SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner hofft auf Schwung aus dem Wahlerfolg vom Sonntag. Doch dass die Genossen mit ihr mitziehen, ist nicht ausgemacht.

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Die Sozialdemokratie wird überleben: Das ist die wichtigste Erkenntnis, die Genossen österreichweit aus dem Erfolg in Wien ziehen dürfen. Hätte die SPÖ den wichtigsten aller Bürgermeister verloren, wäre der Weg in das Schicksal einer vernachlässigbaren Kleinpartei geebnet gewesen.

Der Sieger vom Sonntag ist nun, mehr als je zuvor, der starke Mann in der Partei. Dass – wie bei Christian Kern und Pamela Rendi-Wagner geschehen – noch einmal ein Bundeschef gekürt wird, ohne dass der Herr im Rathaus die Fäden zieht, scheint undenkbar.

Michael Ludwig könnte seinen Einfluss nutzen, um die SPÖ neu aufzustellen – sofern er denn will.

Rendi-Wagner spielte keine Rolle

Gründe ließen sich finden. Bundesweit liegt die SPÖ in Umfragen maximal halb so gut wie nun in Wien, Ludwig selbst war wie viele andere Funktionäre auf Rendi-Wagner schon gehörig angefressen. Die Chefin erhofft sich nun neuen "Schwung", doch mangels einer tragenden Rolle im Wahlkampf kann sie den Erfolg in der Hauptstadt kaum für sich verbuchen. Laut Wahltagsbefragung von Sora/Isa im Auftrag des ORF waren bundespolitische Überlegungen nur für eine Minderheit der sozialdemokratischen Wähler überhaupt ein Faktor.

Allerdings spricht manches gegen eine Rochade an der Spitze. Nach wie vor drängt sich kein allseits umjubelter Nachfolger auf, und ein Wechsel vier Jahre vor der nächsten geplanten Nationalratswahl ist heikel. Wer sich zu früh aus der Deckung wagt, droht sich im Oppositionsalltag abzunützen.

Derartiges Kalkül spielt auch beim Wahlverlierer vom Sonntag eine Rolle. Norbert Hofer, der das blaue Debakel einmal mehr mit Ibiza und Heinz-Christan Straches Spesenaffäre erklärte, gilt in der FPÖ nicht als Obmann auf ewig, doch die Übernahme einer Partei am Tiefpunkt lange vor der nächsten Wahl bietet sich nicht unbedingt an. Der wohl aussichtsreichste Kronprinz, Oberösterreichs FP-Chef Manfred Haimbuchner, hat nächstes Jahr ohnehin erst die Landtagswahl in der Heimat zu schlagen.

Die erste Reaktion der SPÖ-Bundesparteivorsitzenden Pamela Rendi-Wagner auf das Wahlergebnis
DER STANDARD

Türkiser Erfolg mit Schattenseiten

Fernab aller Führungsdebatten steht die ÖVP. Vordergründig kann Sebastian Kurz das Wiener Ergebnis in seine Siegesserie einreihen: Er sprach von einem sensationellen Ergebnis für die "neue Volkspartei". Doch hinter den Kulissen gibt es Anlass, die Analyse selbstkritischer ausfallen zu lassen. Die 20-Prozent-Marke blieb trotz des FPÖ-Absturzes um 23 Prozent unerreicht. Kandidat Gernot Blümel, ein Kurz-Vertrauter, wirkte im Wahlkampf steif und bot Angriffsflächen, etwa im Posting-Scharmützel mit dem Schriftsteller Robert Menasse. Das streckenweise versuchte Wien-Bashing ging offenbar nur bedingt auf.

Der Bundeskonkurrenz darf dies Mut machen. Die vermeintlich perfekt geölte Kampagnenmaschinerie sei ins Stocken geraten, urteilt Politikberater Thomas Hofer: "Das war der erste nicht türkise Wahlkampf unter Kurz."

Kein Denkzettel für Grüne

Bei der kleineren Koalitionspartei fasst Frontmann Werner Kogler das Resultat vom Sonntag als Bestätigung für den Regierungskurs auf – wohl nicht zu Unrecht. Die Grünen liegen zwar weit unter dem Wiener Wert bei der Nationalratswahl 2019 (20,7 Prozent) und haben damit ihr Potenzial in der Hochburg nicht annähernd ausgeschöpft. Im Vergleich zur (schwachen) Gemeinderatswahl 2015 setzte es aber ein Plus – und das unter schwierigen Bedingungen. In der Bundeskoalition mit der ÖVP müssen die Grünen heikle Beschlüsse mittragen wie das Nein zur Aufnahme von Flüchtlingskindern. Doch der Denkzettel für die Liaison mit der ÖVP blieb aus, was einen internen Zwist über die Regierungsbeteiligung unterbinden dürfte.

Besser als 2015, aber schlechter als 2019 gilt genauso für die Neos. "Fast eine Verdopplung", wie sie Bundeschefin Beate Meinl-Reisinger in einer ersten Reaktion zu erkennen glaubte, ist das nicht, eher ein Erfolg im typischen Rahmen: So wie in Wien zeichnet sich laut Umfragen auch im Bund kein übergroßer Sprung nach vorne ab. (Gerald John, 11.10.2020)