Sich nach dem Jobverlust neu zu erfinden braucht seine Zeit.

Foto: istockphoto

Eigentlich wissen wir es alle: In jedem Ende steckt schon das Momentum eines Neubeginns. Wenn wir allerdings aus einem vergleichsweise lauen Sommertag plötzlich in den tiefsten Winter gestoßen werden, ist es schwierig mit der Perspektive. Dann ist es meistens so, dass wir uns in einem finsteren Gefängnis fühlen. "Dunkle Tetraeder" nennt der Soziologe und Gründer des FAS-Research-Instituts, Harald Katzmair, das aktuell: Angst vor dem Monatsende. Angst um das Leben inmitten der Pandemie, Angst vor dem Ökokollaps und generelle Zukunftsangst.

Verlust von Status

Das alles ist ja auch nicht bloße dystopische Fantasie, es fühlt sich real an, auch wenn hierzulande keiner faktisch verhungert in der Arbeitslosigkeit. Jobverlust wurde früher in Abhandlungen oft "sozialer Tod" beschrieben. Das Stigma, nicht mehr herzeigbar im Erwerbsleben zu ackern, ist zwar mittlerweile zum Glück blasser geworden. Aber immer geht es um persönlichen Verlust. Verlust von Status, Gewohnheit, dem festen Platz, dem Lebensstil, dem aus dem Beruf erwachsenen Umfeld. Und der vorgegebenen Tagesstruktur, was besonders erschwerend dazukommt – vor allem für klassische Workaholics, deren Job nicht nur identitätsstiftend war, sondern auch tages- und nachtfüllend.

Dieser Text ist im Magazin DER STANDARD KARRIERE am 15. Oktober erschienen.

Dass es einer halben Million Menschen in Österreich ähnlich geht, tröstet da nicht. Dass es bald noch mehr Menschen so ergehen wird, schon gar nicht. Im ersten Schock funktionieren auch die vielen tollen Tipps wie jener, man möge sich doch einen Chancenblick zulegen, nicht, kommen nicht an, wirken vielleicht sogar zynisch. "Immer weiter, nur nicht nachlassen", wird da zum ultimativen Druck – in einem Umfeld, in dem Bewerben noch einmal schwieriger geworden ist, in dem Kontakte weggebrochen sind, ganze Branchen im beschleunigten Umbau stehen und Netzwerke, wenn überhaupt, irgendwo nur virtuell bestehen. Die Wege irgendwohin zurück sind jetzt noch einmal länger geworden.

Es dauert seine Zeit

Der Weg aus einem Jobende in einen Neuanfang, darin sind sich Ratgeberbücher wie Coaches und sogenannte Outplacementberater einig, braucht Zeit und Raum. Quick Wins sind die Ausnahme – und in einer Krise wie dieser sind sie noch rarer geworden. Der Weg von der bekannten Anhöhe ist zunächst der Absturz. Dann geht es hügelig wieder voran – dieses Bild prägt alle Untersuchungen zum Neubeginn. Durch diese Landschaft des Neubeginns oder der Selbstneuerfindung fährt selten die Eisenbahn – er ist zu Fuß zurückzulegen. Wer das gemacht hat, egal ob die Ankunft ein neuer Job, eine ganz neue Tätigkeit oder ein Rückzug aus dem Arbeitsprozess ist, hat gewonnen. Nämlich ein Stück mehr von sich selbst, seinem Lebenssinn und seiner Zufriedenheit. Möglicherweise auch mit einem Stück weit Wohlstandsverlust – welcher dann aber als fairer Preis für eine neue Balance empfunden wird.

Dazwischen liegen allerdings existenzielle Kämpfe vieler Arten – je nach Persönlichkeitsstruktur und je nach dem Grad der Privilegien, mit denen man leben und arbeiten durfte, und natürlich je nach Lebenssituation: Es macht einen Unterschied, ob ich mit geringem Einkommen eine Familie weiterbringen muss oder ob ich über einen neuen Lebenssinn im kulturellen oder freizeithandwerklichen Bereich nach einer Führungsaufgabe in der Automobilindustrie nachdenken darf.

Ein Fahrplan

Das Grundprinzip des Landschaftsbildes mit seinen Tiefen und Hügeln bleibt allerdings dasselbe. Und was ist an welcher Stelle am besten zu tun?

Zunächst der deutsche Wirtschaftspsychologe Heinrich Wottawa mit einer generellen Ermutigung: "Scheitern bietet eine großartige Chance für Reifungsprozesse, gerade weil vertraute, überkommene Muster aufgebrochen werden und man sich neu anpassen muss." Klingt gut. Allerdings fehlt ein Nachsatz: Schmerzfrei ist es nicht, im Gegenteil. Dennoch bietet Wottawa einen recht guten, groben Fahrplan:

  • Sich Zeit lassen, bis der Schock abgeklungen ist. Jobverlust bedeutet großen psychischen Stress, vergleichbar mit den Auswirkungen einer schweren Krankheit auf den Körper. Versuchen Sie daher nicht, sofort eine gute Lösung zu finden.
  • Mit der Niederlage ganz offen umgehen. Auch wenn Sie diese selbst verursacht haben sollten, ist es viel besser für Ihre sozialen Kontakte, wenn Sie es von sich aus erzählen. Verbergen können Sie es ohnehin nicht, es spricht sich immer herum. Und wozu auch schämen?
  • Negative Gefühle zulassen. Selbst starke Persönlichkeiten erleben in Krisen psychische Ausnahmezustände. Man kann sich ärgern, wütend und verzweifelt sein und das auch zugeben und anderen sagen. Vermeiden Sie aber, solche Emotionen zum Schaden anderer auszuleben. Ihr Partner, Ihr Kind oder Ihr Hund sind keine Blitzableiter, und auch der Kollege, der Sie in der Firma erfolgreich verdrängt hat, ist deswegen nicht böse. Je mehr man sich seine Affekte bewusstmacht, umso besser kann man sie kontrollieren. Wenn Sie aber merken, dass Ihre Umwelt unter Ihnen leidet, nehmen Sie sich eine Auszeit.
  • Eine Aufgabe suchen, die wirklich zu mir passt, und nicht unbedingt diejenige, die am schnellsten erreichbar ist. Denn meist findet man rasch eine neue Position, die der alten sehr ähnlich ist. Aber: Was würde wirklich zu meinen Vorstellungen und Fähigkeiten passen? Echte Alternativen zum bisherigen Lebensweg erwägen.
  • Sich Zeit nehmen, mehr darüber zu erfahren, wer ich wirklich bin. Dabei geht es zunächst nicht um Kompetenzen, sondern ganz besonders um Befriedigungspotenziale: Was hält mich mit Freude am Laufen, wo investiere ich gern Zeit und Energie? Darüber kann man sich in schriftlichen oder grafischen Darstellungen klar werden, etwa Mindmaps oder auch Tabellen: Was hat mir bisher bei der Arbeit gefehlt, was habe ich in der Freizeit an Ausgleich gesucht? Für manche sind auch Modelle eine Hilfe: Welche Menschen bewundere ich, wer ist für mich Vorbild?

Wenn es nicht um die nackte Existenz geht, sondern um einen Neubeginn, einen neuen Job, eine neue berufliche Tätigkeit oder hinein in ein ganz neues Wagnis der Lebensausrichtung, dann liegt darin tatsächlich – und das ist beforscht – die Chance auf ein nie gekanntes glückliches Lebensgefühl. (Karin Bauer, 22.10.2020)