Die kurze Entspannung zwischen der Türkei und Griechenland nach dem letzten EU-Gipfel geht schon wieder zu Ende. Am Montagmorgen kündigte die staatliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu an, dass das Forschungsschiff Oruç Reis erneut auslaufen würde, um im östlichen Mittelmeer nach Gas- und Ölvorkommen zu suchen. Angepeilt sei ein Gebiet südlich der griechischen Insel Kastelorizo, die nahe an der türkischen Küste liegt und deren Seegebiet zwischen Griechenland und der Türkei umstritten ist.

Erst vor wenigen Tagen wurde Griechenland mit der Wiedereröffnung des nordzyprischen Geisterorts Varoscha verärgert, nun begann Ankara auch wieder seine Forschungsfahrten.
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Die griechische Regierung sieht in der neuerlichen Entsendung der Oruç Reis eine "große Eskalation, die zu einer direkten Bedrohung des Friedens in der Region" führt. Die Oruç Reis hatte bereits von 10. August bis Mitte September Explorationsarbeiten in Gewässern durchgeführt, die Griechenland exklusiv für sich beansprucht. Beide Länder hatten Kriegsschiffe in die Region geschickt, was fast zu einem bewaffneten Konflikt zwischen den Nato-Partnern geführt hätte.

Intervention der Nato

Nach einer Beinahekollision von zwei Fregatten hatte die Nato interveniert und die beiden streitenden Länder dazu gebracht, sich auf Sicherheitsmaßnahmen zu verständigen, die einen unkontrollierten Gewaltausbruch verhindern sollten. Parallel dazu hatte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel als derzeitige EU-Ratsvorsitzende mehrfach mit den beiden Regierungschefs Recep Tayyip Erdoğan und Kyriakos Mitsotakis telefoniert und auf Verhandlungen gedrängt.

Während des letzten EU-Gipfels Ende September in Brüssel war dann vereinbart worden, dass Sanktionen gegen die Türkei zunächst verschoben werden und stattdessen direkte Gespräche zwischen Griechenland und der Türkei stattfinden sollten. Beide Länder hatten eingewilligt, die beiden Außenminister hatten am Rande einer Konferenz in Bulgarien auch bereits einen Termin dafür ins Auge gefasst.

Dialog stockt wieder

Dass die Türkei ihr Forschungsschiff nun wieder losschickt, bevor überhaupt die erste Gesprächsrunde stattgefunden hat, wertet das griechische Außenministerium als Beleg dafür, dass das Land in Wahrheit gar keinen Dialog wolle. Umgekehrt behauptet die Regierung in Ankara, Griechenland sei nicht zu Gesprächen ohne Vorbedingungen bereit. Die Türkei ist zudem verärgert, weil Athen für Ende des Monats wieder Militärmanöver im umstrittenen Seegebiet angekündigt hat.

Dem ging allerdings bereits eine türkische Provokation voraus. In der Türkischen Republik Nordzypern fanden am Sonntag Präsidentschaftswahlen statt. Um dem von Ankara favorisierten rechtsnationalistischen Kandidaten Ersin Tatar kurz vor den Wahlen noch einen Schub zu geben, hatte die türkische Armee einen Teil des 1974 besetzten Geländes, den Touristenort Varoscha, der bislang eine Geisterstadt war, für das nordzypriotische Publikum geöffnet. Das verstößt gegen das Waffenstillstandsabkommen von 1974 und sorgte für heftige Kritik Athens. Tatar muss nun am kommenden Sonntag in eine Stichwahl mit dem bisherigen Amtsinhaber Mustafa Akıncı.

Alles blickt auf die Stichwahl

Da eine Verständigung zwischen griechischen und türkischen Zyprioten eine wichtige Voraussetzung wäre, um im Gasstreit insgesamt eine politische Lösung zu finden, ist die Stichwahl am kommenden Sonntag wichtig. Während Akıncı auf die griechischen Zyprioten zugehen will und eine bundesstaatliche Lösung anpeilt, will der von Ankara unterstützte Tatar eine Zweistaatenlösung. Mit dem Streit darum, welche Rechte den türkischen Zyprioten an den Gasvorkommen rund um Zypern zustehen, begann die gesamte Auseinandersetzungen zwischen der Türkei, Zypern und Griechenland.

Mittlerweile sind auch Ägypten und Israel an der Seite Zyperns und Griechenlands sowie Libyen an der Seite der Türkei involviert. Die seerechtlichen Fragen sind deshalb so kompliziert, weil sich jenseits von Zypern auch entlang der türkischen Küste die Hoheits- und Wirtschaftszonen vieler griechischer Inseln und der Türkei überschneiden. (Jürgen Gottschlich aus Istanbul, 12.10.2020)