Eine Frau an der Grenze zum Wahn: Wiebke (Nina Hoss) in "Pelikanblut".

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Die Landaus sind eine ungewöhnliche Familie: Wiebke, eine alleinerziehende Mutter auf einem Pferdehof mit zwei Töchtern, Nicolina und Raya, die durch Adoption zu ihr gekommen sind. Raya ist fünf, hat also schon einiges erlebt. Nun kommt sie aus Bulgarien in eine neue Welt und wird geliebt. Aber könnte es sein, dass sie sich der Zuwendung verschließt? Raya macht ja jede Menge Probleme. Dass sie das Badezimmer mit Fäkalien verdreckt, lässt sich wegwischen. Doch bald fällt ein Satz, der zum Standardvokabular gegenüber schlimmen Kindern gehört: "Was ist denn in dich gefahren?"

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Von welcher Macht Raya besessen ist, wird dann das eigentliche Thema von Pelikanblut. Raya ist so etwas wie eine Botschafterin einer Wirklichkeit, die mit Anamnese und Computertomografie nicht zu erreichen ist, sondern eher mit den Mitteln des Genrekinos. Katrin Gebbe bringt dabei selbst Nina Hoss an eine Grenze ihres bisherigen Images. Die Schauspielerin, die oft für Figuren gewählt wird, an denen sie ihre Reflektiertheit zeigen kann, spielt hier eine Frau an der Grenze zum Wahn. Der Filmtitel beschwört das Bild von einer Vogelmutter, die sich die eigene Brust blutig beißt, um ihre Kinder zu nähren. Gebbe nimmt das mitunter schockierend wörtlich.

In der Verbindung zwischen Bulgarien und Deutschland liegt auch eine problematische Facette: Denn Rayas Sprengkraft bekommt unwillkürlich eine zusätzliche Semantik. Sie verweist auf einen Teil Europas, der sich nur um einen gefährlichen Preis als integrierbar erweist. Das ist sicher nicht so gemeint, ist aber der Preis für eine Konzeption, in der Raya buchstäblich von außen kommen muss. Nicht weil die Adoptionsgesetze es so vorsehen, sondern weil dieses Land und seine Kultur kaum einen imaginären Raum haben für das Unheimliche, nach dem Katrin Gebbe sucht. (reb, 14.10.2020)