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Jared Kushner und "MbS" bei einem Treffen am G20-Gipfel in Osaka 2019.

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Werden sie oder werden sie nicht? Die Frage, ob Saudi-Arabien bereit ist, seine Beziehungen zu Israel zu normalisieren, beschäftigt einen Monat nach der Unterzeichnung der "Abraham Accords" zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) sowie Bahrain die Nahostanalysten weiter. Die meisten kommen zu dem Schluss, dass es eher unwahrscheinlich ist, solange König Salman bin Abdulaziz (84) das Sagen hat – was im Umkehrschluss heißt, dass wenn sein Sohn Mohammed bin Salman, genannt MbS, endgültig an die Macht kommt, damit zu rechnen wäre.

Dass Saudi-Arabien den VAE und Bahrain einfach ein paar Wochen hinterherhoppelt und jetzt nachzieht, würde auch nicht dem Selbstverständnis des Königreichs entsprechen. Riad übernimmt momentan die Rolle des milde lächelnden Patrons der arabischen Entspannungspolitik. Es ist klar, dass Bahrain den Schritt gar nicht getan hätte, wäre Saudi-Arabien dagegen gewesen. Öffentliche Kritik am Vorpreschen der beiden Golfstaaten ist in Saudi-Arabien unerwünscht, berichten saudische Journalisten der "Washington Post", der Ton in der Berichterstattung über die "Abraham Accords" habe freundlich zu sein. Den Palästinensern wird mangelnde Flexibilität vorgeworfen. "Wann werden sie verstehen, dass jedes Mal, wenn sie vom Verhandlungstisch aufstehen, der Kuchen kleiner wird?", fragt etwa der Leitartikler von "Arab News".

Und während ein Interview von Prinz Bandar bin Sultan, dem ehemaligen saudischen Botschafter in Washington, mit Al-Arabiya von saudischen Medien groß gefeaturet wurde, hörte man wenig von jenem des früheren Geheimdienstchefs Turki al-Faisal mit "Arabian Business", einem emiratischen Medium: Ersterer übt scharfe Kritik an der palästinensischen Führung, Letzterer pocht auf der saudischen Position, dass es ohne Palästinenserstaat keine Normalisierung mit Israel geben werde.

Unehrlicher Palästinenserführer

Das dreiteilige TV-Interview mit Prinz Bandar ist ein spannender Einblick in die arabische diplomatische Geschichte. Bandar gibt an, mit seinem Gang in die Öffentlichkeit auf die palästinensischen Vorwürfe reagieren zu wollen, dass die golfarabischen Staaten die Palästinenser in Stich ließen. Im Detail schildert er die von Palästinenserführer Yassir Arafat (gestorben 2004) verpassten Gelegenheiten, zu einem Deal mit den Israelis zu kommen, und stellt ihn dabei als nichts weniger als einen Lügner dar.

Abgesehen davon, dass sich Arafat 1990 beim irakischen Überfall auf Kuwait auf die Seite von Saddam Hussein gestellt hat: Vor allem Arafats Verhalten ganz am Ende der Präsidentschaft von Bill Clinton 2000/2001, als der Deal eigentlich schon fertig war und Arafat ihn im letzten Moment platzen ließ – ohne das den Saudis ehrlich zu sagen –, stellte demnach einen Einschnitt in das Verhältnis dar.

Saudi-Arabien habe sich immer für die Palästinenser eingesetzt, sagt Bandar – aber es gebe eben auch nationale Interessen. Damit verbunden ist auch der Ärger darüber zu erkennen, dass die jetzige Palästinenserführung zulässt, dass ihre Anliegen vom Iran und zuletzt vor allem von der Türkei instrumentalisiert werden. Unter türkischer Ägide haben die zerstrittenen Palästinenserfraktionen Hamas und Fatah zuletzt ein Versöhnungsabkommen geschlossen.

"Hass in Köpfen und Herzen"

An einem gewissen Punkt im Interview – bezogen auf die Teilnahme Syriens an der Nahostkonferenz 1991 – merkt Bandar auch an, dass es schwierig sei, einen Politikwechsel populär zu machen, wenn die "Köpfe und Herzen" der Menschen jahrelang mit Hass gefüllt wurden. Dieses Bewusstsein spielt bei der jetzigen saudischen Politik eine große Rolle. Nicht nur die Medien werden eingesetzt, um einen Wandel in der öffentlichen Meinung zu erreichen, auch die Moscheen. Wurde der Imam der großen Moschee von Mekka, Abdulrahman al-Sudais, vor ein paar Jahren noch mit Aussagen gegen Juden (und Christen und Schiiten) zitiert, so predigte er jüngst über das gute Verhältnis, das der Prophet Mohammed zu Andersgläubigen, und da besonders zu Juden, hatte.

Es geht darum, ein völlig neues Narrativ über die Juden und Israel zu verankern. Da ist auch die Populärkultur ein probates Mittel: über mehrere saudische beziehungsweise emiratische Soap Operas im diesjährigen Ramadan – im Fastenmonat verbringen die Menschen mehr Zeit als sonst vor dem TV-Gerät –, die auf die Normalisierung mit Israel einstimmen sollen, hat DER STANDARD berichtet. Zuletzt hat das saudische Medienunternehmen MBC – zu dem auch Al-Arabiya gehört – eine überaus erfolgreiche Produktion über das Schicksal der Palästinenser aus ihrem Streaming-Programm shahid.net genommen, berichtet "Middle East Eye". Nach einem Shitstorm nahm MBC die 31-teilige Soap jedoch wieder auf.

Preisgekrönte Palästinenser-Soap

Es handelt sich um "Al-Taghreeba al-Filastiniya", Flucht und Vertreibung der Palästinenser am Beispiel einer palästinensischen Familiengeschichte über mehrere Jahrzehnte. Die im Ramadan 2004 erstmals ausgestrahlte Produktion wurde beim Cairo Arab Film Festival 2005 mit Preisen überhäuft. Der – gescheiterte – Versuch, diese Serie und ihre Inhalte aus dem kollektiven arabischen Gedächtnis verschwinden zu lassen, ist nur ein spektakuläres Beispiel unter weniger auffälligen. Es gibt eine manchmal sanfte, manchmal recht derbe Zensur, etwa wenn "Sky News Arab", die in emiratischem Besitz sind, ein Plakat bearbeitet, auf dem dann anstatt "Visit Palestine" "Visit Lebanon" zu lesen ist.

Der saudische Außenminister Prinz Faisal bin Farhan hielt sich am Mittwoch in Washington auf, um dort den ersten offiziellen "strategischen Dialog" mit den USA zu eröffnen. Dass Washington Riad zu einer formellen Normalisierung drängt, wurde bei der gemeinsamen Presseerklärung von US-Außenminister Mike Pompeo bestätigt. Und dass diese Normalisierung informell bereits weit vorangeschritten ist, ist das am schlechtesten gehütete Geheimnis im Nahen Osten. (Gudrun Harrer, 15.10.2020)