Der belarussische Oppositionelle Sergej Tichanowski vor seiner Inhaftierung.

Foto: AFP / SERGEI GAPON

Minsk/Vilnius – Die ins Ausland geflohene belarussische Oppositionschefin Swetlana Tichanowskaja hat Präsident Alexander Lukaschenko eine Frist bis zum 25. Oktober für einen Rücktritt gesetzt. Andernfalls werde es einen Generalstreik geben. Das Land werde lahmgelegt, teilte sie am Dienstag mit.

Zudem müssten alle politischen Gefangenen freigelassen sowie das gewaltsame Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen Regierungsgegner gestoppt werden. Sollte das nicht der Fall sein, "wird am 26. Oktober in allen Fabriken gestreikt, die Straßen werden blockiert, und staatliche Geschäfte werden nichts mehr verkaufen".

Scharfe Munition

Ein Vertrauter Tichanowskajas erklärte, damit werde auf die Ankündigung reagiert, dass die Polizei künftig mit scharfer Munition auf Demonstranten schießen dürfe. Am Wochenende hatten wieder zehntausende Menschen gegen Lukaschenko demonstriert. Lukaschenko hatte nach der Wahl am 9. August den Sieg für sich beansprucht, die Opposition spricht von Wahlbetrug.

Tichanowskajas Ehemann, der Oppositionelle Sergej Tichanowski, rechnet nach Angaben seines Anwalts anders als weitere Lukaschenko-Gegner nicht mit einer baldigen Freilassung aus dem Gefängnis. Das sei ihm bei einem Treffen mit Machthaber Lukaschenko deutlich gemacht worden, sagte Anwalt Viktor Mazkewitsch dem Portal tut.by.

Nach dem Treffen am Wochenende wurden der Politologe Juri Woskressenki und der Unternehmer Dmitri Rabzewitsch in Hausarrest entlassen. Lukaschenko hatte sich am Samstag überraschend mit mehreren inhaftierten Oppositionellen und Mitgliedern des Koordinierungsrates getroffen. Der umstrittene Staatschef hatte bisher jeden Dialog mit der Opposition ausgeschlossen. Die Bürgerbewegung betonte jedoch, dass ein echter Dialog nicht in einem Gefängnis geführt werden sollte. Deshalb könne das Angebot nicht ernst genommen werden.

Ins Ausland geflohen oder in Haft

Der bekannte Blogger Tichanowski sitzt seit Mai in Haft. Seine Frau Swetlana Tichanowskaja ist an seiner Stelle bei der Präsidentenwahl im August angetreten. Nach der Abstimmung wurde sie von Lukaschenkos Machtapparat zur Ausreise gedrängt. Inzwischen sind alle Mitglieder des Präsidiums des Koordinierungsrates der Demokratiebewegung ins Ausland ausgereist – oder sind wie die Oppositionelle Maria Kolesnikowa in Haft. Sie habe sich geweigert, an dem Treffen mit Lukaschenko teilzunehmen, hieß es.

Nach Angaben des Ministeriums wurden am Montag erneut 186 Demonstranten festgenommen.

"Moskauer Mechanismus"

Auf den Weg gebracht wurde am Dienstag der Bericht des Grazer Völkerrechtlers Wolfgang Benedek, den er im Rahmen des "Moskauer Mechanismus" der OSZE über Menschenrechtsverletzungen und möglichen Wahlbetrug in Belarus verfasst hat. Da Minsk keinen weiteren Experten nominierte, habe er den Bericht allein verfasst.

Auch ein Besuch des Landes war nicht möglich. "Der Bericht wird heute eingereicht und an jene 17 OSZE-Mitgliedsstaaten, die die Untersuchung initiiert hatten, sowie das Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR) übermittelt", erklärte der emeritierte Universitätsprofessor.

OSZE-Bericht Ende Oktober

ODIHR werde den Bericht an Belarus übermitteln, dem zwei Wochen für eine Stellungnahme eingeräumt werde, erläuterte er. Nach einer anschließenden Präsentation, die Ende Oktober im Ständigen Rat der OSZE stattfinden könnte, werde der Bericht auch veröffentlicht werden, sagte Benedek, der nichts zu den inhaltlichen Erkenntnissen seiner Untersuchung sagen wollte. "Der Bericht ist aber ziemlich umfangreich ausgefallen. Das hat mit dem weit gefassten Mandat zu tun, das sowohl mit den Präsidentschaftswahlen als auch mit Menschenrechtsverletzungen zu tun hatte", erklärte er.

Vertreter des offiziellen Belarus hätten seine Recherchen nicht unterstützt. Auch Unterstützung für eine Reise ins Land gab es nicht, schilderte Benedek. Auf sein Ersuchen, einen Besuch zu ermöglichen, habe die ständige Vertretung von Belarus an der OSZE erklärt, dass sich das Land nicht an diesem Verfahren beteilige. (Reuters, AFP, APA, red, 13.10.2020)