armenier wiederum schlagen vor, den Iran als regionalpolitischen Gegenspieler der Türkei als zusätzliche Instanz bei der Konfliktlösung einzusetzen. (André Ballin, 11.10.2020)