Der Schladminger Knauß weiß: "Wenn 3.000 Leute auf der Planai unterwegs sind, sind am Ende des Tages nicht 3.000 Leute besoffen."

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Am kommenden Wochenende beginnt in Sölden in Tirol die neue Saison der alpinen Skirennläufer. Hans Knauß wird als Experte beim ORF die Rennen begleiten, die Kamerafahrten übernimmt der Ex-Skirennläufer Joachim Puchner.

STANDARD: Ihre Karriere als ORF-Kamerafahrer ist vorbei. Sie müssen einen entspannten Sommer hinter sich haben, oder?

Hans Knauß: Die Wahrheit ist: Ich bin in der besten körperlichen Verfassung seit Jahren. Im Lockdown wurden beinahe alle meine Veranstaltungen abgesagt. Ich hatte viel Zeit zum Trainieren.

STANDARD: Sie sind im entfernten Sinn auch im Tourismus tätig. Wie hat Sie der Corona-Lockdown getroffen?

Knauß: Meine Frau managt ein paar Ferienwohnungen in Schladming. Die meisten sind fix vermietet, wir hatten also Glück. Die Nachfrage war aber enorm. Der Sommer verlief für Schladming wahrscheinlich so gut wie überhaupt noch nie. Die Österreicher haben tatsächlich in Österreich Urlaub gemacht. Das hat man auf jedem Berg, jeder Alm und jeder Hütte gemerkt. Es war wahnsinnig viel los. Gleichzeitig verlief alles sehr diszipliniert. Die Leute achteten auf den Abstand, in den Gondeln trugen alle Masken.

STANDARD: Wie groß ist der Imageschaden für den Wintertourismus?

Knauß: Wir wissen alle, wo es in Österreich seinen Anfang genommen hat. Aber ich will in keiner Weise mit dem Finger auf jemanden zeigen. Wäre es nicht dort zum Ausbruch gekommen, wäre es eben woanders passiert. Im Nachhinein sind wir alle furchtbar gescheit. Den Imageschaden können wir nur selbst abfedern. Wir Österreicher haben die Angewohnheit, uns gegenseitig in die Pfanne zu hauen. Jetzt wäre es aber an der Zeit, zusammenzuhalten. Ob in der Wirtschaft oder im Tourismus: Wir haben alle dasselbe Problem, das ist dieser verdammte Virus. Wir sollten unser eigenes Produkt nicht schlechtreden.

STANDARD: Kann es im kommenden Winter überhaupt einen Wintertourismus geben?

Knauß: Ja, ohne Zweifel. Ich rede aber von der Bewegung in der Natur. Dass beim Après Ski auf die Bremse gestiegen wird, schadet nicht. Sie müssen wissen: Wenn 3.000 Leute auf der Planai unterwegs sind, sind am Ende des Tages nicht 3.000 Leute besoffen. Es sind ein paar Prozent, die ausschweifen. Die werden es heuer eben schwerer haben.

STANDARD: Selbiges gilt wohl auch für die FIS, die den Ski-Weltcup unbedingt durchboxen will. Renndirektor Markus Waldner verwendete dramatische Worte: Für Skirennläufer gehe es ums Überleben. Mit welchem Gefühl gehen Sie in die neue Saison?

Knauß: Waldner hat Recht. Der Weltcup steht auf Messers Schneide. Wir werden in diesem Winter TV-Übertragungen zusammenbringen, dann fließen auch Sponsorengelder. Die FIS behauptet stets, dass sie ausreichend Rücklagen hat, um zumindest eine ganze Saison ohne Einkünfte zu überstehen. Daran wird jetzt gefeilt, sie können zeigen, wie es wirklich ausschaut. Dass keine Zuschauer zugelassen sind, tut höllisch weh. In Sölden ist der gesamte Gletscher für die Rennen abgesperrt. Aber was machen Kitzbühel und Schladming? Wohin mit den Urlaubern, die schon vor Ort sind? Das könnte deutlich schwieriger werden.

STANDARD: Einige Nationen konnten in der Vorbereitung besser trainieren als andere. Fürchten Sie eine Wettbewerbsverzerrung?

Knauß: Das Training ist abhängig von der Stärke des jeweiligen Verbandes. So wahnsinnig international ist der Skiweltcup nicht. Alle Nationen, die vorne mitfahren, haben ein professionelles Training zusammengebracht.

STANDARD: In ganz Europa gibt es nur eine Abfahrts-Trainingsstrecke. Können Speedfahrer bald nur noch in Übersee trainieren?

