60 Prozent der Befragten fühlen sich in ihrem Job in Österreich überqualifiziert. Bei besser gebildeten Menschen sind es fast drei Viertel.

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Wien – Eine andere Sprache, eine andere Kultur und ein oftmals langer Weg bis zu einem gültigen Aufenthaltstitel. Das sind recht offenkundige Probleme bei der Jobsuche für geflüchtete Menschen. Haben sie am heimischen Arbeitsmarkt dann aber eine Beschäftigung gefunden, fühlen sich viele überqualifiziert, weil die Arbeit hierzulande nicht den Qualifikationen aus dem Heimatland entspricht. Das geht aus einer am Mittwoch veröffentlichten Studie des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) hervor.

Die Analyse basiert auf zwei aktuellen und groß angelegten Befragungen von insgesamt 4.000 Migranten und habe sich auf zwei Faktoren der Arbeitsmarktintegration konzentriert: die berufliche Laufbahn und ihre Übereinstimmung mit vorhandenen Qualifikationen.

Beruflicher Abstieg

Wer zwischen 2014 und 2016 aus dem Nahen Osten (vor allem aus Syrien, dem Irak, Afghanistan und dem Iran) nach Österreich gekommen ist, erlebte hier zunächst einen deutlichen beruflichen Abstieg und anschließend einen leichten Aufstieg, heißt es in der Studie. "Die Analyse zeigt, dass der berufliche Abstieg für Fach-, Führungskräfte und Manager besonders stark war. Besser Ausgebildete bekommen zwar leichter einen Job, aber es geht steiler bergab", sagt Studienautor Michael Landesmann im Gespräch mit dem STANDARD. Besser Gebildete seien in ihrer ersten Anstellung in Österreich hauptsächlich als Dienstleistungs- und Verkaufsangestellte oder in einfachen Berufen tätig.

Das geht auch aus der Selbsteinschätzung dieser Gruppe hervor. Durchschnittlich fühlen sich bei Migranten mit höherem Bildungsniveau 70 bis 74 Prozent überqualifiziert. Auf alle Befragten umgelegt, fühlen sich 60 Prozent in ihrer derzeitigen Beschäftigung überqualifiziert. Der Anteil von Männern ist hier höher ist als jener von Frauen.

Frauen mit größerem Abstieg

Die für die Untersuchung befragten geflüchteten Frauen hätten in ihren Heimatländern einen höheren beruflichen Status genossen und in Österreich einen steileren und längeren beruflichen Abstieg erfahren als die männlichen Befragten. "Es ist beunruhigend, dass sich die Jobsituation für Frauen über die Zeit weniger erholt als jene der Männer", sagt Landesmann. Das könne daran liegen, dass Frauen innerhalb der Familie mehr Verantwortung übernehmen müssten. Das kenne man bei den Aufstiegsmöglichkeiten von Frauen aber auch aus Österreich.

Wer aufsteigt

Im Gegensatz dazu erfuhren Migranten, die anfangs in Elementarberufen (Erntehelfer, Hilfsarbeiter in der Bauindustrie, Wäschereiniger et cetera) arbeiteten, einen beruflichen Aufstieg. Fast 20 Prozent seien in eine Dienstleistungs- oder Verkaufstätigkeit gewechselt, und zehn bis zwölf Prozent fanden eine Beschäftigung als Techniker, Anlagen- und Maschinenarbeiter oder Monteur.

Eine entscheidende Rolle dürfte das soziale Netzwerk spielen. Aus der Studie geht hervor, dass eine deutliche Korrelation zwischen der sozialen Einbindung und der Übereinstimmung zwischen beruflicher Qualifikation und Arbeitsplatz besteht. Von jenen Personen, die angaben, regelmäßige soziale Kontakte mit der österreichischen Bevölkerung zu haben, betrachtete sich ein deutlich geringerer Anteil als überqualifiziert. Gleichzeitig gab ein deutlich höherer Anteil von ihnen an, ihre berufliche Qualifikation und Erfahrung würden mit ihrem derzeitigen Arbeitsplatz übereinstimmen.

Kleine Gruppe

Bei Asylberechtigten handelt es sich nur um eine kleine Gruppe. So gibt es aktuell 3,8 Millionen unselbstständig Beschäftigte. Davon sind 807.000 ausländische Staatsbürger. Der allergrößte Teil sind Deutsche, Ungarn, Rumänen, also Menschen aus anderen EU-Ländern, wo die Arbeitnehmerfreizügigkeit gilt. Hinzu kommt eine große Gruppe aus Exjugoslawien und der Türkei.

Lediglich 29.000 Menschen aus den typischen Fluchtländern Afghanistan, Syrien, Irak und Iran arbeiten in Österreich, also weniger als ein Prozent aller Beschäftigen. Umgekehrt stammen auch weniger als acht Prozent der 432.000 Arbeitslosen im Land überhaupt aus einem Fluchtland. Eine Faustregel aus vergangenen Fluchtbewegungen lautet, dass fünf Jahre nach ihrer Ankunft etwa die Hälfte der Flüchtlinge im Aufnahmeland Arbeit hat. In Österreich liegt die Quote bei 45 Prozent. "Die Integration hat in Österreich gut funktioniert. Jetzt besteht allerdings die Gefahr, dass die Corona-Krise alles wieder zunichte macht", meint Landesmann. Dazu untersuche man gerade die Auswirkungen.

Forderung an Politik

Forderungen an die Politik werden in der Studie ebenfalls erhoben. Diese solle sich auf Personen mit höherem Bildungsniveau und auf Frauen konzentrieren, um einen langfristigen Verlust ihres beruflichen Status zu vermeiden und deren Humankapital in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Ein lange andauerndes Missverhältnis zwischen Qualifikation und Arbeitsplatz führe nicht nur zur Demotivierung, es sei auch ineffizient, das vorhandene Qualifikationspotenzial der Geflüchteten nicht zu nutzen. (Andreas Danzer, 14.10.2020)


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