Dicht gedrängt lauschten seine Anhänger Trumps Ausführungen in Johnstown.

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Johnstown, Pennsylvania, Dienstagnachmittag. US-Präsident Donald Trump spricht vor hunderten dicht aneinandergedrängten Anhängern über seine soeben überstandene Corona-Infektion. "An jeden, der kämpft, um sich von dem Virus zu erholen: Ich fühle euren Schmerz, weil ich euren Schmerz gefühlt habe." Wer aller hatte schon Corona, fragt Trump in die Menge, in der viele keine Maske trugen. "Ihr seid jetzt immun." So wie er, und zwar lebenslang. "Sie" würden es nur nicht zugeben wollen, weil er es hatte. Früher habe es doch immer geheißen, dass man nach einer überstandenen Erkrankung mit dem Virus lebenslang immun sei. Experten gehen tatsächlich von einer Immunität nach einer Infektion aus. Wie lange diese aber anhält, ist noch unklar.

Sein demokratischer Herausforderer Joe Biden warf Trump daher das Verbreiten von Falschinformationen vor, und zwar noch mehr als vor dessen Erkrankung. Er hätte gehofft, dass der Präsident "zumindest etwas geläutert daraus hervorgeht", gab Biden bei einer Wahlkampfveranstaltung in Florida an. Doch im Gegenteil, Trump habe die Fehlinformationen nur intensiviert.

Die Verve, mit der Trump sich nach der Erkrankung als Corona-Besieger inszeniert, folgt seiner bisherigen Strategie, mit der Pandemie umzugehen: herunterspielen, übertreiben, nicht ernst nehmen. Doch es ist vor allem dieser Umgang mit der Pandemie, für den Trump bei der Wahl abgestraft zu werden droht. Auch seine eigene Erkrankung hat ihm wohl – entgegen den Erwartungen einiger Beobachter – laut Umfragen nicht genützt.

Knapp drei Wochen vor der Präsidentenwahl am 3. November kommt Biden im Umfragedurchschnitt derzeit auf 53 Prozent, Trump auf lediglich 42. Das sind die besten Umfragewerte zu diesem Zeitpunkt für einen Präsidentschaftsanwärter seit 1936, als die ersten wissenschaftlichen Umfragen durchgeführt wurden, berichtete CNN. Bidens Siegeschancen stehen laut der Plattform "FiveThirtyEight" aktuell bei 86 Prozent.

Allerdings ist die Wahl noch nicht geschlagen. Unsicher ist zum Beispiel, wie die Rolle der "Shy Trumpers" einzuschätzen ist, also jener Trump-Anhänger, die das nicht laut zugeben. Ein anderer Faktor ist, dass sich Bidens Vorsprung aus nationalen Umfragen ergibt. In den einzelnen Bundesstaaten, und vor allem in den Swing-States, hat Trump einen geringeren Rückstand. "Das kann bedeuten, dass Biden in jenen Staaten zulegt, wo er ohnehin vorne ist", sagte der Politologe Reinhard Heinisch der APA.

Als ehemaliger Vize von Barack Obama kann Biden afroamerikanische Wählerschaften mobilisieren, Trump hat hier Aufholbedarf. In der Nacht auf Mittwoch gab Twitter bekannt, über zwanzig Twitter-Konten gesperrt zu haben, die vorgegeben hatten, afroamerikanische Trump-Befürworter zu sein. Die meist identischen Kurznachrichten lauteten: "Ja, ich bin schwarz und wähle Trump!" Hinter den Konten verbargen sich teilweise Militärveteranen oder Mitgliedern von Strafverfolgungsbehörden. Eine Überprüfung durch die Nachrichtenagentur Reuters ergab, dass häufig Bilder von echten Personen mit falschen Namen verwendet wurden.

Volkszählung frühzeitig gestoppt

In Sachen Volkszählung konnte die US-Regierung unterdessen einen Erfolg erzielen. Das Oberste Gericht bestätigte in der Nacht auf Mittwoch, dass der frühzeitige Stopp der Zählung rechtens war. Trump hatte angeordnet, dass das U.S. Census Bureau die alle zehn Jahre stattfindende Volkszählung Ende September frühzeitig beenden sollte, damit genug Zeit bleibe, bis Ende des Jahres die bisher erhobenen Zahlen vom Kongress prüfen zu lassen. Laut der Behörde waren bis dahin 99,9 Prozent der Zählarbeiten abgeschlossen. Kritiker sehen darin aber eine Diskriminierung von schwer zu erfassenden Bevölkerungsgruppen. Vor allem Minderheiten würden nicht erfasst werden. Das wirkt sich wiederum potenziell auf zukünftige Wahlen aus. Denn auf Basis der Volkszählung werden Wahlbezirke aufgeteilt.

Barrett: "Keine Schachfigur"

In Washington gingen unterdessen die Anhörungen der vermutlich nächsten Höchstrichterin, Amy Coney Barrett, im Justizausschuss des Senats weiter. Elf Stunden lang grillten sie die Abgeordneten und versuchten ihr Aussagen zu umstrittenen Grundsatzthemen wie Abtreibung, Homo-Ehe oder Obamacare zu entlocken. Barrett hielt sich in fast allen Fragen bedeckt – sie sei unabhängig und keine "Schachfigur", die sich missbrauchen lasse, "um den Wahlausgang für das amerikanische Volk zu entscheiden", sagte sie an einer Stelle.

Kontrovers war eine ihrer Aussagen zur Homo-Ehe. Sie betonte, dass sie nicht "auf Basis sexueller Vorlieben" diskriminieren würde. Das brachte ihr Kritik ein – die Wortwahl sei veraltet, das Wort "Vorlieben" setze voraus, dass dies etwas sei, worüber ein Mensch frei entscheide. Dafür entschuldigte sie sich. Auf die Frage, ob ein US-Präsident zu einer friedlichen Machtübergabe verpflichtet sei, gab Barrett keine Antwort. Die Anhörungen im Senat gehen am Mittwoch um 14 Uhr MESZ weiter. (APA, Reuters, saw, 14.10.2020)