"Eh ganz gut, aber gestresst", antworten viele Menschen auf die Frage, wie es ihnen wirklich geht. In einer von Leistung geprägten und durch die Digitalisierung immer schneller werdenden Arbeitswelt mit ständiger Erreichbarkeit und in Zeiten von Kurzarbeit und Homeoffice ist Stress für viele zum täglichen Begleiter im Arbeitsalltag geworden.

Gleichzeitig wird den Arbeitenden vermittelt: Je glücklicher und entspannter sie sind, desto erfolgreicher, kreativer und leistungsfähiger sind sie. Also, je selbstoptimierter, desto besser. Manche Arbeitgeber erwarten auch in Krisenzeiten, dass sich ihre Angestellten nicht vom Stress unterkriegen lassen. Doch wie viel Optimierung ist gut für das Selbst? Und wie geht man am besten mit dem Druck um?

Dieser Text ist am 15. Oktober 2020 im DER STANDARD Karriere-Magazin erschienen.

1. Drogen und Cyborgs

Manchen Menschen reicht ihr Gehirn nicht mehr. Sie nehmen Ritalin, Koffeintabletten oder LSD in Mikrodosen, um produktiver, kreativer und wacher zu sein. Neuro-Enhancement heißt die Einnahme solcher leistungssteigernder Mittel. Bisher gibt es keine fundierten Studien, die zeigen, dass solche Mittel überhaupt wirken. Immerhin rund zwei Prozent der teilnehmenden Menschen in Österreich gaben in der Global Drug Survey von 2019 an, bereits leistungssteigernde Substanzen eingenommen zu haben.

Den Brainhackern ist das nicht genug: Sie erhoffen sich, dass ihr Gehirn durch die Verbindung mit Computern noch besser wird. Nur so könne man künftig mit künstlicher Intelligenz mithalten, ist etwa Tesla-Chef Elon Musk überzeugt, der mit seiner Firma Neuralink Hirnimplantate entwickelt.

Es müssen nicht sofort chemische Dopingmittel fürs Hirn sein, um eine bessere Leistung zu bringen und mit dem Stress in der Arbeit umgehen zu können. Auch Achtsamkeitsübungen helfen.

2. Ausatmen, einatmen und om

Bereits durch bewusstes Atmen können sich Gestresste Stück für Stück beruhigen. Und nicht nur das: Meditieren, sagen Experten und Studien, verbessere auch die Konzentrationsfähigkeit und Reaktionszeit sowie die Gedächtnisleistung und Zufriedenheit am Arbeitsplatz. Zudem haben neurowissenschaftliche Studien ergeben, dass Meditation die Aufmerksamkeitskontrolle steigert, die Gefühlsregulation verbessert und das Selbstbewusstsein verändert. Bei Menschen, die viel meditieren, ließen sich sogar Veränderungen in den Hirnarealen nachweisen, die für Stress zuständig sind. Auch Mindfulness Based Stress Reduction, kurz MBSR, also die Methode der achtsamkeitsbasierten Stressreduktion, soll, täglich angewandt, die Stressresistenz verbessern.

Im Jahr 2018 wurde in einer US-Studie der Zusammenhang zwischen Meditation und der Arbeitsleistung untersucht. Das Resultat: Jene Teilnehmer, die eine Viertelstunde meditiert haben, waren weniger motiviert als die anderen. Aber: Sie leisteten genauso viel wie die Arbeitswilligen – mit ruhigerem Gemüt.

Eben diese Gelassenheit kann auch negative Auswirkungen haben, wollen Forscher herausgefunden haben. Wer sich Gefühle und Situationen bewusstmacht, hinnimmt, anstatt zu bewerten, gibt sich mit dem Jetzt zufrieden – und dimmt so störende Gefühle und die Bereitschaft, Aufgaben anzugehen oder eine Situation zu ändern und dafür kreative Lösungen zu suchen.

Manche Arbeitgeber erwarten auch in Krisenzeiten, dass sich ihre Angestellten nicht vom Stress unterkriegen lassen. Doch wie viel Optimierung ist gut für das Selbst?
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3. Weg mit dem Digitalen

Es ist ständiger Begleiter – und meist auch ständige Ablenkung: das Smartphone. Laut Untersuchungen entsperrt der durchschnittliche Nutzer sein Gerät rund 80-mal pro Tag – also circa alle zwölf Minuten, wenn man von acht Stunden Schlaf ausgeht.

