Die Politik der Ausländerfeindlichkeit hat am Sonntag in Wien nur indirekt verloren. Nicht ein plötzlicher Schwung an Humanismus hat die FPÖ auf ein Viertel ihrer früheren Stärke dezimiert, sondern einzig und allein die Partei selbst. Entscheidend war wohl nicht einmal das Ibiza-Video, sondern die Spesen-Affäre, die das "System Strache" vor allem in der Wiener Landespartei offengelegt hat.

Mehr als fünfhunderttausend Euro Schaden soll das Ehepaar Strache laut Ermittlern seiner einstigen Partei in den vergangenen Jahren zugefügt haben. Mit Parteigeld bezahlt wurden, so Zeugen, das Taschengeld der Strache-Kinder, private Weihnachtsgeschenke, Ski-Ausrüstung, Reparaturen am Swimmingpool und so weiter und so fort. Der Parteichef führte also ein wohl auch ergaunertes Leben in Saus und Braus, während die Partei gegen die Hautevolee wetterte.

Bei jenen Wählern, die ihr Kreuz bei der FPÖ machten, um "denen da oben" eins auszuwischen, hat das dritte Lager dadurch vorerst keine Chance mehr. Das trifft vor allem in Wien zu. Eine Vielzahl von Wiener Funktionären ist in die Spesenaffäre verwickelt, ob als Beschuldigte, Belastungszeugen oder "ausgetrickste" Verantwortliche.

Nachdem die Ibiza-Affäre Strache und Gudenus belastete, musste rasch die Nummer drei der FPÖ, Dominik Nepp, zum Spitzenkandidaten aufgebaut werden.
Foto: Heribert Corn

Das Überbleibsel der Wiener Partei konnte nur verlieren: Entweder hat sie Straches Spiel jahrelang mitgespielt oder beide Augen, beide Ohren und vor allem den Mund zugemacht. Und diese Partei soll dann das Gebaren der Stadtregierung kontrollieren? Das ließ sich im Wahlkampf nur schwer verkaufen.

Harter Kern

Nicht vergessen werden darf außerdem, dass die Ibiza-Affäre nicht nur Strache, sondern mit Johann Gudenus auch dessen designierten Nachfolger in Wien von der politischen Bühne gefegt hat. Man musste also rasch die Nummer drei zum Spitzenkandidaten aufbauen – dafür hat sich Dominik Nepp in TV-Duellen gut geschlagen. Für ein gesichtswahrendes Ergebnis hat es aber nicht gereicht. Selbst wenn man die wenigen Prozentpunkte des Team Strache dazuzählte, bliebe eine Niederlage.

Die FPÖ ist also, wieder einmal, auf ihren harten Kern reduziert worden. Mehr als 100.000 Blauwähler der Wahl 2015 blieben am Sonntag daheim, 75.000 verlor man an SPÖ und ÖVP, mit leichtem Vorteil für Letztgenannte.

Vor allem der große Anteil der einst FPÖ-affinen Nichtwähler legt nahe, dass weit rechte Politik nicht "besiegt" ist. Wenn die Partei eine charismatische Führungspersönlichkeit findet, sich neu aufstellt und Glück mit der Themenlage hat – 2015 war ja auch das Jahr der großen Fluchtbewegung –, dann liegt die FPÖ in Wien wohl rasch wieder über 20 Prozent. Das sollte auch den anderen Parteien zu denken geben: Sie haben der FPÖ nicht selbst das Wasser abgraben und Wähler von ihren Angeboten überzeugen können. Sie haben, wie im Fall der ÖVP, die Kernthemen und Forderungen der FPÖ leicht adaptiert übernommen oder – wie Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) – umschifft.

Allerdings ist der Hang zur Selbstzerstörung kein exklusiver Zug der Strache-FPÖ. Schon Jörg Haider spaltete die Partei, bei der deutschen AfD dominierten in den vergangenen Monaten ebenfalls die Ränkespiele. Bereitschaft zur Korruption zeigten auch Funktionäre des einstigen Front National oder der italienischen Lega. Für Strache gilt jedenfalls weiterhin die Unschuldsvermutung. Er hat nun Zeit, sich vollends auf deren Beweis zu konzentrieren. (Fabian Schmid, 12.10.2020)