Das Justizministerium will im Fall, dass es "Schutzlücken" in Bezug auf Netzsperren gebe, "alle Möglichkeiten prüfen", um sie zu schließen – Bedenken bezüglich Uploadfilter seien aber unbegründet.

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Das Gesetzespaket gegen Hass im Netz stößt im Begutachtungsverfahren auf massive Kritik durch Datenschützer. Die Datenschutz-NGO Epicenter Works bezeichnet die Pläne im grünen Teil des Pakets als "alarmierend". Dieses enthält die zivilrechtlichen Bestimmungen für eine Mandatsfassung und eine Neufassung der Persönlichkeitsrechte im Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB). Außerdem werden straf- und medienrechtliche Änderungen eingeführt, beispielsweise der Tatbestand "Upskirting" sowie verschärfte Strafen.

Aus Sicht von Epicenter Works würde das Gesetz Netzsperren vorsehen – obwohl Justizministerin Alma Zadić dies in Interviews bisher verneint hat. So sei die Möglichkeit vorgesehen, "Unterlassungsansprüche wegen der Verletzung von Persönlichkeitsrechten auch an 'Vermittler' zu richten". Verwiesen wird dabei auf das Urheberrechtsgesetz, schreibt die NGO in einem Blogeintrag – das allerdings aufgrund eines EuGH-Urteils vorsieht, dass Access-Provider auch als solche gelten. Demnach könnte das sehr wohl zu Netzsperren führen.

"Erhebliche Änderung"

Die Einschätzung der NGO wird vom Providerverband ISPA, dem unter anderem "3" und Magenta angehören, sowie von der teilstaatlichen Telekom Austria geteilt. In ihrer Stellungnahme schreibt die ISPA, dass die neue Regelung eine "erhebliche Änderung gegenüber dem Status quo" bedeuten würde, da bisher solche Sperren nur im Bereich des Urheberrechts und aufgrund von EU-Vorgaben zustande gekommen seien.

Thomas Lohninger, Geschäftsführer von Epicenter Works, kritisiert, dass mit dem neuen Gesetz ganze Websites aufgrund von Persönlichkeitsrechtsverletzungen gesperrt werden könnten. "Die Bestimmung ist so breit, dass sie es grundsätzlich zulässt, dass bereits aufgrund eines illegalen Postings gleich ein ganzer Blog oder ein ganzes soziales Netzwerk gesperrt werden kann." Offen sei dabei, ob IP- oder DNS-Sperren stattfinden müssten. Letztere lassen sich besonders leicht umgehen, Erstere würden dafür sorgen, dass auch andere Webseiten, die unter einer IP-Adresse zu finden sind, ebenfalls gesperrt würden.

Das Justizministerium erklärt auf STANDARD-Anfrage, dass Netzsperren nicht das Ziel seien. "Wir werden die Ergebnisse des Begutachtungsverfahrens analysieren, wo wir im Zusammenhang mit dem Mediengesetz im Sinne des Opferschutzes ausdrücklich zu Stellungnahmen zu diesem Thema eingeladen haben", heißt es. Es ginge um die Problematik von spezifischen Webseiten, die ausschließlich Hass enthalten würden, und um Fälle, in denen es für das Opfer keine Möglichkeiten gebe, sich zu wehren, nicht aber um einzelne Postings. "Sollten es hier eine Schutzlücke geben, werden wir natürlich alle Möglichkeiten prüfen, wie man eine solche schließen kann und uns auch hier wieder gut mit den betroffenen Stakeholdern abstimmen." Netzsperren seien, "wie bereits mehrfach erwähnt", nicht beabsichtigt.

Uploadfilter?

Doch die Grundrechtsorganisation verortet auch die Gefahr von Uploadfiltern in dem grünen Entwurf. Dabei geht es darum, dass beleidigende Inhalte, die schon einmal entfernt werden mussten, auch in Zukunft nicht wieder verbreitet werden dürfen. Anders beim sonst gängigen Umgang mit illegalen Inhalten – durch sogenanntes "notice and take down", also das Melden und die Entfernung nach einer Prüfung –, setzen die Grünen in dem Entwurf auf "notice and stay down".

