Symbolbild. Und fast genau so schauen die meisten Familien in Bilderbüchern aus.

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Es gibt ja immer wieder diese Verschwörungstheorien, wonach eine queere, lesbische, schwule, feministische oder Transgender-Lobby schon Kinder infiltrieren würde. Eine Lobby, die die Kleinen auf seltsame Ideen bringt, etwa jene, dass sie später einmal zusammenleben können, mit wem sie wollen. Oder dass auch Kinder zu einer Familie gehören können, die mit keinem blutsverwandt sind, einfach weil man entschieden hat, sie in Pflege zu nehmen. Weil man als lesbisches Paar nicht so einfach leibliche Kinder bekommen kann oder auch bei heterosexuellen Paaren manches anders läuft. Oder weil man selbst nicht gebären will. Dass Eltern sich trennen und deren Kind mal bei Papa, mal bei Mama wohnt. Oder Kinder nur bei einem Elternteil wohnen und der andere nicht am Leben der Kindes teilnimmt. Verrückt? Wohl eher der ganz normale Alltag.

Doch alles, was nicht der Norm entspricht, wird insbesondere für Kinder als psychologisch gefährlich und völlig verwirrend klassifiziert. Zuletzt etwa in einem Gastbeitrag in der "FAZ" vom September, der vor einem US-amerikanischen Gesetzesentwurf mit dem Titel "Equality Act" warnt, in dem auch von der Berücksichtigung von Gender-Identität und sexueller Orientierung die Rede ist.

Gender-Identität? Sexuelle Orientierung? Davon sollen schon Schulkinder erfahren? Um Himmels willen! Das bringt den Autor und die Autorin unumwunden zu Mädchen, die sich bereits in der Pubertät die Brüste entfernen lassen, und angeblich existierenden Translobbys, die zu "Penis-Farewell-Partys" laden. Gern geht mit solchem Aufschrei gleich auch noch die Sorge einher, die "normale Familie" werde damit ausgelöscht.

Beruhigende Einfalt?

Dabei ist weder die "Gender-Identität" noch die "sexuelle Orientierung" etwas, was einem eine arg progressive Lobby einbläuen könnte, sondern ein jeder Mensch hat das eine wie das andere. Auch wenn es bei den einen mehr auffällt, etwa weil die sexuelle Orientierung nicht heterosexuell ist oder man eine Transperson ist. Abgesehen davon: Wer sich ernsthaft davor fürchtet, kennt die gängigen Kinderbücher nicht. Denn die dürften jeden strengkonservativen Menschen beruhigen. Unterschiedliche Familienkonstellationen sind dort nämlich wirklich eine Seltenheit.

Die Familie in vielen, sehr vielen Kinderbüchern besteht aus zwei Kindern plus Mama und Papa. Ein Mädchen, ein Bub, wobei das Mädchen in den meisten Fällen die Ältere ist – warum auch immer (vielleicht weil sie sich dann schon um den jüngeren Bruder fürsorglich kümmern kann? Aber lassen wir solche Verschwörungstheorien). Der Altersunterschied zwischen den beiden fiktiven Kindern beträgt meist zwei oder drei Jahre. Sie leben in einem Häuschen mit Garten oder zumindest in einer großen Wohnung, Papa geht Vollzeit arbeiten, Mama arbeitet auch, aber nur ein bisschen.

Sicher, nicht alle sind so. Aber greifen Sie mal in der Bibliothek Ihres Vertrauens blind ins Regal mit Kinderbüchern. Geht es nicht um Tiere und kommt eine Familie darin vor, dann schaut sie ziemlich wahrscheinlich genau so aus. Obwohl, Tiere: Auch die Tierfiguren leben schon mal als Kleinfamilie mit Doppelbett und schnuckliger Wohnung zusammen, und neben der im Ehebett schlafenden Giraffendame liegt ein Roman, neben dem Giraffenmann eine Zeitung. So ist das.

Kinder sollen sich nicht als die Ausnahme fühlen

Wir müssen uns also vielmehr die Frage stellen, ob es tatsächlich gut ist, wenn jedes Kind, bei dem einiges anders ist, das Gesehene und Gelesene erst für sein Leben übersetzen muss. Wenn Kinder sich als die Ausnahme fühlen, obwohl sie es gar nicht sind. Oder dass sie das Gefühl bekommen, sie müssten sich selbst irgendwie hinterfragen oder rechtfertigen, wenn ihre Familie anders aussieht.

Natürlich sind nicht alle Kinderbücher so. Aber wer Familien querbeet sehen will, mit homosexuellen Eltern, Ein-Eltern-Familien, Pflegefamilien oder einfach nur solchen, wo die Eltern getrennt leben, der muss sich in der Kinderbuchhandlung in die Special-Interest-Abteilung begeben. Das ist schon eine Zumutung, da brauchen wir nicht auch noch Beiträge, die vor der angeblichen Überforderung von Kindern wegen zu viel Vielfalt warnen. (Beate Hausbichler, 13.10.2020)