Laut der Sora-Prognose wurden am Sonntag rund 710.000 Stimmen abgegeben. Das bedeutet, dass 423.000 wahlberechtigte Wienerinnen und Wiener nicht an der Wahl teilgenommen haben. Dazu kommen noch all jene, die zwar in Wien leben, aber von vornherein von der Teilnahme ausgeschlossen sind. Rund ein Viertel aller Wiener im wahlfähigen Alter dürfen gar kein Kreuzerl für den Landtag und den Gemeinderat machen.

Vor allem Arbeiterinnen und Arbeiter sind am Sonntag in Wien nicht zur Wahlurne geschritten.
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Eine niedrige Wahlbeteiligung muss einer Demokratie nicht automatisch wehtun, solange diejenigen, die zur Wahl gehen, repräsentativ für die Nichtwählenden sind. Die Nichtwähler in Wien unterscheiden sich im Wesentlichen nicht von jenen in anderen westlichen Demokratien: Es sind vor allem jüngere Menschen mit niedrigem Bildungsgrad und geringerem Einkommen. Diese sozialen Merkmale treffen auch auf den Großteil jener Wiener zu, die gar nicht erst wahlberechtigt sind. Zusammengefasst: Unter den Nichtwählern sind mehrheitlich die alten, aber vor allem die neuen "Arbeiter von Wien".

Die traditionelle Arbeiterpartei SPÖ verliert die Wahlberechtigten seit geraumer Zeit an die FPÖ und kann sie nicht zurückholen. Viele von ihnen wurden nun zu Nichtwählern. Die migrantischen Arbeiter haben erst gar keine Möglichkeit, sich zu beteiligen. Damit gerät die Demokratie in Wien und Österreich in eine gefährliche Schieflage: Eine ganze Bevölkerungsgruppe ist stimmlos und bleibt ungehört. (Olivera Stajić, 12.10.2020)