Ein Stern wird von einem supermassereichen Schwarzen Loch in einem Tidal Disruption Event angezogen.
Illustr.: ESO/M. Kornmesser

Was passiert mit einem Astronauten, der in ein Schwarzes Loch gesaugt wird? Der 2018 verstorbene britische theoretische Physiker Stephen Hawking hat in seinem berühmten Buch "Eine kurze Geschichte der Zeit" eine recht anschauliche Beschreibung eines solchen "Abenteuers" dargelegt: Nähert man sich dem Ereignishorizont eines Schwarzen Lochs, zerren die dort herrschenden enormen Gezeitenkräfte den Körper in die Länge, man wird gleichsam "spaghettifiziert". Der Grund dafür ist, dass in der unmittelbaren Umgebung eines Schwarzen Lochs die Gravitationskraft bei der Annäherung so schnell ansteigt, dass am Kopf und an den Füßen unterschiedlich starke Kräfte wirken. Was dazu führt, dass man regelrecht auseinander gezogen wird.

"Spaghettifizierung" mit Energieblitz

Während Menschen so schnell nicht in eine solche Bredouille geraten dürften, sind Sterne in der näheren Umgebung von Schwarzen Löchern immer wieder einem solchen Schicksal ausgeliefert. Astronomen ist es nun gelungen, die letzten Momente eines Sterns festzuhalten, der von einem supermassereichen Schwarzen Loch eingesaugt wurde. Das beobachtete Phänomen, das man in Fachkreisen als Tidal Disruption Event kennt, ist mit nur 215 Millionen Lichtjahren Entfernung das bisher nächstgelegene Ereignis dieser Art. Dass das Drama aus dieser Distanz überhaupt nachweisbar ist, liegt daran, dass der betroffene Stern während seiner "Spaghettifizierung" einen hellen Energieblitz freisetzte, den Astronomen einfangen konnten.

Video: Tod durch Spaghettifizierung
European Southern Observatory (ESO)

Normalerweise sind Tidal Disruption Events äußerst selten und schwer zu untersuchen, da sie während des Ereignisses von einem dabei entstehenden Vorhang aus Materie und Gas verdeckt werden. Umso bemerkenswerter ist es daher, dass es dem internationalen Team von Wissenschaftern unter der Leitung der University of Birmingham nun gelungen ist, ein solches Schauspiel in bisher beispielloser Detailgenauigkeit zu untersuchen. Das Team um Matt Nicholl hat mit dem Very Large Telescope und dem New Technology Telescope des European Southern Observatory (ESO), dem globalen Teleskopnetzwerk des Las Cumbres Observatory und dem Nasa-Forschungssatelliten Swift das hell aufleuchtende Ereignis mit der Bezeichnung AT2019qiz über einen Zeitraum von sechs Monaten überwacht.

Mahlzeit von einer Million Sonnenmassen

"Die Vorstellung, dass ein Schwarzes Loch einen relativ nahe gelegenen Stern 'verspeist', klingt nach Science-Fiction. Aber genau das passiert bei einem solchen Tidal Disruption Event", sagt Nicholl. "Wir hatten das Glück, im Detail untersuchen zu können, was passiert, wenn ein Stern von einem solchen Schwerkraftmonster mit etwa einer Million Sonnenmassen verschlungen wird." Gerät ein Stern in den unmittelbaren Einflussbereich eines Schwarzen Lochs, kommt es zu einem heftigen Materialausstoß, der die Sicht auf das Ereignis verdeckt. Dies passiert, weil die Energie, die beim Verschlingen des Sternmaterials durch das Schwarze Loch frei wird, die äußeren Trümmer des Sterns nach außen treibt.

Im Fall von AT2019qiz konnten die Astronomen das Ereignis früh genug beobachten, um den gesamten Prozess festzuhalten. "Nachdem mehrere zeitgleiche Beobachtungen darauf hindeuteten, dass ein Stern in einer Spiralgalaxie im Sternbild Eridanus gerade dabei ist, von einem Schwarzen Loch auseinandergerissen zu werden, haben wir sofort eine Reihe von Boden- und Weltraumteleskopen auf die entsprechende Himmelsregion ausgerichtet", sagt Thomas Wevers, ESO-Mitarbeiter in Santiago de Chile vom Institut für Astronomie der University of Cambridge.

AT2019qiz fand in einer Spiralgalaxie im Sternbild Eridanus statt (roter Kreis).
Grafik: ESO, IAU and Sky & Telescope

Rasend schnelle Materiewolke

Die zeitgerechten und umfassenden Beobachtungen im ultravioletten und optischen Licht sowie im Röntgen- und Radiobereich des Spektrums zeigten zum ersten Mal einen direkten Zusammenhang zwischen dem von dem unglücklichen Stern ausgestoßenen Material und dem hellen Lichtblitz, der beim Verschlingen durch das Schwarze Loch emittiert wird. "Die Beobachtungen zeigten, dass der betroffene Stern etwa die gleiche Masse wie unsere eigene Sonne hatte und dass er rund die Hälfte davon an das Schwarze Loch verlor", sagte Nicholl.

"Nachdem wir früh genug erkannt haben, was da vor sich ging, konnten wir tatsächlich sehen, wie das Schwarze Loch beim Verschlingen des Sterns eine Wolke aus Staub- und Materialteilchen mit einer Geschwindigkeiten von bis zu 10.000 Kilometern pro Sekunde ausstieß", erklärt Kate Alexander, Nasa-Mitarbeiterin von der Northwestern University in Illinois. "Dieser einzigartige Blick hinter den Vorhang bot erstmals die Gelegenheit, den Ursprung des ausgestoßenen Materials zu bestimmen und in Echtzeit zu verfolgen, wie es das Schwarze Loch verhüllte."

"Rosetta-Stein" für hungrige Schwarze Löcher

Die Beobachtungen helfen den Astronomen dabei zu verstehen, wie sich Materie in der extremen Schwerkraft-Umgebung von supermassereichen Schwarzen Löchern verhält. AT2019qiz könnte sogar als eine Art "Rosetta-Stein" für die Interpretation zukünftiger Beobachtungen von Tidal Disruption Events fungieren, schreibt das Team in den "Monthly Notices of the Royal Astronomical Society". Mit dem Extrem Large Telescope (ELT) der ESO, das in wenigen Jahren in Betrieb genommen werden soll, können Forscher sogar deutlich schwächere und rasantere Tidal Disruption Events ins Visier nehmen und damit offene Fragen rund um die Physik von Schwarzen Löchern beantworten. (tberg, 18.10.2020)