Die Bundeskoalition ist aufgrund des tiefen Ausgangsniveaus gerade einmal ohne echte Schrammen davongekommen, so Politikberater Thomas Hofer im Gastkommentar.

Fix zusammen sind Michael Ludwig und Birgit Hebein nach der Wien-Wahl nicht. Eine Regierungsbeteiligung wäre jedenfalls die dritte in Serie für die Grünen.
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Der "Post-Spin" ist eine unterschätzte Disziplin der politischen Kommunikation. Vieles konzentriert sich auf die übliche Form des Spins, bei der politische Akteure einer Botschaft in Wahlkämpfen einen Dreh mit auf den Weg geben und Journalisten diesen zu dekonstruieren versuchen. Auch das Spiel mit der Erwartungshaltung ist bekannt: Hier stapeln Parteien bewusst tief, um später positiv überraschen zu können.

Post-Spin passiert dann, wenn das politische Match vermeintlich geschlagen und die Öffentlichkeit nicht mehr alert ist. Für den historischen Fußabdruck eines Ereignisses ist es allerdings zentral, welche Interpretation sich da festsetzt. Drei Beispiele:

1.) Ex-SP-Kanzler Viktor Klima gilt als Verlierer der Wahl 1999. Dabei kam er (mit Verlusten) mit klarem Vorsprung vor FPÖ und ÖVP ins Ziel. Verloren hat er die Regierungsverhandlungen. 2.) 2019 erzählte die SPÖ, sie könne eine Aufholjagd wie Alfred Gusenbauer 2006 starten. Der Ex-Kanzler sei bei nur mehr 25 Prozent gelegen. Tatsächlich fiel er in den Umfragen nur knapp hinter die ÖVP, bevor er seinen Überraschungssieg landete. 3.) In der die Wahl 2006 prägenden Affäre um die "illegale Pflegerin" im persönlichen Umfeld von Kanzler Wolfgang Schüssel behauptete man in der ÖVP später, diese wäre "erfunden" worden. Mutmaßlicher Malefikant: Tal Silberstein. Wahr ist, dass ein Magazin verurteilt wurde, eine Interviewpartnerin fälschlich als besagte Pflegekraft ausgegeben zu haben. Das ändert freilich nichts an der Existenz der "echten" Pflegerin.

Der Regierungssuperlativ

Nach der Wien-Wahl üben sich die Parteien wieder im Post-Spin. Gerade die beiden Regierungsparteien im Bund tun sich hier hervor. Die ÖVP, kommend aus dem Nirwana Wiens, also von unter zehn Prozent, feierte ihre Verdoppelung als "historisches Ergebnis". Der Zuwachs ist, auch angesichts eines für türkise Verhältnisse erstaunlich fehlerhaften Wahlkampfs, respektabel. Aber legt man die Messlatte des türkisen Superlativs an, waren auch Johannes Hahns 18,8 Prozent von 2005 "historisch".

Bei den Grünen erkennt man ein ähnliches Muster. Ja, man kann ein Plus verbuchen. Und das war angesichts der mangelnden Strahlkraft der Spitzenkandidatin und der Verletzung der grünen Partei-DNA in der Bundesregierung nicht ausgemacht. Aber auch die Grünen konnten auf die späte Gnade ihres suboptimalen Ergebnisses von 2015 bauen. Das täuscht jedoch nicht darüber hinweg, dass sie weit unter ihrem Wert geschlagen wurden. Dafür muss man nicht erst das Wiener Ergebnis der Nationalratswahl heranziehen (21 Prozent), die Grünen überboten auch kaum den Wert der deutlich schwächer aufgestellten steirischen Parteifreunde (12,1 Prozent, 2019 fast eine Verdopplung).

Die Kraft der Autosuggestion

Bei Licht betrachtet ist die Bundeskoalition in Wien aufgrund des tiefen Ausgangsniveaus gerade einmal ohne echte Schrammen davongekommen. Das überbordende Selbstlob der Koalitionäre mutet an wie lautes Pfeifen im Wald. Die Kraft der Autosuggestion kann immerhin bewirken, dass kritische Stimmen innerhalb der Parteifamilie auch weiter nicht aufkommen.

Eine ehrliche Analyse würde ergeben, dass es im Hintergrund rumort. In der ÖVP ist das gar im Kernland Niederösterreich der Fall: Weitgehend ohne große mediale Resonanz äußerte etwa Landeshauptfrau und Kurz-Mentorin Johanna Mikl-Leitner mehrfach Unmut über den türkisen Kurs, sowohl was schleppende Corona-Hilfen wie auch die strukturelle Wien-Kritik des Bundes angeht. Auch dass der Kanzlerpartei die Tonalität bei der Migrationspolitik verrutschte, gefällt nicht allen Parteigranden.

Bei den Grünen hält noch der Kitt der eigenen Wiederauferstehungserzählung. 2017 war man aus eigenem Verschulden aus dem Nationalrat geflogen. Die grüne Selbstzerfleischung war zu Recht als Grund festgemacht worden. Wer allerdings heute leise darauf verweist, dass die Grünen – um es mit Toni Pfeffer zu sagen – die Regierungsverhandlungen mit der ÖVP nicht gerade hoch gewonnen haben, gefährdet gleich das Gesamtprojekt. Nun muss man darauf hoffen, dass sich die Wiener SPÖ erbarmt, die Neos am Ende doch zu neoliberal empfindet und den Grünen die dritte Regierungsbeteiligung in Serie beschert. Wenn nicht, so die Befürchtung, könnte sich dann doch der eine oder andere Kritiker aus der Deckung wagen.

Gegenseitiges Misstrauen

Als Basis für die weitere Zusammenarbeit mutet diese defensive Vorgangsweise eher dünn an. Die Unterschiede punkto Corona-Management sind evident. Man beäugt einander kritisch wie zu Zeiten der großen Koalition und trachtet danach, dass das jeweilige Gegenüber keine allzu großen PR-Coups landet. Stattdessen macht man Themen auf, die zwar nicht im Koalitionspakt stehen, von denen man aber weiß, dass sie dem Partner wehtun oder ihn zumindest beschäftigen.

Um die großen Fragen der mittelbaren Zukunft drückt man sich geschickt: etwa jene, wer denn nun was zum viel beschworenen Wiederaufbau nach der Krise beitragen soll. Die Grünen deuten ab und an einen Haken in Richtung Vermögensbesteuerung an, worauf die ÖVP nicht einmal zuckt. Es wäre irgendwann angesagt, für diese nicht unwesentlichen Fragen Modelle auf den Tisch zu legen. Um den Post-Spin kann man sich danach immer noch kümmern. (Thomas Hofer, 13.10.2020)