Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: Reuters/MIKE HUTCHINGS

Vor einem halben Jahr, Anfang April, gingen in Südafrika die Alarmsirenen an. Angesichts der Corona-Pandemie hatte die hiesige Regierung einen der weltweit härtesten Lockdowns über das Land verhängt: Millionen Südafrikaner konnten ihren Geschäften nicht mehr nachgehen, die meisten von ihnen waren von einem auf den anderen Tag von allen Einkünften abgeschnitten. Wenn nichts Einschneidendes geschehe, drohe eine Hungersnot, warnten Kenner des Landes: Selbst mit Hungeraufständen müsse gerechnet werden.

Die Furcht wurde noch durch die unfähige Regierung verschärft, deren Apparat schon vor der Pandemie bedürftigen Familien nicht zu helfen wusste. Die Behörde für soziale Sicherheit, Sassa, hatte schon seit Monaten keine Nahrungsmittelpakete mehr verteilt, weil es im Amt – wie in fast allen Behörden des Landes – zu Unregelmäßigkeiten gekommen war. Sie mussten erst einmal aufgeklärt werden, und das dauerte Monate.

Erst zwei Wochen nach seinem Erlass des Lockdown kündigte ANC-Präsident Cyril Ramaphosa ein staatliches Hilfsprogramm in Höhe von mehreren hundert Millionen Euro an: Es sollte vor allem den um ihre Einkünfte gebrachten Südafrikanern zugutekommen, teils als Bargeld, teils in Form von Nahrungsmittelpaketen. Doch zur Verteilung ihrer Hilfe war die Regierung wieder auf Sassa und deren Datenbank angewiesen, und die mussten erst wieder in Gang gebracht werden. Längst hatten auch die Schulen dichtgemacht, in denen hungrige Kinder sonst ein warmes Essen am Tag erhalten. Für Ende April wurde der Beginn der Hungersnot prognostiziert.

NGOs wenden Hungersnot ab

Dass es nicht dazu kam, lag an dem Netzwerk zivilgesellschaftlicher Gruppen, das Südafrika wie kaum ein anderes Land der Welt umspannt. Diese Nichtregierungsorganisationen stammen zum großen Teil noch aus dem Kampf gegen die Apartheid, später machten sich viele von ihnen für einen besseren Umgang mit der Aids-Epidemie oder für größere soziale Gerechtigkeit stark. Die mobilen NGOs wussten angesichts der drohenden Hungersnot auf die Schnelle ihre Ausrichtung zu ändern: Katholische Schwestern richteten Suppenküchen ein, Aids-Aktivisten zeigten Slumbewohnern, wie man Gemüsebeete anlegt, muslimische Hilfsorganisationen verteilten Lunchpakete, selbst Restaurantbesitzer schlossen ihre Küchen auf, um Kübel voller Curry zu kochen.

Auch gut betuchte Südafrikaner zeigten Empfinden: In einem Solidaritätsfonds kamen mehrere hundert Millionen Euro privater Spenden zusammen, aus denen sich die Suppenküchen für ihre Zutaten bedienen konnten. Unterdessen gammelte die Staatshilfe in Lagern vor sich hin, mancher ANC-Funktionär ließ die Notpakete seiner Familie zukommen.

Suppenköche in der Regierungskritik

Dagegen wurden die Aktivitäten der unabhängigen Suppenköche von der Regierung argwöhnisch beäugt: Schließlich machten sie aller Welt deutlich, dass der vom ANC gelenkte Staatsapparat der Ernährungskrise hilflos gegenüberstand. Unter dem Vorwand, nicht über die nötigen Genehmigungen zu verfügen, wurde manche nichtstaatliche Speisung sogar verboten. Und um die Regierung zu einer Fortsetzung der Schulspeisung zu zwingen, musste eine NGO sogar vor Gericht gehen.

Mittlerweile ist die Regierungsmaschine angelaufen. Die Zahl der Familien, die hungrig zu Bett gehen, hat sich Umfragen zufolge von 47 Prozent der Bevölkerung im April auf weniger als 30 Prozent reduziert. Ende Oktober läuft das staatliche Hilfsprogramm allerdings aus, und den Nichtregierungsorganisationen ist inzwischen das Geld ausgegangen. Eine zweite Hungerwelle könnten sie jedenfalls nicht abwenden. (Johannes Dieterich aus Johannesburg, 15.10.2020)