Immerhin sind soziale Medien und Apps auch bewusst so gestaltet, dass man danach süchtig wird. Ein neues Like oder eine neue Whatsapp-Nachricht triggern Belohnungssysteme im Gehirn, man fühlt sich wichtig. Die Folge: Man ist abgelenkter, kann sich schwieriger konzentrieren und erinnern, lernt langsamer, leidet womöglich unter digitalem Stress oder Schlafproblemen. Die ständige Erreichbarkeit mache krank, sind Expertinnen und Experten überzeugt.

Deshalb raten sie dazu, die "Fear of missing out" durch die "Joy of missing out" zu ersetzen – und ab und zu auf soziale Medien, Apps und E-Mails oder das Smartphone zu verzichten. Digital Detox, also digitale Entgiftung, heißt das.

Auch im Job kann das helfen: Eine aktuelle Studie der University of Texas zeigt, dass sich die Konzentrationsfähigkeit bereits reduziert, wenn sich ein Smartphone in Sicht- oder Reichweite befindet. Jene Probanden, die ihr Smartphone in einem anderen Raum hatten, schnitten in Wissenstests besser ab als jene, deren Handy auf dem Tisch lag. Bei Letzterem sei es unerheblich, ob das Smartphone ein- oder ausgeschaltet ist oder ob es mit dem Display nach oben oder unten auf dem Tisch liegt.

4. Die Vermessung des Selbst

Sie zeichnen die getätigten Schritte auf, wie viel Wasser man getrunken hat oder wie viel Zeit man in sozialen Medien verbringt. Sie listen auch To-dos im Job – fein säuberlich pro halbe Stunde – in Produktivitätsprotokollen auf. Die eigene Effizienz zeigt sich dann als Diagramm. Tracking-Apps stillen das Bedürfnis nach menschlicher Perfektion – und manifestieren den Glauben der Anhänger der sogenannten Quantified-Self-Bewegung, sich durch Datenmassen besser kennenzulernen. Und: durch deren Analyse seine Leistung zu verbessern, konzentrierter, produktiver zu arbeiten – überhaupt, glücklicher zu sein. Bereits Johann Wolfgang von Goethe soll über 35 Jahre lang Tag für Tag den Fortschritt seiner Werke notiert haben.

Das zu tun, motiviere, man hat einen klareren Überblick über seine Ziele, sagen Befürworter. Doch so groß deren Begeisterung für die digitale Selbstvermessung, so ungewiss ist bislang der wissenschaftlich fundierte Erfolg.

Abgesehen vom oft unklaren Datenschutz, den auch Arbeitgeber zur Kontrolle ihrer Mitarbeiter ausnutzen könnten, sehen Kritiker in der Selbstvermessung eine Einladung, sich ständig mit anderen zu vergleichen. Die mögliche Folge: Ein innerer Druck, (der Arbeitswelt) nicht zu genügen – und der macht oft unglücklich.

5. Schäfchen zählen

Vier Stunden Schlaf pro Nacht. Das galt unter Führungspersonen lange als Beweis für ihre Produktivität. Mittlerweile prahlen sie, dass sie ausreichend geschlafen haben, und belegen das mit Trackern.

Schlaf wurde zum Statussymbol – zu Recht. Er ist nämlich ein natürlicher Performance-Booster. Zwischen sieben und neun Stunden benötigen Menschen im Schnitt. Nach acht Stunden könne man die beste Leistung bringen, sagen Experten. Und: Wer unausgeschlafen ist, treffe schlechtere Entscheidungen. Auch Arbeitsunfälle nehmen zu.

Das haben mittlerweile auch viele Firmen erkannt. In Japan ist der Mittagsschlaf unterm Bürotisch üblich, auch im Silicon Valley gibt es Ruheräume für eine Siesta. Immerhin sollen 15 Minuten Powernap die Leistungsfähigkeit um 35 Prozent steigern. Und diverse Studien zeigen: Wer ausreichend schläft, ist schlanker, klüger und altert weniger schnell.

Aber Achtung mit den Trackern: Experten bestätigen, dass die Apps zwar gut erkennen könnten, dass man tatsächlich im Bett liegt, allerdings nur selten, wie gut man wirklich schläft. Und Ärztinnen und Ärzte berichten, dass die Tracker gerade schlafgeplagte Patienten wachhalten. Denn: Wer sich zu sehr mit seinem Schlaf beschäftige, finde es schwieriger, überhaupt einzuschlafen. (Selina Thaler, 30.12.2020)