Durch Vitamin-B12-Mangel bedingte neurologische Beschwerden sind nur in einem kleinen Zeitfenster von ein paar Wochen reversibel. Danach bleiben Nervenschäden zurück.

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Brennt Ihre Zunge, oder fällt es Ihnen schwer, sich zu konzentrieren? Lässt Sie Ihr Gedächtnis vermehrt im Stich, oder fangen Sie sich ständig Infekte ein? Haben Sie Haarausfall?

Möglicherweise ist ein Mangel an Vitamin B12 die Ursache. Dieses Vitamin braucht der menschliche Körper, damit so grundlegende Prozesse wie die Zellteilung und die Reifung und Regeneration von Nervenzellen funktionieren, eine Hülle unsere Nerven vor Schaden schützt und sich rote Blutkörperchen und Nervenbotenstoffe bilden. Für manche Aufgabe benötigt B12 zudem das Vitamin Folsäure als Co-Faktor. Deshalb sollte der Mensch auch damit gut versorgt sein.

Frühzeitig behandeln

Der Mensch hat Vitamin-B12-Depots, die etwa drei bis vier Jahre reichen. Sind diese Speicher aber deutlich dezimiert, treten im Normalfall neurologische Symptome wie Gangunsicherheit, Kribbeln in Armen und Beinen, Zungenbrennen, Muskelschwäche, Konzentrationsprobleme, Gedächtnisschwäche und depressive Verstimmungen auf. Wenn das der Fall ist, ist es sehr wichtig, bald zum Arzt zu gehen, um einen Mangel auszugleichen.

Warum? Die neurologischen Beschwerden sind nur in einem kleinen Zeitfenster von ein paar Wochen reversibel. Danach bleiben Nervenschäden zurück. Häufig tritt eine Anämie, auch Blutarmut genannt, auf. Sie ist beispielsweise an blasser Haut, schneller Erschöpfung und Abgeschlagenheit zu erkennen. Eine Anämie ist aber grundsätzlich reversibel.

Risiko Veganismus

Da die B12-Hauptquelle des Menschen tierische Nahrung wie Fleisch, Fisch, Meeresfrüchte, Eier, Milch, Käse und Innereien ist, erhöht sich durch eine streng vegane Ernährung das Risiko für einen B12-Mangel. Pflanzliche Nahrung liefert kein B12, ausgenommen nicht erhitztes Sauerkraut, weil hier Milchsäurebakterien das Vitamin in kleiner Menge herstellen.

Aber auch bei guter B12-Versorgung über die Nahrung kann es passieren, dass die aktive B12-Aufnahme im Dünndarm ungenügend ist. Dafür ist ein Molekül, der intrinsische Faktor (IF) bestehend aus einem Protein und ein oder mehreren Zuckergruppen, nötig. Bestimmte Zellen in der Magenschleimhaut produzieren Magensäure und zugleich den IF. Er nimmt Vitamin B12 quasi Huckepack; nur so gelangt es in die Dünndarmzellen. Ist zu wenig IF vorhanden, nehmen die Zellen auch zu wenig B12 auf.

Dieses Problem ist mitunter "hausgemacht": Magensäurehemmer wie Protonenpumpeninhibitoren (PPI) oder regelmäßiger übermäßiger Alkoholkonsum stoppen die säurebildenden Zellen im Magen, was auch zu einem Mangel an IF führt. Mögliche weitere Ursachen können ein fortgeschrittenes Alter, ein operativ verkleinerter Magen oder Dünndarm, eine autoimmun-bedingte Magenschleimhautentzündung und chronisch entzündliche Darmerkrankungen sein.

Mangel feststellen

Aber wie lässt sich ein B12-Mangel feststellen? Wird nur der B12-Wert im Blut untersucht, wird dabei auch für den Stoffwechsel nicht relevantes B12 erfasst. "Der gemessene B12-Wert ist deshalb zu hoch", so Andreas Michalsen, Internist am Immanuel-Krankenhaus Berlin. Ein B12-Mangel wird dann leicht übersehen.

"Grundsätzlich kann bereits bei einem B12-Wert im unteren Normbereich ein Mangel vorliegen. Deshalb ist es wichtig, zusätzlich den Wert für das sogenannte Holotranscobalamin zu bestimmen", rät der Labormediziner und B12-Forscher Wolfgang Herrmann vom Universitätsklinikum des Saarlandes. Bei Holotranscobalamin handelt es sich um jenes B12, das im Blut an das Transporteiweiß Transcobalamin gebunden zu den Zellen gebracht wird.

Am besten sollten deshalb zusätzlich die Werte für Homocystein und Methylmalonsäure bestimmt werden. "Das macht die Labordiagnostik aussagekräftiger, denn Methylmalonsäure spiegelt den B12-abhängigen Stoffwechsel wieder", sagt Herrmann. Methylmalonsäure und Homocystein sind beide schädliche Stoffwechselprodukte. Für ihren Abbau ist B12 nötig. Ohne B12 sammeln sie sich im Blut an – im Labor ein Indiz für einen Mangel. "Bei Menschen ohne Vitamin-B12-Substitution machen Werte für Methylmalonsäure unter 300 nmol/l einen B12-Mangel unwahrscheinlich. Werte, die darüber liegen, sprechen dafür", so Herrmann (siehe Infokasten).

Defizit ausgleichen

"Ist der Vitamin-B12-Mangel diagnostiziert, sollte gezielt mit einem entsprechenden Präparat substituiert werden", sagt Michalsen. "Bei einem deutlichen Mangelzustand erfolgt ärztlicherseits ein- bis zweimal wöchentlich die Injektion von meist 1.000 Mikrogramm Vitamin B12, bis die Blutspiegel normalisiert sind."

Bei nicht ganz so ausgeprägtem Mangel und bei täglicher Einnahme von Magensäureblockern empfiehlt sich – nach ärztlicher Rücksprache – die tägliche Einnahme von 1.000 Mikrogramm (µg) Vitamin-B12 als Lutschtablette über mehrere Wochen. "Wer sich vegan oder auch vegetarisch ernährt, sollte vorbeugend täglich ein niedrig dosiertes, also zehn bis 20 Mikrogramm B12 enthaltendes Präparat oder zwischendurch immer wieder mal eine Kapsel mit 500 oder 1.000 µg B12 schlucken", rät Michalsen. Zusätzlich gibt es B12-haltige Zahnpasta.

Gesunde Ernährung

Pro Mahlzeit oder Supplementdosis kann ein Mensch nur 1,5 bis zwei µg B12 aufnehmen. Dann ist die Transportkapazität des intrinsischen Faktors für einige Stunden erschöpft. Grundsätzlich ist es aber möglich, dem Körper mehrmals täglich diese B12-Menge zuzuführen.

Etwa ein Prozent der eingenommenen B12-Menge diffundiert zudem passiv ohne IF vom Dünndarm ins Blut. Um diesen Effekt gezielt auszunutzen, sind orale B12-Präparate oft hochdosiert. Ein Prozent von viel ist gar nicht schlecht. Aber es gilt nicht einfach "Viel hilft viel". Denn: Es gibt auch Hinweise darauf, dass zu hohe Vitamin-B12-Spiegel ebenfalls gesundheitsschädlich sind. (Gerlinde Felix, 15.10.2020)