Es dauert eine Weile, bis Arabella rekonstruiert, dass sie mit K.-o.-Tropfen ausgeschaltet und vergewaltigt wurde. Michaela Coel schrieb, inszenierte und spielt die Hauptrolle in "I May Destroy You".

Foto: HBO/Sky

Arabella geht's gut. Sie hat einen Vertrag für ein Buch, ein cooles Loft zum Schreiben mitten in London-Soho, Welcome-Bag und Laptop stehen bereit, übers Handy ist sie mit ihren Freunden verbunden, noch mehr gute Laune verspricht eine Prise Gras. Arabella ist Influencerin, das Leben ist leicht, zumindest soll es so wirken. Aber just am Abend vor der Deadline für ihr neues Buch stockt der Schreibfluss, kommt nichts zustande. Googeln von "How to write quickly" bringt auch nichts, irgendwann – endlich – kommt Besuch. Eine Pause? Okay, Party.

Vielleicht ist ja alles nicht wahr

Es geht hoch her in dieser Nacht. Arabella zieht mit ihren rosaroten Haaren und lässig gedresst durch die Clubs, tanzt, trinkt, nimmt immer mehr Drogen – und irgendwann kann sie nicht mehr. Fällt vom Barhocker, robbt zur Tür, bleibt liegen. Und weiß am Morgen danach nichts mehr. Filmriss. So nach und nach kommen Erinnerungen in Flashbacks zurück. Und diese sind verstörend. Die erste Reaktion scheint ungewöhnlich für eine so offene, moderne junge Frau: Arabella schweigt. Vielleicht ist ja auch alles nicht wahr. Aber warum ist das Mobiltelefon kaputt? Und die Dinge im Kopf, der Mann, den sie über sich sieht.

Es dauert eine Weile, bis Arabella rekonstruiert, dass sie mit K.-o.-Tropfen ausgeschaltet und vergewaltigt wurde. Wir, die Zuseher, sehen von der Tat nicht mehr als sie. Um die Folgen des Übergriffs geht es in der HBO-Serie I May Destroy, die ab Montag auf Sky abrufbar ist.

Schrilles, intensives Porträt

Die werden nämlich eindeutig anders verhandelt, nicht als düsteres oder gar tränenreiches Serienepos, sondern als schrilles, intensives, zum Teil sogar komisches Porträt einer Jugendkultur, in der die Grenzen zwischen einvernehmlichem Sex und Vergewaltigung fließend sind.

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Die Frage "Ab wann ist es ein Missbrauch?" ist nicht so einfach zu beantworten. Nicht für Arabella, und auch nicht für ihre Freunde. Terry (Weruche Opia) zum Beispiel, die beim spontanen Dreier bereitwillig zustimmt und dann feststellt, dass die Männer alles vorher besprochen hatten. Oder Kwame (Paapa Essiedu), der mit seiner Grindr-Bekanntschaft tollen Sex hat, aber die Zustimmung für ein weiteres Mal verweigert, was in einer Vergewaltigung endet. Oder wieder Arabella, die mit einem Mann schläft, der währenddessen das Kondom abgezogen hat – und ihr das erst danach sagt.

"The Period Scene"

Geschrieben und inszeniert hat das die 33-jährige Michaela Coel, die in der zwölfteiligen Serie gleich auch die Hauptrolle spielt und darin eigene Erlebnisse beschreibt und einen Haufen Fragen zur Diskussion stellt. Gleichzeitig betonte Coel, dass Arabellas Geschichte sich sehr von ihrer eigenen unterscheidet. Dass sie dabei zahlreiche Tabus bricht, wurde Coel erst später bewusst: "Man sagt, dass man eine Show über sexuelle Einwilligung macht, und ich merkte, dass die Leute sofort Vorurteile darüber haben, was das sein könnte", sagte Coel zu "GQ". Zum Beispiel über Sex während der Menstruation: Ein blutiger Tampon war in sozialen Medien als "The Period Scene" Dauerthema. (Doris Priesching, 15.10.2020)

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