Die Impfgegner und -skeptiker haben in der Covid-19-Pandemie weiteren Zulauf erhalten.

AFP/APA/Justin Tallis

Vermutlich ab Anfang 2021 werden in Europa die ersten Impfstoffe gegen Covid-19 zugelassen werden und wenig später auch in Österreich verfügbar sein. Gesundheitspolitiker stehen vor der Frage, wer damit zuerst versorgt werden soll und wie man Menschen dazu bringt, die Impfung anzunehmen. Da es keinen Zwang geben wird, muss jede und jeder Einzelne von uns für sich selbst entscheiden, ob sie oder er sich immunisieren lassen will.

Impfungen gibt es seit ziemlich genau 300 Jahren: Als offizieller Beginn gelten die Immunisierungen während der Pockenepidemie in Boston mittels Variolation bzw. Inokulation im Jahr 1721. Von den 287 damals inokulierten Menschen verstarben sechs nach Infektion mit den Pocken, also gerade einmal zwei Prozent. Dagegen verloren 842 von 5.759 nicht-inokulierten Menschen das Leben, die an den Pocken erkrankt waren, also rund 15 Prozent.

Unter Maria Theresia, die selbst Kinder an die Viruserkrankung verlor und selbst an Pocken erkrankte, gab es ein paar Jahrzehnte später ebenfalls erstmals für Österreich Impfungen mittels Variolation, zunächst mit dem sehr unpopulären Blatternsekret, ab 1800 mit Kuhpocken. (Von der Kuh leitet sich übrigens auch der Begriff Vakzin ab.)

Doch so alt wie die Impfungen ist auch der Widerstand gegen sie: Impfkritiker traten auch schon 1721 auf. Und auch gegen Maria Theresias Bemühungen gab es ebenso Widerstand wie gegen viele andere Impfinitiativen in späteren Jahrhunderten.

Eine Karikatur aus dem Jahr 1802 zeigt, welche Folgen Impfgegner befürchteten, wenn man sich mit Kuhpocken infizieren und immunisieren ließ. Heute schüren manche Angst vor mittels Impfung implantierten Mikrochips.
Foto: Library of Congress / gemeinfrei

Zwar möchte man meinen, dass angesichts der Erfolgsgeschichte der Impfungen, die in den vergangenen drei Jahrhunderten Abermillionen von Menschenleben retteten, die Impfgegnerschaft nachgelassen hätte. Doch genau das Gegenteil ist der Fall.

Eine von zehn großen Gefahren

Nicht zuletzt dank der neuen sozialen Medien haben die Anti-vaxxers, wie sie auf Englisch genannt werden, stark Oberwasser bekommen und machen natürlich auch längst gegen die Covid-19-Impfungen mobil. Angesichts der überwältigenden Erfolgsgeschichte der Impfungen schenkte die Weltgesundheitsorganisation Impfgegnern 2019 besondere Aufmerksamkeit. Sie wurden von der WHO zu jenen zehn Gefahren für die Gesundheit der Menschheit gerechnet, denen man sich im Besonderen widmen sollte. Doch wie kommt man ihnen am besten bei?

Der US-Physiologe und Wissenschaftskommunikator Jonathan Berman, der die Bewegung "March for Science" mitbegründete, versucht es mit einem ganzen Buch. Darin kann er in seinem historischen Abriss zeigen, dass sich die Hauptargumente der Impfgegner seit rund drei Jahrhunderten in ihrer Grundstruktur nur wenig verändert haben. So etwa sind Impfstoffe bei ihrer Ersteinführung immer neu – entsprechend wird heute etwa gegen die Neuartigkeit der RNA-Impfstoffe gegen Covid-19 mobil gemacht.

Klar ist dabei aber auch, dass den Zulassungsbehörden eine zentrale Rolle zukommt, um nicht nur die Sicherheit und die Wirksamkeit der neuen Impfungen sicherzustellen, sondern auch für Vertrauen in der Bevölkerung zu sorgen. Dass zuletzt die FDA dem US-Präsidenten eine Absage erteilte, Corona-Vakzine in einem Schnellverfahren vor der Wahl zuzulassen, zeigt, dass hier dem politischen Druck standgehalten wurde und das bewährte Prozedere eingehalten wird. (In Russland sieht die Sache mit dem Impfstoff Sputnik etwas anders aus.)

Jonathan M. Berman, "Anti-vaxxers. How to Challenge a Misinformed Movement". € 15,50 / 277 Seiten. MIT Press, Cambridge/London 2020

Entkräftung vorgeblicher Beweise

Den überwiegenden Teil seines Buchs verwendet Berman darauf, die jüngeren "Anhaltspunkte" der Impfgegner zu dekonstruieren und als falsch zu entlarven – wie etwa den angeblicher "Skandal" bei den US-Centers for Disease Control and Prevention (CDC), der im 2016 gedrehten Film "Vaxxed" abgehandelt wird. Die Behörde habe, so der Vorwurf, einen Befund verschwinden lassen, laut dem afroamerikanische Buben, denen der MMR-Impfstoff verabreicht wurde, ein erhöhtes Risiko hatten, eine Autismus-Spektrum-Störung zu entwickeln.

Diese Befunde waren freilich ebenso falsch wie die berüchtigte Studie von Andrew Wakefield, der Ähnliches bereits zuvor im Fachblatt "The Lancet" behauptet hatte, ehe er die Studie zurückziehen musste. Wakefield, der in Großbritannien seine Zulassung als Arzt verlor, ist der Regisseur von "Vaxxed". (Zum Fall Wakefield gibt es übrigens auch ein neues Buch mit einem bezeichnenden Titel: "The Doctor Who Fooled the World".)

Berman seziert im Hauptteil seines Buch fein säuberlich die meisten der geläufigen Argumente und Kampagnen gegen Impfungen, sondern benennt die "Anti-Vaxxers" und ihre Strategien auch ganz direkt – und liefert den Leserinnen und Lesern damit ein gutes Argumentarium für die nächsten Familien- oder Bekanntentreffen, bei dem von Impfungen die Rede ist.

Bloße Evidenz reicht meist nicht

Der aufklärerische Autor weiß freilich auch, dass bloße Evidenz, bessere Wissenschaftskommunikation und der zwanglose Zwang des besseren Arguments im Fall der Impfungen meist nicht genug sind, um deren Gegner zu überzeugen. Man müsse tiefer ansetzen, meint Berman in den abschließenden Kapiteln, in denen auch Fallbeispiele von Personen zitiert werden, die ihre Meinung änderten und von Impfgegnern zu Impfbefürwortern wurden.

Eine zentrale Zielgruppe seien dabei Eltern, die meist gut mit anderen Vätern und Muttern gleichaltriger Kinder vernetzt seien und deren Sorgen um ihre Kinder man beim Wort nehmen sollte. Ein einigen Fällen waren es gut gemachte sachliche Informationen, die zum Meinungsumschwung führten, in anderen Fällen war es die eigene Erfahrung – wie etwa bei Ingvar Ingvarsson, der seine Kleinkinder nicht impfen wollte. Ingvarsson wurde später medizinische Pflegekraft und bekam es als solche mit älteren Patienten zu tun, die unter den Spätfolgen von vermeidbaren Polio- und Maserninfektionen litten. Seine Kinder wurden dann geimpft. (tasch, 19.10.2020)