Das sei wiederum, wie auch die ISPA in ihrer Stellungnahme schreibt, nur anhand von Filtertechnologien möglich. Dabei handelt es sich um Systeme, die Inhalte bereits vor ihrer Publikation automatisiert prüfen, um rechtswidrigen Content zu erkennen und seine Veröffentlichung zu unterbinden. "Ein Uploadfilter für textgleiche Inhalte kann nicht erkennen, ob ein Opfer gerade über eine erlebte Diskriminierung berichtet oder ein journalistisches Medium einen solchen Vorfall aufgreift und kontextualisiert", kritisiert Lohninger. Dazu käme, dass große Unternehmen wie Google Millionen in die Entwicklung der Filtersysteme investieren könnten – während vor allem kleinere Unternehmen Strafen befürchten müssten, wenn ihre Systeme fehlschlagen.

Das Justizministerium hält die Bedenken der NGO für "unbegründet und nicht nachvollziehbar". Demnach habe sich im Gesetzespaket hinsichtlich der Thematik nichts geändert – "einen Unterlassungsanspruch hat es in diesem Zusammenhang auch bisher gegeben", heißt es. Sie seien "seit jeher in die Zukunft gerichtet, weil es darum geht, zukünftige 'Störungen' zu unterbinden", also beispielsweise Betroffene davor zu schützen, dass Beleidigungen wiederholt werden. Das sei auch die geltende Rechtslage. "Neu in diesem Zusammenhang ist lediglich das schnelle Mandatsverfahren", das nun eingeführt werde und nur verfahrensrechtliche Neuerungen beinhalte.

Überwachung

Doch Lohninger verortet in dem Gesetz ebenso Potenzial für Überwachung: Privatankläger, die eine üble Nachrede oder eine Beleidigung in einem Posting verorten, könnten auf Mittel zugreifen, die bisher Strafverfolgungsbehörden vorbehalten waren.

So könnten sie die Nutzerdaten wie Name, IP-Adresse, Adresse und E-Mail-Adresse erfragen, aber auch die Lokalisierung von Geräten, die Inhaltsüberwachung von Nachrichten oder eine Anlassdatenspeicherung, über die der Standort und das Kommunikationsverhalten einer Person überwacht werden, ermöglichen.

Auch Zustimmung

Neben dieser Kritik traf das Paket sonst auf viel Zustimmung. Bedenken bestehen allerdings etwa in Bezug auf die geplante Strafdrohung beim sogenannten Upskirting. Die Begutachtungsfrist endet am Donnerstag, in Kraft treten sollen die neuen Regeln mit 1. Jänner.

Anwältin Maria Windhager, die unter anderem den STANDARD vertritt und auf Medien- und Persönlichkeitsschutzrecht spezialisiert ist, und Verfassungsrichter und "Krone"-Anwalt Michael Rami haben eine gemeinsame Stellungnahme zu jenem Entwurf, mit dem straf- und medienrechtliche Maßnahmen zur Bekämpfung von Hass im Netz getroffen werden, vorgelegt. Der Entwurf sei "grundsätzlich auf gutem Niveau", viele der Vorschläge seien zu begrüßen, betonen sie in der Stellungnahme.

"Upskirting" zu streng bestraft

Kritik üben sie aber etwa daran, dass das sogenannte Upskirting mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder einer Geldstrafe von bis zu 720 Tagessätzen bedroht ist. Im Vergleich zu anderen Delikten sei das zu streng. Überhaupt behandle der Entwurf verschiedene Tathandlungen mit derselben Strafdrohung, "obwohl diese einen ganz unterschiedlichen Unwert" haben, bemängeln die Anwälte: "Die Veröffentlichung eines Fotos ist für das Opfer deutlich schlimmer als dessen Zugänglichmachung gegenüber einem Dritten, und diese wiederum ist deutlich schlimmer als die bloße Anfertigung des Fotos", heißt es in der Stellungnahme.

