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Ende Dezember 2019 griffen organisierte Iran-freundliche schiitische Milizen die US-Botschaft in Bagdad an – und konnten aufs Botschaftsgelände vordringen. Die USA antworteten mit der Tötung von Milizenführern.

Foto: AP / Khalid Mohammed

Wenn die USA ihre Drohung wahrmachen und ihre Botschaft in Bagdad schließen, dann stehe eine Eskalation mit dem Iran oder mit Iran-Stellvertretergruppen unmittelbar bevor, sagte Daniel Gerlach, Nahost-Experte und "Zenith"-Chefredakteur, vergangene Woche bei einer Veranstaltung im Bruno-Kreisky-Forum in Wien. Das wäre dann wohl die immer wieder beschworene "October Suprise", die Oktober-Überraschung, vor den US-Wahlen im November.

Ein militärischer Clash mit dem Iran würde Donald Trump zweifellos bei den Wahlen helfen, das Volk schart sich um den Oberkommandanten. Und die "historischen Deterministen" im Iran, die Trump als Beschleuniger des US-Abstiegs durchaus schätzen, hätten damit gar kein Problem, sagte Gerlach.

Zwar gibt es inzwischen wieder einmal Anzeichen der Entspannung, denn die Iran-loyalen irakischen schiitischen Milizen haben am Montag zugesagt, ihre Angriffe auf US-Interessen im Irak einzufrieren. Diese waren in den vergangenen Wochen kontinuierlich angestiegen. Es ist nicht sicher, ob die Milizen stets nur im Auftrag der iranischen Führung agieren. Gerlach merkte an, dass die USA mit der Tötung des iranischen Revolutionsgardengenerals Ghassem Soleimani jenen Mann eliminierten, der sie wirklich unter Kontrolle hatte.

Maximaler Druck auf Iran

Ein breiter politischer Konsens im Irak bringt die Milizen nun erst einmal zum Einlenken. Aber die große Furcht vieler Iraker und Irakerinnen, nämlich dass ihr Land zum Schlachtfeld einer US-iranischen Auseinandersetzung wird, ist damit noch nicht ausgestanden. Der US-Druck auf Teheran, eine der wenigen Konstanten der US-Außenpolitik von Präsident Donald Trump, wird weiter erhöht. Die letzte US-Sanktionsrunde gegen Teheran ist erst ein paar Tage her.

Die "Maximum Pressure"-Politik trifft aber auch den Irak: Ende September wurde der US-"Waiver", die Ausnahmegenehmigung für den Irak, aus dem Iran Gas und Strom zu importieren, noch einmal verlängert, aber nur mehr für sechzig Tage, nicht mehr wie bisher üblich für 120. Dazu kam die Ankündigung der USA, ihre Botschaft in Bagdad zu schließen, sollten die Nadelstiche der Milizen nicht aufhören.

Als der irakische Premierminister Mustafa al-Kadhimi am 20. August – also keine acht Wochen her – erstmals das Weiße Haus in Washington besuchte, war die Welt der US-irakischen Beziehungen noch in Ordnung: Kadhimi kam mit Verträgen zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit, vor allem im Energiebereich, im Umfang von fast zehn Milliarden US-Dollar sowie der Zusage für eine humanitäre finanzielle Spritze von 200 Millionen zurück.

"Wirtschaftlicher Kollaps"

Dementsprechend warnte Kadhimi, der erst seit Anfang Mai im Amt ist, vor dem "direkten wirtschaftlichen Kollaps" des Irak, sollten die USA das Land wirklich aufgeben. Der frühere Geheimdienstchef hat auch nie ein Hehl daraus gemacht, dass er die militärische US-Präsenz im Irak für nötig hält, um den "Islamischen Staat" in Schach zu halten. Die USA sind derzeit bereits dabei, die Anzahl ihrer 5.000 Soldaten auf etwa 3.200 zu reduzieren.

Genau darum geht es auch Teheran und den Hashd al-Shaabi oder PMUs (Popular Mobilisation Units), als welche die Milizen meist zusammengefasst werden. Das irakische Parlament hat im Jänner, nach der Tötung Soleimanis und weiterer Personen, unter anderem des irakischen Milizenführers Abu Mahdi al-Muhandis, eine nichtbindende Resolution verabschiedet, wonach die US-Truppen den Irak verlassen sollen. Einer der Gründe für Kadhimis Besuch in Washington im August war die Aufnahme eines strategischen Dialogs, in dem die künftige militärische Zusammenarbeit geklärt werden sollte. Kadhimi kam jedoch aus Washington mit nur vagen Zusagen zurück. Daraufhin setzten die Raketenangriffe auf die US-Botschaft in Bagdad und auf andere Ziele erst so richtig ein.

In ihrer Stellungnahme am Montag nannten die Milizen die Umsetzung der Jänner-Resolution durch die Regierung als Bedingung für die Einstellung ihrer Attacken, nannten jedoch keine Deadline. Am Montag trat ein Sprecher der Kataib Hisbollah auf, der wichtigsten Miliz. Zu den Angriffen bekennen sich jedoch meist neue, obskure Gruppen, von denen vermutet wird, dass sie nur Konstrukte der großen sind.

Paradoxes Resultat

Kadhimi bemüht sich redlich, die Milizen in den Griff zu bekommen – so hat er angeordnet, dass sie den Flughafen in Bagdad verlassen müssen, wo sie unter anderem stationiert sind. Die US-Drohung, den Irak völlig zu verlassen, scheint auch insofern paradox, als die USA damit genau das täten, was die Iran-Stellvertreter haben wollen – und damit dem iranischen Einfluss im Irak noch weiter das Tor öffnen würden.

Amerikanische Diplomaten, die aus ihrer Botschaft in Bagdad, der größten und am besten verteidigten der Welt – neben Patriots gibt es auch C-Ram-Systeme (Raketen, Artillerie und Mörserabwehr) – in Sicherheit gebracht würden, wären genau das Propagandabild, das sich Teheran und seine Proxies wünschen.

Ein Abzug sei das völlig falsche Signal auch an andere US-Verbündete in der Region, meinen Kritiker in den USA, etwa ein früherer Botschafter in Bagdad, Ryan Crocker. In einem Interview mit Al-Monitor ruft er die US-Regierung zur "strategischen Geduld" mit dem Irak auf. Tatsächlich würde ein Scheitern Kadhimis niemandem helfen. Und den USA gelang es nicht einmal zur Zeit ihrer stärksten Präsenz im Irak mit fast 170.000 Soldaten, die Kontrolle über alle Gruppen herzustellen. (Gudrun Harrer, 14.10.2020)