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Die gute Nachricht: Jetzt ist zu sehen, wo die Chancen liegen, individuell wie auch in den Systemen.

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Die Corona-Pandemie hat den laufenden Veränderungen in der Jobwelt einen gewaltigen Turbo verliehen und gleichzeitig eine leistungsstarke Lupe auf das gerichtet, was ist. Darauf, was sich in Schieflage befindet und nicht passt. Und auch dorthin, wo massiver Handlungsbedarf besteht. Fragen nach Ort, Zeitpunkt, Art, Menge und vor allem nach dem Wert und der Verteilung der Arbeit sind von einer eher in Elitenkreisen besprochenen Thematik zum Gegenstand breiter Diskussion geworden. Dazu hat der achtwöchige Lockdown, dazu haben verordnete Schließungen ihr beschleunigendes Momentum beigesteuert.

Dieser Text ist am 15. Oktober 2020 im Der Standard Karriere Magazin erschienen.

Mittlerweile sind auch die ursprünglichen Hoffnungen, man werde relativ schnell zum Gewohnten, zum Zustand ex ante, zurückkehren, zerschlagen. Es ist nicht rückgängig zu machen, was an Entwicklung angerissen ist, was sichtbar wurde und nach Lösung, nach Neuordnung ruft. Nichts, was durcheinandergewirbelt oder sogar beendet wurde, richtet sich von selbst wieder ein.

Das ist die gute Nachricht: Jetzt ist zu sehen, wo die Chancen liegen, individuell wie auch in den Systemen. Jetzt ist die wirkliche Gestaltungszeit da. Vielleicht geht das mit dem sogenannten Wohlstandsverzicht einher, vielleicht aber auch nicht. Aber jetzt geht es uns etwas an. Wegschauen, ignorieren, irgendwohin delegieren und durchtauchen geht so nicht mehr.

Druck der Veränderung

Dazu sind die brennenden Fragen viel zu stark in die öffentliche Diskussion gestoßen. Und das sind sehr viele: Aufwertung tendenziell gering bezahlter, systemrelevanter Arbeit wurde zum großen Thema. Die Bruchstellen auf dem Weg junger Menschen ins Berufsleben zeigten sich massiv. Es ist klar geworden, dass ein paar schlaue Sprüche nicht reichen, um tausende Ausgeschlossene und Abgehängte hinzunehmen. Das über weite Strecken ersichtlich gewordene Versagen des Schulsystems in erzwungener Distanz und Homeschooling ohne adäquate Hilfe hat den Reformbedarf in breite Debatten geführt.

Und eine verträglichere Verteilung der Arbeit inklusive der fortschreitenden Automatisierung hat abseits politischer Herkunft in Auseinandersetzungen über generelle Arbeitszeitverkürzung gemündet. Das ist überwiegend nicht angenehm. Aber es führt zu etwas, nämlich dem Druck der Veränderung, mit der wir uns freiwillig nicht so leichttun.

Das Neue ist im Jahr 2020 schlagartig da gewesen: Plötzlich war in Firmen mit traditioneller Präsenzkultur Homeoffice angesagt. Führungskräfte des alten Schlags konnten ihre Teams über Nacht nicht mehr so kontrollieren wie lange gewohnt und geübt. Vielerorts musste Anweisung und Überprüfung dem Vertrauen Platz machen. Rollen wurden hinterfragt, aufgelöst, neue Anforderungen sind frontal vor allen Arbeitenden gestanden, ob existenziell oder aber im Wie des Jobs.

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Neue Orte
Rund 40 Prozent der Jobs können aus dem Homeoffice gemacht werden. Das Büro wird zu einer der künftig vielen möglichen Betriebsstätten. Das ist aber erst der Anfang, denn so große Flächen wie zuvor wird kaum noch ein Unternehmen brauchen. Kleinere Einheiten werden entstehen. Mobilitätsanbieter werden ihre Infrastrukturen ebenso arbeitsgerecht entwickeln wie gastronomische Betriebe. Dort entstehen ebenfalls neue Hybridmodelle aus ursprünglichem Geschäft und neuem Arbeitsort. Schließlich beschleunigt sich die Entwicklung des Mottos "Das Büro ist, wo ich bin" – also das Ich als Arbeitsort auf Projektbasis, mit dem guten alten Schreibtisch in der Virtual-Reality-Brille auf der Nase.
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Sinn und Nachhaltigkeit

Die Pandemie hat soziale Verwerfungen in einer Art sichtbar gemacht, die keine Ignoranz mehr zulässt. Die Kurzarbeit und staatlichen Hilfsgelder haben zwar Zeit verschafft, gleichzeitig musste sich im Herbst niemand mehr die Hand vor den Mund halten, wenn er oder sie 2021 die hohe Wahrscheinlichkeit eines Arbeitsmarkts mit sehr vielen Arbeitslosen und dem schmerzhaften Wandel in vielen Branchen, nicht nur in der Automobilindustrie und dem Tourismus, prognostizierte.

Die Ängste sind mit dem absehbaren Änderungsbedarf gestiegen. Gleichzeitig waren viele Arbeitende auch in der privilegierten Situation, sich mit sich und ihrer Arbeit auseinanderzusetzen. Will ich das? Was will ich wann und zu welchem Preis? In der Folge hat die jahrelang schwelende Sinndebatte in der Arbeitswelt eine größere Dynamik erhalten: Warum tue ich, was ich tue? Wofür und für wen ist das gut? Dass dabei noch die Klimakrise hineinspielt, führt dazu, dass die vielen Stimmen, die der Nachhaltigkeit ein Randdasein verordnet hatten, viel leiser geworden sind. Dafür hat es jenen Stimmen, die Nachhaltigkeit nicht nur auf Umweltfragen fokussieren, sondern auch die sozialen Komponenten mitdenken, Gehör verschafft. Nachhaltigkeit in all ihren Dimensionen entschlüpft, turbobeschleunigt, gerade ihren Nischen in Nachhaltigkeitsberichten einiger Firmen und Gewissensberuhigung einiger, die es sich leisten können. Denn die Frage, wie das alles weitergehen soll, ist ebenso in der breiten Diskussion der brennenden Fragen angekommen.