Der Entwurf sieht außerdem eine deutliche Anhebung der Schadenersatzansprüche für Personen vor, die durch Medien in ihrem höchstpersönlichen Lebensbereich verletzt werden oder wenn der objektive Tatbestand der üblen Nachrede, der Beschimpfung, der Verspottung oder der Verleumdung erfüllt wurde. "Nicht einzusehen" ist aus Sicht Windhagers und Ramis hier, warum die Anhebung des Höchstbetrags nicht auch auf Verstöße gegen den Schutz vor Bekanntgabe der Identität in besonderen Fällen oder die Unschuldsvermutung ausgeweitet wird.

Außerdem mache es einen Unterschied, "ob die Persönlichkeitsverletzung nur nebenbei in einem Halbsatz geschehen ist oder den Aufmacher für einen reißerischen Bericht bildet", betonen die Anwälte und plädieren dafür, darauf im Gesetz Rücksicht zu nehmen.

OGH: Spannungsverhältnis mit Meinungsäußerungsfreiheit

Auch der Oberste Gerichtshof (OGH) begrüßt in seiner Stellungnahme das Ziel, "Hass und Hetze in sozialen Medien und im Internet effektiv zu bekämpfen". Der Entwurf sieht vor, dass auch bestimmte Angehörige von Opfern vor der Bekanntgabe ihrer Identität geschützt sind. Dadurch und durch die Aufnahme von Zeugen werde der Kreis potenzieller Anspruchsberechtigter in einer Weise erweitert, "die die Möglichkeiten medialer Veröffentlichungen nicht unerheblich einschränkt und damit in einem Spannungsverhältnis zu Art. 10 MRK (Recht auf freie Meinungsäußerung, Anm.) steht", kritisiert der OGH allerdings.

Die Vereinigung der Staatsanwälte begrüßt die Änderungen insgesamt, kritisiert aber ebenfalls die Strafdrohung im Bereich Upskirting als "nicht gänzlich ausgewogen gewichtet". So sei etwa sexuelle Belästigung im Vergleich "nur" mit einer Freiheitsstrafe von bis zu sechs Monaten oder einer Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen bedroht.

Auch die Staatsanwaltschaft Wien findet die Strafdrohung "unverhältnismäßig hoch". Angeregt wird zudem, das Delikt als Ermächtigungsdelikt zu konzipieren. "Es soll letztlich im Ermessen des Opfers liegen, ob Bildaufnahmen von dessen intimsten Bereichen, die (...) bis dahin nur dem Täter bekannt sind, in einem Strafverfahren erörtert und dadurch einem weiteren Personenkreis zugänglich gemacht werden", heißt es in der Stellungnahme.

Schutz durch Bekleidung sollte entfallen

In mehreren Stellungnahmen wird außerdem bemängelt, dass der Schutz vor unbefugten Aufnahmen nur dann gewährt werden soll, wenn die abgebildete Person "diese Bereiche durch Bekleidung oder vergleichbare Textilien gegen Anblick geschützt" hat. "Auch durch Vorhalten der eigenen Hände oder eines entsprechenden Gegenstandes wird zum Ausdruck gebracht, dass man die eigene Intimsphäre wahren möchte und nicht mit der Aufnahme einverstanden ist. Die Einschränkung auf Schutz durch Bekleidung oder vergleichbare Textilien sollte daher entfallen", schreibt etwa Susanne Reindl-Krauskopf, Vorständin des Instituts für Strafrecht und Kriminologie an der Uni Wien.

Die Vorstände der Institute für Zeitgeschichte sowie für Rechts- und Verfassungsgeschichte warnen davor, dass ein Teil der Neufassung der Persönlichkeitsrechte im ABGB, die im "Hass im Netz-Bekämpfungsgesetz" geregelt wird, die NS-Opfer- und Täterforschung "erheblich erschweren" könnte. Sie plädieren dafür, die wissenschaftliche Forschung generell gesetzlich vom allgemeinen postmortalen Persönlichkeitsschutz auszunehmen. (Muzayen Al-Youssef, APA, 14.10.2020)