Knauß: Ich bin im Sommer zum ersten Mal seit 15 Jahren wieder nach Zermatt gefahren. Die Piste ist in einem perfekten Zustand. Viele Nationen haben dort gut trainiert. Der Aufwand wird aber leider immer größer und solche Trainings werden kostenintensiver. Die Temperaturen knabbern mächtig an den österreichischen Gletschern, die liegen tiefer als jene in der Schweiz.

STANDARD: Der Rennkalender sieht vor der WM in Cortina nur ein Parallel-Rennen bei Frauen und Männern vor. Braucht es diese Rennen überhaupt?

Knauß: Im letzten Jahr waren die Kurse zu schnell gesetzt, das machte es gefährlich. Ich hoffe, sie feilen am Abstand, dann nehmen Parallel-Events eine gute Entwicklung. Etwas anderes wird mir überhaupt nicht abgehen.

STANDARD: Und zwar?

Knauß: Die Kombination. Das ist eine Disziplin aus dem Jahre Schnee. Die braucht keiner mehr. Vielleicht ist Corona der Auslöser, um sie aus dem Weltcup zu stürzen. Es ist nichts anderes als ein Nostalgie-Bewerb.

STANDARD: Im Weltcup gibt es keine Kombinationen, bei der WM steht sie im Programm.

Knauß: Es gab nie einen großen Kampf um einen WM-Startplatz, das wird auch heuer so sein. Selbst eine große Skination wie Österreich hat es zuletzt nicht zusammengebracht, vier aussichtsreiche Starter zu stellen. Ich frage mich, welchen Stellenwert diese Rennen haben. Es wird darauf hinauslaufen, dass diejenigen dabei sind, die gerade Zeit haben, eine Abfahrt fahren können und vielleicht auch einen Slalom-Ski daheim stehen haben. Oder umgekehrt.

STANDARD: Frauen sind im Weltcup tendenziell vielseitiger als die Männer. Shiffrin oder Vlhova gehen auch in Abfahrten an den Start. Warum ist das so?

Knauß: Vor einigen Jahren schrieb die FIS den Radius der Taillierung für Riesenslalom-Skier bei den Männern auf 35 Meter fest. Die Abfahrer hatten keine Chance mehr, mit solchen Trümmern an den Beinen halbwegs schnell um die Tore zu kurven. Speed-Läufer haben die Lust an der Disziplin verloren. Nach fünf Jahren ging man zurück auf 30-Meter-Radien, dieses Reglement galt bei den Frauen schon länger. Es wäre mir ein Anliegen, dass die gesamte Bandbreite eines Skiprofis wieder gefragt ist. Gesamtweltcupsieger Kilde hat das im Vorjahr umgesetzt.

STANDARD: Ist die Begeisterung für den professionellen Skisport gesunken?

Knauß: Ich habe nicht das Gefühl, dass weniger Jugendliche es versuchen, in den Weltcup zu kommen. Sie hören aber früher auf, weil sie sich schwer verletzen. Das liegt am aggressiven Material, das gehört entschärft. Ich habe einige Dinge bei der FIS deponiert, die mir in den letzten Jahren aufgefallen sind. Die Verletzungsgefahr ist enorm gestiegen. Wir müssen etwas machen, dann gäbe es wieder mehr junge Läuferinnen und Läufer im Weltcup.

STANDARD: Sie betreiben selbst Jugendarbeit mit dem Hans Knauß Alpine Pro Team.

Knauß: Durch die Region Schladming/Dachstein können wir Talente finanziell unterstützen. Sie fahren FIS-Rennen, sozusagen in der dritten Liga hinter Welt- und Europacup. Diese Phase der Karriere ist irrsinnig kostenintensiv. Die haben es am nötigsten. Wir haben ein Paket geschnürt, dass sie durch den Winter kommen. Zu meiner Zeit war das anders: In einem Landeskader konnte man halbwegs überleben. Eine Skifirma stellte das Material gratis zur Verfügung, das spielt es heute nicht mehr.

STANDARD: Wissen Sie schon, wie sich Ihre Arbeit beim ORF durch Corona verändert?

Knauß: Das hängt noch in der Luft. Ich weiß, dass ich mit einem aktuellen, negativen COVID-19-Test nach Sölden anreisen muss, sonst bekomme ich keine Akkreditierung. Ob ich dann auf die Strecke darf, wird sich zeigen. Es gibt momentan Wichtigeres. Eines ist gewiss: Wenn ich ein Rennen vernünftig kommentieren will, muss ich die Piste davor einmal gesehen haben. Es sollte eigentlich kein Problem sein, an der frischen Luft einmal kurz die Piste hinunterzurutschen. (Lukas Zahrer, 14.10.2020)