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Neue Fragen
Das Coronavirus hat zu einer intensiven Selbstreflexion und zum Hinterfragen von Werten geführt, Sinnfragen in der Arbeit neu aufgeworfen. Wer es sich, gut ausgebildet, leisten kann, entscheidet sich: Will ich in einer Firma arbeiten, die Gleichberechtigung, lebensphasengerechtes Arbeiten und nachhaltiges, umweltverträgliches Wirtschaften als Luxusgüter betrachtet – oder eher nicht? Wie klar kann das Unternehmen seinen Sinn erklären und meinen Beitrag sichtbar machen? Wie gut kann ich meine Familie, meine Interessen, mein ökologisches und soziales Engagement mit meiner Arbeit verbinden? Habe ich das Gefühl von Zugehörigkeit, Bedeutsamkeit und einer Stimmigkeit mit meinen inneren Werten und jenen der Firma?
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Ähnlich das so lange als Berater- und Werbethema für Mitarbeiterinnen qualifizierte Diversitätsthema: Black Lives Matter entfaltet seine Wirkung, und die Kritik an dem Zurückdrängen von Frauen in ein bisschen Homeoffice nebst Haushaltsmanagement und Kinderbetreuung kann nicht hingenommen werden.

Vieles passt (noch) gar nicht. Vieles ist herumgewirbelt. Weder passt Homeoffice für alle gleich gut, noch lässt sich für dort alles gesetzlich regeln, auch wenn der große Homeoffice-Wurf von der Bundesregierung für den März 2021 angesagt wurde. Wer zu Hause Kinder hat und keine große Wohnung, hat Nachteile im Homeoffice. Wer frisch in einer Organisation ist und niemanden kennt, wem die Ganggespräche und die informellen Wege fehlen, hat im Homeoffice ein Problem. Wer sich grundsätzlich schwertut, Pausen zu machen und die Arbeit zu begrenzen, die Geräte abzudrehen, für den wird Homeoffice relativ schnell sehr ungesund werden – selbst wenn ein hybrides Modell mit ein paar Bürotagen nebst Heimarbeit, installiert wurde.

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Neue Skills
Jahrelang propagiert, jetzt akut für die mentale und in der Folge auch physische Gesundheit gefragt: Resilienz, Selbstmanagement, Selbstorganisation, aber auch disziplinierte Selbstbegrenzung in der Arbeit. Besonders dort, wo die alte Präsenzkultur einer Erreichbarkeitskultur gewichen ist und Führungskräfte mit virtueller Zusammenarbeit nicht gut umgehen können. Ständige Bereitschaft, neue technische Werkzeuge zu erlernen, sind selbstverständliche Grundlage geworden, der Umgang mit Videotools ebenso. Die vielbeschworene Persönlichkeitsentwicklung gibt jetzt den Ausschlag: Wer kann als Führungskraft wirklich Empathie spürbar machen, wer ist belastbar genug, sich den Ängsten des Teams zu stellen?
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Neue Unternehmenskultur

Aber da erbringt die Corona-Lupe, die sichtbar macht, was davor schon war und jetzt erst recht ist, ihre Leistung: Unternehmenskulturen, die schon gut auf dem Weg waren in echte New Work, mit Selbstbestimmung und dem Blick auf Potenziale und individuelle Leistungsfähigkeit je nach Lebensphase, die Kollegialität und neue Führung im Sinne der Ermöglichung gelebt haben, sind jetzt im Vorteil. Dort, wo toxische Chefs, Command and Control, ein ungutes Klima herrschten, in dem Mitarbeitende Nummern waren und Human Capital, das sich effizientest rentieren soll, ist es rapid schwierig geworden, sind Konflikte in einer Härte ausgebrochen, die sich nicht verhüllen lässt. Wo Kollegialität fühlbar war, sind die Leute enger zusammengerückt – trotz Abstands. Wo jede gegen jede und jeder gegen jeden die Devise war, bricht es gerade.

Für Junge bedeutet das viel mehr Klarheit über die tatsächliche Attraktivität eines möglichen Arbeitgebers – Social Media und Arbeitgeberbewertungsplattformen sei Dank. Tolles Marketing, das nicht stimmt, hilft nun nicht mehr. Wer also gut ausgebildet ist, hat jetzt bessere Chancen, das zu finden, was passt. Dass es meist länger dauert mit dem Jobfinden, soll nicht vergessen werden zu erwähnen. Für Menschen mit 45, 50 Jahren ist diese Situation sehr oft ungut. Firmen, die Erfahrene richtig einsetzen und schätzen, gibt es natürlich. Wer aber aus dem Arbeitskarussell gefallen ist, hat offensichtlich ein Problem mit einem Wiedereinstieg und der Neuerfindung des gewohnten Lebens.

Aber auch da ist viel im Gange: So gut wie alle Organisationen mussten sich selbst zur Baustelle machen und sich überdenken. Ein Ergebnis für alle wird es nicht geben. Aber sicher ein notwendiges, durch den Turbo eingeleitetes Umdenken, das auch Öffnung bedeutet. Denn "Zukunftsfähigkeit" hat jetzt noch einmal eine andere Bedeutung erhalten. Ohne die jeweils richtigen Menschen kann es ja nicht klappen. (Karin Bauer, 18.12.2020)